Gerstenberg: Die ganz klare Trennung zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt wird mit dieser Regelung aufgegeben

Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zur 2. Lesung des Gesetzentwurfs „Gesetz zum Dreizehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung des Sächsischen Privatrundfunkgesetzes“ in der 9. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. März 2010, TOP 2

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
alle Jahre wieder kommt der Frühling – hoffentlich! Alle Jahre wieder kommen Rundfunkänderungsstaatsverträge. Alle Jahre wieder macht dieser Sächsische Landtag eine Anhörung, und wir hören dann von den Interessenvertretern die Argumente, die sie einst vorgebracht haben, als noch die Verhandlungen liefen, und wie sie gegebenenfalls Lobbyarbeit bei den Staatskanzleien geleistet haben. Alle Jahre wieder stehen wir vor der Entscheidung, Ja oder Nein zu sagen, ohne uns auch nur ernsthaft mit Einfluss auf diese Entscheidung ausstatten zu können; und angesichts der Tatsache, dass der Herr Ministerpräsident am 20. Oktober 2009 diesen Staatsvertrag unterschrieben hat, ist die Entscheidung natürlich glasklar.
Ich finde das zutiefst unbefriedigend, auch für Sie als Koalitionsabgeordnete; denn notwendig und diesem Parlament angemessen wäre doch eine Unterrichtung während der Verhandlungen, aber auch die Möglichkeit einer frühzeitigen Meinungsbildung. Wir haben deshalb den entsprechenden Antrag der Linksfraktion unterstützt. Ich kann ja noch verstehen, dass sich die Staatsregierung hinter dem „Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung“ versteckt hat; aber dass auch Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, ein solches Vorgehen, das ja eine Stärkung der Rolle des Parlaments wäre, abgelehnt haben, kann ich nur als einen Akt der Selbstenthauptung als Parlamentarier bezeichnen.
Wir sind jetzt beim vorliegenden Staatsvertrag dabei, eine EU-Richtlinie aus dem Jahre 2007 umzusetzen. Es geht um Liberalisierung von Werbung, um Produktplatzierung. Diese Richtlinie stammt aus einer Zeit, die für Werbung nicht einfach war. Der Rückgang der Werbeerlöse war flächendeckend und im Hörfunk und Fernsehen noch stärker als auf dem Gesamtmarkt.
Der Medienrechtler Dr. Heinker hat in der Anhörung eine Studie vorgestellt, in der dargestellt wurde, dass insbesondere die klassischen Werbespots zunehmend schlechter akzeptiert werden. Wenn ein solcher Werbespot kommt, sagen zwei Drittel der Befragten: Wir wechseln das Programm. Drei Viertel sagen: Wir verrichten ganz andere Tätigkeiten. Nur ein Zwanzigstel sagt: Wir schauen aufmerksam zu. Eine so geringe Akzeptanz ist natürlich ein enormer Anreiz, Produktplatzierung als eine zusätzliche Möglichkeit für Werbeerlöse ins Spiel zu bringen. Ich weiß nicht, ob es ein Hörfehler oder ein Freudscher Versprecher war. Ich halte es für bezeichnend, dass an dieser Stelle der Anhörung der Satz steht: „Der Schutz von Schleichwerbung genießt im deutschen Recht einen sehr hohen Stellenwert.“
Vergessen ist die damalige Botschaft, es stehe die Glaubwürdigkeit des Mediums Fernsehen in Gefahr
Ich bin wirklich traurig, dass die Empörung offensichtlich vergessen ist, die vor einigen Jahren der verdiente Journalist Volker Lilienthal von epd Medien mit seinem investigativen Journalismus in Sachen „Marienhof“ ausgelöst hat. Kollege Falk Neubert hat noch andere Beispiele genannt. Vergessen sind also auch all diese Skandale. Vergessen ist die damalige Botschaft, es stehe die Glaubwürdigkeit des Mediums Fernsehen in Gefahr. Wir waren uns hier in diesem Sächsischen Landtag auch alle einig, deshalb war es für mich völlig folgerichtig, dass sich die Bundesländer und die Bundesregierung parteiübergreifend gegenüber der EU-Kommission für ein Verbot von Produktplatzierung eingesetzt haben.
