Giegengack: Anwendung und Vollzug des Schulgesetzes bei Schulschließungen müssen nachvollziehbar, transparent und rechtlich verbindlich geregelt sein

Redeauszüge der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum grünen Antrag „Vereinheitlichung des Verwaltungsvollzugs bei Erteilung einer Ausnahmegenehmigung bei Unterschreitung der Mindestschülerzahl und/oder Mindestzügigkeit gemäß § 4a Abs. 4 SchulG“ in der 32. Sitzung des Sächsischen Landtages, 23.03., TOP 11
Giegengack: Anwendung und Vollzug des Schulgesetzes bei Schulschließungen müssen nachvollziehbar, transparent und rechtlich verbindlich geregelt sein und dürfen nicht allein im Ermessen des Ministeriums liegen
Es gilt das gesprochene Wort!
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Ich bin der Überzeugung, auch wenn das Schulgesetz von 2004, was Schülerzahlen und Zügigkeit angeht, einer Nachbesserung bedarf, die der Entwicklung im ländlichen Raum Rechnung trägt, sind seine Regelungen prinzipiell gut und richtig. So ermöglicht das Schulgesetz, Grundschulen einzügig zu führen mit einer Klassengröße von 15 Schülern. Bevor gleich wieder ein Einwand kommt: Dass man für eine Schulhausbauförderung den Klassenrichtwert erfüllen muss, der viel höher liegt, ist mir durchaus bewusst. Meine Stadt hat über Jahre Grundschulen komplett aus Eigenmitteln sanieren müssen, deswegen.
Auch 20 Kinder je zwei Klassen bei Mittelschulen bzw. 20 Kinder je drei Klassen bei Gymnasien halte ich vom Grund her für einen guten Richtwert, weil damit eine gewisse Auswahl an Neigungs- und Leistungskursen gewährleistet werden kann. Dass wir hier für Schulen im ländlichen Raum eine dauerhafte Anpassung vornehmen müssen, sagte ich heute früh bereits in der Aktuellen Debatte.
Allerdings ist es auch nicht so, dass unser Schulgesetz nur starre Grenzwerte vorgibt. In Artikel 4a werden von vornherein Ausnahmefälle für Abweichungen von den Mindestschülerzahlen und der Mindestzügigkeit formuliert. Dies gilt insbesondere für landes- und regionalplanerische Gründe, bei der überregionalen Bedeutung der Schule, aus besonderen pädagogischen Gründen, zum Schutz und zur Wahrung der Rechte des sorbischen Volkes, aus baulichen Besonderheiten desSchulgebäudes oder bei unzumutbaren Schulwegbedingungen und Schulwegentfernungen. Soweit das Gesetz.
Hinsichtlich der Auslegung dieser gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestände existiert bislang keine Verwaltungsvorschrift, mündliche oder schriftliche Dienstanweisungen oder Anordnungen, die den Ermessensspielraum definieren: „Kultus prüft“, ich zitiere, „die konkrete Situation im Einzelfall auf der Grundlage der geltenden rechtlichen Vorgaben und unter Beachtung der gefestigten Rechtsprechung.“
Nun könnte man meinen, dass das prima ist, wenn nicht einfach so pauschal entschieden, sondern jeder Einzelfall eingehend geprüft wird. Die Praxis der Ausnahmegenehmigung zeigt aber, dass genau hier die Schwachstelle des Verfahrens liegt. Es war und ist für viele Beteiligte eben nicht nachvollziehbar, warum bei bestimmten Schulen, die die Schülerzahlen nicht schaffen, „a priori“, wie das Ministerium sagt, von einem öffentlichen Interesse am Bestand ausgegangen wurde und wird und gar keine Anhörung stattfindet, in anderen Fällen nach der Anhörung des Schulträgers der Mitwirkungsentzug widerrufen und in wieder anderen Fällen trotz vergleichbarer Umstände und trotz Anhörung des Trägers am Widerruf der Mitwirkung festgehalten wird.
Das Beispiel der Georg-Weerth-Mittelschule in Chemnitz zeigt, dass bei Unterschreitung der Schülerzahl in verschiedenen Schuljahren ganz unterschiedliche Entscheidungen zu Anhörung, Ausnahmegenehmigungen und Mitwirkungsentzug gefällt wurden. Trotz Unterschreitung der Mindestschülerzahl konnte in den Schuljahren 2008/2009 und 2009/2010 ohne Anhörung des Schulträgers eine 5. Klasse gebildet werden, während es im Schuljahr 2010/2011 unter den gleichen Voraussetzungen zu einem Mitwirkungsentzug kam.
Obwohl die Stadt Chemnitz in der Anhörung erhebliche Gründe für die Bildung einer Klasse 5 anführte, wie die Teilnahme am Schulversuch „Produktives Lernen“ – nur sieben teilnehmende Schulen in ganz Sachsen -, die Teilnahme am EU-Programm ComeniusRegio sowie die Einrichtungen von Vorbereitungsklassen für Aussiedler und Ausländer – übrigens alles Aktivitäten, die schon die Jahre zuvor bestanden-, wurde mit der Begründung „fehlendes öffentliches Bedürfnis“ die Bildung einer 5. Klasse im letzten Jahr verwehrt.
