Eva Jähnigen zu Polizeireform 2020
Polizei 2020 – vielversprechender Titel ohne Unterbau
Redeauszüge der Abgeordneten Eva Jähnigen zur Aktuellen Debatte „Nur noch Dienst nach Vorschrift? Sachsens Polizei braucht keine Bescherung durch Mehrarbeit und Einkommens-Klau“ in der 25. Sitzung des Sächsischen Landtages, 14.12., TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen von der CDU – sie haben ein Problem!
Sachsens Polizisten und Polizistinnen proben den Aufstand gegen Ihre Politik. Sie verweigern Ihnen den symbolischen Schulterschluss, der mit Ach und Krach Anfang des Jahres noch gelang: mit der gemeinsamen Forderung nach Verschärfung des Straftatbestandes für Gewalt gegen Polizisten und Polizistinnen! Das trifft sie tief ins Mark – war Ihnen der Ruf als vermeintliche Garanten der ‚Inneren Sicherheit‘ doch so wichtig. Und sie reagieren wie ein verletztes Tier – schlagen um sich. Sie werfen ihren ‚Schützlingen‘ Undankbarkeit und ein «gefährliches Spiel mit Ängsten der Bevölkerung»vor. Sie sind beleidigt, dass sich die Polizei mit dem Bonbon der Hals über Kopf noch in die Haushaltsverhandlungen eingebrachten ‚Gefahrenzuschläge‘ nicht beruhigen lässt.
So nicht, liebe Kollegen und Kolleginnen von CDU und FDP: Der Spieß lässt sich nicht umdrehen. Sie und Ihr Innenminister sind für die katastrophale Motivationslage in der sächsischen Polizei verantwortlich! Sie haben es seit Jahren versäumt, die richtigen Weichen zu stellen für eine zukunftsfähige Polizeiarbeit, sie lassen sich treiben durch die Kassenlage und verschärfen die Arbeitsbedingungen durch Stellenabbau ohne zu analysieren, ob und wie die Aufgaben noch erfüllt werden können.
Was tun sie also, um die Polizei zukunftsfähig aufzustellen und die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten?
Sie haben eine Expertengruppe einberufen und ein Diskussionspapier vorgelegt. Dessen Inhalt hält unsere Fraktion für die Ausrichtung künftiger Polizeiarbeit für völlig unzureichend.
Jede erfolgreiche Reform setzt eine genaue Analyse der Situation voraus. Das gilt auch für die öffentliche Sicherheit und die Polizeiarbeit der Zukunft.
Der Innenminister malt schöne Bilder von einer zukünftigen Sicherheitsarchitektur Sachsens. Beim genauen Hinsehen merkt man jedoch, dass er die Substanz des Hauses Polizei nicht genügend kennt. Er setzt weiter auf Verschleiß! So wird er sie auch nicht reformieren können.
Eine Strukturreform jagt die Nächste – garantiert ohne Erfolg?
Ein wesentlicher Aspekt im Diskussionspapier zu Polizei 2020 ist der Abbau von Führungsstellen. Mit 30 Prozent Führung und Verwaltung erscheint der Bereich – auch im Bundesvergleich – überbesetzt. Das lässt aber doch offensichtlich zunächst den Schluss zu, dass die bisherigen Reformen erfolglos waren? Ich erinnere daran, dass 2005 bereits Polizeidirektionen zusammengelegt wurden und 2009 Leitungsbereiche in Basisdienststellen geschrumpft wurden, insbesondere durch Einführung der sog. Kategorie II – Reviere, mit der Maßgabe, dadurch mehr Personal ‚auf die Straße‘ zu bekommen. Wo ist die Evaluation dieser Reformen, Herr Minister?
Ich vage zu behaupten: Sie evaluieren nicht, weil zu befürchten ist, dass festgestellt wird, dass die erhofften Einsparungen eben nicht durch Strukturveränderungen und Abbau der Führungspositionen machbar sind.
Darüber hinaus bleibt nach der Lektüre des Diskussionspapiers aber festzustellen, dass offensichtlich nur oberflächlich betrachtet wurde, welche Stellen in der Polizei überhaupt Führungsstellen sind: Auch alle Führungsstellen innerhalb der Streifendienste und Bereitschaftspolizei?
Es wird auch in Zukunft Einsatzführer brauchen, um ein koordiniertes Vorgehen der Polizei bei Einsatzlagen zu garantieren!!