Umso unverständlicher ist die Kehrtwendung mit diesem Staatsvertrag. Offensichtlich haben sich hier Werbewirtschaft und die kommerziellen Interessen der Privatrundfunkveranstalter durchgesetzt, obwohl – das muss eindeutig gesagt werden – die EU-Richtlinie den Ländern die Möglichkeit gibt, Product Placement komplett zu verbieten. Schleichwerbung durchbricht die Trennung zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt. Das ist bereits gesagt worden. Ich halte das auch für besonders infam, denn Schleichwerbung schleicht sich ein. Sie ist verbunden mit der Gefahr, Menschen zu manipulieren, und das ist natürlich, wenn es um Zuschauer eines Massenmediums geht, auch eine eminent ethische Frage.
Product Placement, Produktplatzierung, unterscheidet sich von Schleichwerbung in diesem Staatsvertrag nur dadurch, dass sie gekennzeichnet werden soll. Die Art der Kennzeichnung ist ungeklärt. Es soll am Anfang, am Ende und bei Werbepausen erfolgen. Das normale, heute typische Zuschauerverhalten gerade bei jungen Leuten, hin und her zu zappen, da und dort mal in eine Sendung zu schalten, wird dafür sorgen, dass diese Kennzeichnungen überhaupt nicht bemerkt werden, sodass man unterm Strich ganz sachlich sagen kann: Produktplatzierung ist eine spezielle Form von Schleichwerbung. Die einzige Möglichkeit, dem zu entgehen, wäre, solche Sendungen, in denen Produkte platziert werden, als Dauerwer-besendungen zu kennzeichnen.
Die Regelungen zur Produktplatzierung bieten auch eine Grundlage, um wachsenden Druck auf Autoren und Journalisten auszuüben, sich solchen kommerziellen Einflüssen zu unter-werfen. Wir sollten uns da keine Illusionen machen; das ist kaum zu kontrollieren. Es geht also nicht nur um den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, den ich im Gegensatz zu Prof. Schneider gerade in einem Vermeiden von Produktplatzierung bei Eigen- und Auf-tragsproduktionen sehe. Es geht auch um einen Schutz der Freiheit und der Rechte der Re-dakteure und Autoren.
Aus diesem Grund ist es nicht nur der Bund der Verbraucherzentralen gewesen, sondern auch Gewerkschaften wie ver.di sowie der Deutsche Journalistenverband, die mit aller Kraft gegen die Legalisierung von Produktplatzierung gekämpft haben. Machen wir uns doch bitte keine Illusionen: Die ganz klare Trennung zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt wird mit dieser Regelung aufgegeben. Die Notwendigkeit der klaren Trennung gilt nicht nur für den öffentlich-rechtlichen, sondern ebenso für den Privatrundfunk. Die Versuchung wird in Folge sehr groß sein, diese Trennung auch bei den Printmedien zu unterlaufen, und mittel- und langfristig ist zu befürchten, dass damit auch eine Beeinträchtigung der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit eintritt.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 11. September 2007 in seinem Rundfunkurteil ausgeführt, dass die Steuerung von Rundfunkveranstaltern allein über den Markt die Ziele der inhaltlichen Vielfalt gefährdet, Ziele, die besonders wichtig für ein Funktionieren der Demo-kratie sind. Es kann nach Überzeugung meiner Fraktion nicht unsere Aufgabe als Gesetz-geber sein, den Rundfunk einseitig an den Interessen der Werbewirtschaft auszurichten, so wie es dieser Staatsvertrag jetzt tut, der die Balance verloren hat.
Sie, meine Damen und Herren der Koalition, sind offensichtlich durch die Unterschrift Ihres Ministerpräsidenten gebunden. Sie werden jetzt einem Vertrag zustimmen, den Sie in keiner Art und Weise beeinflussen konnten. Wir haben als Fraktion GRÜNE die Freiheit, Nein zu sagen.