Gerstenberg: Nicht die Diäteneinsparungen sind die besten, die unter dem Motto ‚FDP hilft‘ wahlkampfwirksam verschenkt werden – die besten sind die, die im Haushalt verbleiben
Nach den Worten des gestrigen Tages von MP Tillich sind die Abgeordneten in der Pflicht, ein Zeichen zu setzen und die Erhöhung ihrer Bezüge zu verschieben
Redemanuskript des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Gesetzentwurf von GRÜNEN, Linken und SPD „Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes“ (Drs. 5/298) in der 4. Sitzung des Sächsischen Landtages am 12. November 2009 zum TOP 2
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gemeinsam bringen die Linksfraktion, die SPD-Fraktion und die Fraktion GRÜNE ein Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes ein, welches einzig das Ziel hat, die bevorstehende Erhöhung der Grundentschädigung auszusetzen.
Debatten über Abgeordnetendiäten sind immer ein höchst sensibles Thema, da wir Entscheidungen in eigener Sache zu treffen haben. Diese Entscheidungen kann uns aber niemand abnehmen, auf Grund unserer verfassungsrechtlichen Stellung müssen wir sie selbst treffen.
Leitlinien dazu hat uns das Bundesverfassungsgericht gegeben. Es hat in seinem Diätenurteil festgestellt, dass für Abgeordnete Anspruch auf eine angemessene Entschädigung besteht, die ihre Unabhängigkeit sichern muss. Diese Entschädigung muss zudem der Bedeutung des Mandates im Verfassungsgefüge einschließlich der damit verbundenen Belastungen Rechnung tragen. Was Angemessenheit bedeutet, welche Höhe die Entschädigung haben und wie sie sich entwickeln soll, das wird immer wieder neu Gegenstand der öffentlichen Diskussion sein. Die kritische Öffentlichkeit ist deshalb so wichtig, weil sie Transparenz und Kontrolle herstellt und dem Vorwurf der Selbstbedienung entgegenwirkt.
In der 4. Legislaturperiode hatte der Sächsische Landtag eine Expertenkommission eingesetzt und auf der Grundlage ihres Berichtes das System der Abgeordnetenentschädigung und Altersversorgung umfassend reformiert. Bestandteil der im November 2007 verabschiedeten aktuellen Fassung des Abgeordnetengesetzes ist eine Erhöhung der Grundentschädigung, die zum 1. Januar 2010 automatisch in Kraft tritt.
Die Rollen der drei einbringenden Fraktionen und ihre Haltung zum Inhalt des geltenden Gesetzes waren damals sehr verschieden. Gemeinsam ist aber uns allen hier im Landtag, dass wir nicht voraussehen konnten, welche wirtschaftliche und finanzielle Situation wir zum Ende das Jahres 2009 erleben würden.
Weltweit befinden wir uns in der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Experten erwarten einen weiteren Rückgang des Wirtschaftswachstums von bis zu 6 Prozent. Es gibt Zeichen der Hoffnung, aber die Auswirkungen der Krise werden noch lange anhalten. Allein in Sachsen stehen 60.000 Menschen in Kurzarbeit, viele sind von Entlassung bedroht. Ich kann dem Ministerpräsidenten in diesem Punkt nur zustimmen, wenn er in seiner gestrigen Regierungserklärung sagte: „Die Kurzarbeit ist wie ein Damoklesschwert.“
Die Krise hat auch massive Auswirkungen auf die öffentlichen Kassen. Ich zitiere nochmals Herrn Tillich: „2010 brechen uns rund 1 Milliarde Euro weg. Auch die Kommunen werden mittelfristig deutlich weniger Geld in den Kassen haben. Zugleich steigen die Kosten im Sozialbereich.“
Diese Worte des gestrigen Tages dürfen heute nicht bereits Schall und Rauch sein. In einer solchen Krisensituation sehen sich die Einbringerinnen des Gesetzentwurfes als Abgeordnete des Sächsischen Landtages in der Pflicht, ein Zeichen zu setzen und die Erhöhung ihrer Bezüge zu verschieben. Unsere Arbeitsplätze hier im Parlament sind sicher, während viele Menschen in diesen Tagen unverschuldet um ihre Jobs bangen müssen. In einer Zeit, in der ein großer Teil der Bevölkerung effektiv mit geringen Einkommen wirtschaften muss, in einer Zeit, in der die öffentlichen Kassen sich leeren, sollten sich die Abgeordnetenbezüge zumindest nicht erhöhen. Auf diesen gemeinsamen Nenner sollten wir uns doch hier im Parlament verständigen können.
Deshalb schlagen die einbringenden Fraktionen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Änderungen des Abgeordnetengesetzes in zwei Punkten vor:
1. Die bereits mit Gesetz vom 15.11.2007 beschlossene automatische Anpassung der Grundentschädigung um 354 Euro zum 1. Januar 2010 wird um zwei Jahre verschoben.
2. Das im Gesetz vorgesehene Verfahren der Anpassung der Grundentschädigung an das Gezahlt eines Richters am Landgericht wird für die 5. Legislaturperiode ausgesetzt und findet erstmals nach der Konstituierung des 6. sächsischen Landtages statt.
Diese vorgeschlagenen Änderungen sind einfach, übersichtlich und der Situation angemessen. Ich betone an dieser Stelle nochmals, dass wir mit dem Gesetzentwurf nicht die 2007 nach ausführlicher Diskussion beschlossene Systematik des Abgeordnetengesetzes in Frage stellen, sondern lediglich eine Verschiebung der Diätenerhöhungen erreichen wollen.
Mit den zu erwartenden Einsparungen von mindestens 1,1 Millionen Euro in den Jahren 2009 und 2010 können wir naturgemäß nicht die Steuereinahmeverluste des Freistaates ausgleichen. Aber dieser Betrag ist wahrlich nicht zu vernachlässigen in einer Situation, in der die Streichung freiwilliger Leistungen auf sozialem oder kulturellem Gebiet droht. Eine Reihe wichtiger, kleiner Projekte könnten damit gesichert werden.
Ich gestehe ganz offen, dass wir selbstverständlich die Zustimmung der FDP zum Gesetzentwurf erwarten. Meine Damen und Herren von der FDP, sie haben jahrelang sehr laut und oft sehr undifferenziert Diätenerhöhungen kritisiert. Jetzt sind Sie Teil der Mehrheitskoalition, jetzt können Sie Wort halten. Und nebenbei gesagt: Nicht die Diäteneinsparungen sind die besten, die unter dem Motto „FDP hilft“ wahlkampfwirksam verschenkt werden. Die besten sind die, die im Haushalt des Freistaates verbleiben.
Nach der Ankündigung dieser Gesetzesinitiative war von Kritikern zu hören, es würde sich um einen Schnellschuss handeln. Meine Damen und Herren, nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Die Diätenerhöhung tritt zum 1. Januar in Kraft. Wenn wir sie verschieben wollen, dann ist jetzt der späteste Zeitpunkt zum Handeln.
Ich hoffe deshalb, dass insbesondere die CDU-Fraktion über ihren bekannten Schatten springen kann und diesen Gesetzentwurf nicht nur deshalb ablehnt, weil er aus der Opposition kommt. Meine Damen und Herren, Sie haben doch die Mehrheit und damit alle Möglichkeiten in der Hand. Sie können den Gesetzentwurf im Ausschuss modifizieren, Sie können per Direktüberweisung in den Ausschuss auch einen eigenen Entwurf einbringen. Nur eines sollten Sie angesichts der aktuellen Krise nicht tun: Sich zurücklehnen nach dem Motto „Nichts Hören. Nichts sehen. Nicht handeln.“