Sie gaukeln der Öffentlichkeit vor, dass sie an Stellen sparen wo es nicht wehtut: am Wasserkopf der Verwaltung. Am Ende steht aber zu befürchten, dass die Auswirkungen in der fehlenden Präsenz in der Fläche zu finden sein werden.
Dass der Stellenabbau vor jedwedem Umbaukonzept beschlossen werden soll, bedeutet in der Realität, dass kommende Konzepte nur nach Kassenlage geplant werden können. Wenn Sie, Herr Bandmann/Herr Hartmann, jetzt entdeckt haben, dass die sächsische Polizei im Bundesdurchschnitt personell gut ausgestattet ist, ist das zwar eine zu beachtende Größe, entlastet sie aber nicht davon, den Bedarf für Sachsen anhand der in Sachsen bestehenden Rahmenbedingungen und Sicherheitslage zu definieren.
Polizeiliche Grundversorgung auch im ländlichen Raum gewährleisten!
Die üblichen Vergleiche von Einwohner- und Polizeizahlen genügen als Maßstab jedenfalls nicht. Es geht ja auch darum, genügend Polizei in der Fläche des Landes zu haben und zu sichern, dass diese im Fall einer Gefahr in einer bestimmten Zeit vor Ort ist. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich erinnern: der Innenminister hatte bei einer früheren Debatte hier im hohen Hause auf meine Zwischenfrage hin, angekündigt, Festlegungen für eine Standardinterventionszeit zu entwickeln! Im Diskussionspapier findet sich davon kein Wort.
Herr Innenminister, ich würde mich freuen, wenn sie heute erklären könnten: Haben sie diesen Gedanken wieder aufgegeben, dass zur Sicherung der polizeilichen Grundversorgung gehört, den Bürgerinnen und Bürgern garantiert, dass auf einen Notruf hin, die Polizei auch in einer angemessenen Zeit kommt und nicht erst nach 40 min bzw. nur wenn Kräfte verfügbar? Dieser Debatte müssen Sie sich endlich stellen!!
Die Antwort auf meine Kleine Anfrage 5/2223 zur Besetzung der Polizeiposten und –reviere zeigt deutlich auf, dass bereits derzeit die personelle Situation in einigen Basisdienststellen völlig unzureichend und für die Vollzugsbeamten vor Ort unakzeptabel ist. Wie soll z. B. im Polizeiposten Thalheim im Erzgebirge eine Präsenzzeit von 70 Wochenstunden durch eine Person abgesichert werden?
Andere Polizeiposten sind nur noch vier Stunden in der Woche geöffnet oder es wird generell angegeben, dass es nur Öffnungszeiten nach Bedarf geben könne.
Ein weiteres Beispiel: Der Polizeiposten Ebersbach im Landkreis Görlitz ist nur noch mit einem einzigen Bürgerpolizisten abgedeckt. Der Revierverbund Rochlitz/Burgstädt im Landkreis Mittelsachsen) verlor im Jahr 2010 gegenüber 2009 20 Prozent seiner Planstellen. Teilweise müssen wenige Polizeibeamte bis zu fünf Polizeiposten abdecken, die bis zu 50 Kilometer von einander entfernt sind – also von vornherein ganz erhebliche Fahrzeiten in Kauf nehmen.
Angesichts so chronischer Unterbesetzung haben wir als Verbesserung für die brennendsten Probleme vorgeschlagen, dass ein Stellenpool für 53 zusätzliche Stellen geschaffen und polizeiintern verteilt wird. Dieser soll vollständig aus Haushaltsmitteln finanziert werden – nämlich aus Stellenabbau im derzeit überbesetzten Landesamt für Verfassungsschutz und maßvollen Kürzungen im globalen Personalkostenbudget. Das ist machbar und klug – im Gegensatz zum Landesamt für Verfassungsschutz agieren Polizeivollzugsbedienstete direkt vor Ort und müssen sich in Gefahrenlagen nicht auf das Beobachten beschränken.
Unser Vorschlag löst gewiss nicht alle Probleme, hilft aber, die derzeitige Situation deutlich zu verbessern. Klar ist aber auch: wird der Stellenabbau mit dem Haushalt in der nächsten Woche bis 2020 beschlossen, wird der Handlungsrahmen für neue Konzepte viel zu gering bleiben. Angesichts des hilflosen Diskussionspapieres zum Polizei-Stellenabbaukonzept der Regierung werden wir deshalb ablehnen.