Eva Jähnigen zur geplanten Reform der Landespolizei

Wir wissen, dass die CDU in Sachsen nicht den Anspruch hat, ihre Reformen einer Leistungskontrolle zu unterziehen. Akzeptieren können wir es aber nicht
Redemanuskript der Abgeordneten Eva Jähnigen zur Großen Anfrage „Die sächsische Landespolizei – Im Jahre 2010 auf der Höhe ihrer Aufgaben?“ in der 21. Sitzung des Sächsischen Landtages, 29.09., TOP 7
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
„Hier baut der Freistaat Sachsen!“ – so das imaginäre Schild vor der Permanentbaustelle Sächsische Polizei. „Betreten verboten!“ ruft der Bauherr jedem beleidigt entgegen, der ihn fragt, was eigentlich gebaut wird und welches Fundament in die riesige Baugrube soll. Diese Frage führt regelmäßig dazu, dass die Vorarbeiter ihre Leute zusammenrufen und ihnen danken, dass sie die Baugrube noch ein wenig tiefer ausgegraben haben.
Die lustlose und unergiebige Beantwortung der Parlamentarischen Anfragen nach dem Bauplan gehört leider zu diesen Ritualen. Wir wissen, dass die CDU in Sachsen nicht den Anspruch hat, ihre Reformen einer Leistungskontrolle zu unterziehen. Akzeptieren können wir es aber nicht. Die Regierung brüskiert nicht nur das Parlament, sondern lässt die Polizisten und Polizistinnen im Regen stehen!
Die Links-Fraktion fragt, ob die Landespolizei auf der Höhe ihrer Aufgaben ist – die Staatsregierung ist es nicht. Politische Führung und Gestaltungswille fehlt – der Innenminister duckt sich jetzt gerade hinter seinem Expertenteam „Polizei 2020“ ab. Aber die ergebnisoffene Prüfung ist keine – der Stellenabbau der Rahmen, in dem in Zukunft der Mangel verwaltet werden soll.
Ich will hier nur wenige Punkte herausgreifen:

1) Aufgabenkritik
Aufgabenkritik ist eine hohe Kunst – aber die Grundlage jeder Reform. Ich bin überzeugt, dass wir 2020 nur dann auf eigenen Füßen stehen können, wenn wir definieren, was die Kernaufgaben der sächsischen Polizei sind.
Deshalb finde ich es dreist – aber auch bezeichnend – auf die Frage nach konkreten Ergebnissen der Aufgabenkritik in großväterlicher Gutmütigkeit zu antworten, dass «wegen des Umfangs des vorhandenen Materials» die Antwort auf das Wesentliche beschränkt wird. Das «Wesentliche» sind offensichtlich nichts mehr als Allgemeinplätze: Aufgaben seien rationalisiert und polizeifremde und vollzugsinadäquate Aufgaben abgebaut worden.
Um zu erläutern, was nicht Kernaufgabe sei, bekommt man schnell zu hören: Begleitung von Schwertransporten und Beschaffungswesen. Damit erschöpft sich aber auch meist schon das Latein des Innenministers!
2) Auswirkungen Strukturreform – Vor-Ort-Zeit
Besonders unbefriedigend erscheint uns die Antwort auf die Frage nach den Vor-Ort-Zeiten (Frage II. 5. S. 14). Die Staatsregierung kann sie nicht beantworten und verweist darauf,  dass durch die Festlegung von Vor- Ort-Zeiten die Flexibilität des Einsatzes verloren ginge. Nun ist Flexibilität nur eine niedliche Umschreibung für „Mangelverwaltung“.
Wie schon so oft verweise ich dabei auf die kleinen Anfragen meines Kollegen Jennerjahn zu Einsatzzeiten in der Silvesternacht letzten Jahres. Es ist für uns nicht tragbar, dass auf vom Notruf bis zum Eintreffen der Polizei mehr als 40 Minuten vergehen bzw. ein Einsatz mangels Kapazitäten nicht erfolgt. Hier ging es aber um Gefahr für Leib und Leben!