Nach Durchsicht der von uns abgefragten Zahlen ist uns aufgefallen, dass die Georg-Weerth-Schule kein Einzelfall ist. Lag im Schuljahr 2005/2006 die Quote der Mitwirkungsentzüge bei den Mittelschulen noch bei 65 Prozent‚ so war es doch auffallend, dass im Schuljahr 2009/2010 alle 61 Mittelschulen in Sachsen, die die Mindestschülerzahlen nicht brachten, völlig unbehelligt blieben – nichts, keine Anhörung, keine Mitwirkungsentzüge, gar nichts.
Man muss schon mit dem Klammersack gepudert sein, wenn man da keinen Zusammenhang mit den Landtagswahlen sieht – noch dazu, weil im Schuljahr 2010/2011, also dem Jahr nach der Wahl, auf einmal wieder 19 der 77 Schulen, die die Schülerzahlen nicht brachten, ins Anhörungsverfahren mussten.
Meine Damen und Herren, wenn das möglich ist, kann es mit der Einzelfallprüfung auf der Grundlage der geltenden rechtlichen Vorgaben und unter Beachtung der gefestigten Rechtsprechung nicht so weit her sein. Da zieht auch das Argument nicht, wir müssten die Auswirkungen der Kreisgebietsreform von 2008 abwarten. Eine solche Praxis verstößt nicht nur gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz sie entzieht auch den Schulträgern jede Form von Planungssicherheit. Das Festhalten an den Einzelfallprüfungen dient eben nicht zuallererst den Schulen vor Ort, sondern wohl eher dem Ministerium.
Meine Damen und Herren, wir wollen heute mit unserem Antrag erreichen, dass mittels einer Verwaltungsvereinbarung verbindlich geklärt und festgeschrieben wird, nach welchen Regeln und Kriterien eine Einzelfallprüfung erfolgt und welche konkreten Ausnahmegründe bei einer Unterschreitung der Mindestschülerzahl und -zügigkeit geltend gemacht werden können. Die Verwaltung sagt, sie prüft auf der Grundlage der rechtlichen Vorgaben und unter Beachtung der gefestigten Rechtsprechung. Nun, dann dürfte es nicht schwer sein, eine solche Verwaltungsvorschrift zu erarbeiten. Wenn es zum Beispiel Gerichtsurteile zur Länge und Zumutbarkeit von Schulwegen gibt, dann kann man diese auch in eine Verwaltungsvorschrift aufnehmen.
Die Anwendung und der Vollzug des Schulgesetzes müssen nachvollziehbar, transparent und rechtlich verbindlich geregelt sein und dürfen nicht, wie die Erfahrung zeigt, allein im Ermessen des Ministeriums liegen.
2. Teil
Ich möchte ganz kurz zu den einzelnen Beiträgen Stellung nehmen.
Herr Seidel, CDU, ich weiß nicht, ob man mir Aktionismus vorwerfen kann. Meine Fraktion hat sich bemüht, Ideen zu entwickeln, wie die Situation verändert werden kann, über die wir heute früh alle geklagt haben. Ich bin der Überzeugung, wir haben einen Vorschlag eingebracht, der rechtlich zulässig ist, was man von Ihrem Vorschlag zum Moratorlum nicht behaupten kann.
Herr Bläsner, FDP, Sie haben richtig gesagt, dass im Verwaltungsrecht wesentlich Gleiches auch gleich behandelt werden muss, aber wenn es nicht normiert ist, wie soll dann nachvollzogen werden, ob in Bautzen oder Plauen gleich entschieden wurde? Zum pädagogischen Konzept und zu Schulwegbedingungen habe ich Ihnen vorhin die verschiedenen Ausnahmetatbestände genannt, die natürlich unwahrscheinlich allgemein und breit gefasst sind. Ich bin davon ausgegangen, dass das pädagogische Konzept der Georg-Weerth-Schule durchaus einen Ausnahmetatbestand für die Einrichtung einer Klasse 5 darstellt.
Letztendlich habe ich bei der gesamten Debatte vermisst, dass irgendjemand auf die Schülerzahlen eingegangen wäre, die ich Ihnen vorhin dargestellt habe. Dass es im Wahljahr bei den 61 Schulen weder zu einer Anhörung noch zu einem Mitwirkungsentzug kam, konnten weder Herr Bläsner noch Herr Seidel uns hier erklären. Wie ist das möglich, wenn ein Jahr vorher Mitwirkungsentzüge stattgefunden haben und im Jahr danach auch, aber im Wahljahr gerade nicht? So kann man eben nicht von einem geordneten Verwaltungsverfahren sprechen, was sich nur an den gesetzlichen Grundlagen orientiert.