Eine Aufstellung über Vor-Ort-Zeiten ist essentiell, um die Präsenz und Standortfragen von Basisdienststellen so festlegen zu können, dass Sicherheit gewährleistet ist. Menschen müssen darauf vertrauen können, dass Hilfe auf Anfrage beim polizeilichen Notruf auch kommt!
Parlament und Regierung müssen sich Gedanken machen, wie die Einsatzleitung ihre Prioritäten festlegen muss: Dabei setzen wir auf  Dienstleistungsorientierung und Bürgernähe gegenüber einem obrigkeitsfixierten „law and order“ Denken.
3) Ausdünnung der Polizei in der Fläche – Struktur der Basisdienststellen
Wir kennen die Gerüchte auf Basis der an die Polizeipräsidenten verschickten Entwürfe aus dem Innenministerium. Bisher hat die Staatsregierung ihr Wohl immer in einer Zentralisierung der Verwaltungseinheiten gesucht – daher ist wohl auch davon auszugehen, dass es zu weiteren Standortzusammenlegungen kommen wird. Doch kommen Sie so zu Einsparungen?
Der Auftrag für die Expertenrunde lautete: Wie ist mit weniger Personal die Sicherheit zu gewährleisten? Das geht nicht am Reißbrett und wird auch seinen Preis kosten.
Ein Beispiel hierzu – die Zahlen sind aus meiner kleinen Anfrage, auf die die Staatsregierung gegenüber den Linken verweist.
Das Polizeirevier Weißwasser arbeitet mit einer Soll-Stärke von 95, ist aber real besetzt mit nur 88 Polizeibediensteten, davon drei Bürgerpolizisten. Drei Bedienstete sichern den Polizeiposten Bad Muskau von Mo. bis Fr. von 9 – 16 Uhr ab und den Polizeiposten Boxberg Di. und Do. von 16 – 18. Für Prävention bleiben im ganzen Revierbezirk gerade einmal zwei Prozent der Arbeitsstunden.
Wie soll sich die Situation verbessern, wenn der Revierverbund größer wird und damit auch längere Anfahrtswege zu Straftatenverfolgung und Gefahrenabwehr entstehen? Da fällt Prävention doch ganz weg – kalter Aufgabenwegfall aus Arbeitskraftnot.
Die Staatsregierung darf sich dieser Diskussion auf Kosten von Bürgern und Polizisten nicht länger verweigern.
4) Polizeiausbildung und Arbeitsbedingungen – auf der Höhe der Zeit?
Die Zahlen zur Teilnahme an Fortbildungen zur interkulturellen Kompetenz und Sprachkursen für Polnisch und Tschechisch sind erschreckend niedrig. Ohne eine breitere interkulturelle Öffnung ist Kriminalpolitik und Prävention nicht zu machen – gerade hier in Sachsen.
Dringend eruiert werden müssen die Arbeitsbedingungen der Polizeibediensteten. Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, der das Thema Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten aus Sicht der Polizeiarbeit und -ausbildung aufgreift und dazu eine Anhörung im Innenausschuß beantragt.
Auch hier hat die Regierung bis heute nicht ihre Hausaufgaben gemacht.
Ich will sie noch einmal zusammenfassend aufzählen:
Kernbereiche polizeilicher Tätigkeit und Sicherheitsschwerpunkte müssen geklärt werden. Die Arbeitszeit- und Ausbildungsbedingungen des Polizeivollzugsdienstes gehören ausgewertet und konkret verbessert. Die Polizei muss interkulturell kompetent und für präventives Arbeiten in den Verhältnissen des 21. Jahrhunderts ausgebildet werden. Traumatisierte und dienstunfähige Polizeibedienstete bedürfen besonderer Unterstützung. Nur so schaffen wir Voraussetzungen für eine moderne, bürgernahe Polizei und nur so wird der Freistaat auch motivierte Polizeibedienstete haben.
Fazit aus Sicht der GRÜNEN-Fraktion: Bei der Baugrube Polizeireform darf es nicht bleiben. Wenn die Staatsregierung ihre Aufgaben allerdings nicht sehr zügig nachholt, droht der Automatismus des Stellenabbaus die Baugrube zu einer Bauruine zu machen. Das muss Sachsen erspart bleiben!