Giegengack: Wenn Maßnahmen gegen den drohenden oder vorhandenen Ärztemangel greifen sollen, müssen Möglichkeiten der Bedarfsplanung ausgereizt werden – nur wenn Bedarf ausgewiesen wird, dürfen sich Ärzte auch niederlassen
Redemanuskript der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion „Ärztliche Versorgung in Sachsen – Vorgaben zur Bedarfsplanung umsetzen“ (Drs. 5/969) und der Linksfraktion „Startfinanzierung für künftige Landärzte in Sachsen“ (Drs. 5/818) in der 8. Sitzung des Sächsischen Landtages am 21. Januar 2010, TOP 5
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident,sehr geehrte Damen und Herren,ich weiß nicht wie viel Stunden hier im Landtag schon über den Ärztemangel in Sachsen diskutiert wurde. Das ist ein Thema, an dem sich Teile der Opposition regelrecht abgearbeitet haben, da trotz intensiver Anstrengungen das Problem immer virulent war – bis heute. Meine Damen und Herren ich habe nicht vor, hier den Zastrow zu machen und die Staatsregierung mit Vorwürfen zu bombardieren, wie würde das Problem verharmlosen und hätte nicht gehandelt. Nein, dieser Auffassung bin ich nicht. Im Gegenteil, ich glaube, die beiden zuständigen Ministerinnen haben sehr wohl und auch frühzeitig das Problem erkannt und Verantwortung übernommen – mehr Verantwortung als sie angesichts der ärztlichen Selbstverwaltung vielleicht hätten übernehmen müssen. Das haben wir GRÜNEN immer schon so gesehen und unser Antrag will nicht die Ministerin vorführen, vielmehr ihr den Rücken stärken hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Aufsichtpflicht gegenüber der ärztlichen Selbstverwaltung. Doch worum geht es: Seit Jahren wird beklagt, dass die Bedarfsplanungsrichtlinie des Bundesausschusses, nach der die Landesausschüsse die Bedarfsplanung in den Ländern vorzunehmen haben, mit ihren Maßzahlen von 1990 den tatsächlichen Bedarf an Ärzten besonders in Ostdeutschland nicht adäquat wiedergibt. So herrschte und herrscht bis heute in vielen Planungsbereichen in Sachsen theoretisch eine ärztliche Überversorgung, weil die örtliche Arzt-Einwohner-Relation eine bundesweit festgelegte Maßzahl übersteigt. Liegt eine Überversorgung vor, hat der Landesausschuss nach den Vorschriften der Zulassungsverordnungen und der Bedarfsplanungsrichtlinie Zulassungsbeschränkungen anzuordnen. Die überversorgten Planungsbereiche werden gesperrt, d.h. hier darf sich kein Arzt mehr niederlassen. Im Juli 2007 wurde hier im Haus eine heiße Debatte über den Kinderarztmangel in Sachsen geführt. Meine Damen und Herren, die Bedarfsplanung der KV Bezirksstelle Chemnitz, die mir aus dieser Zeit vorliegt und die Chemnitz, Zwickau, Zwickau Land, das gesamte Erzgebirge und Vogtland umfasst, wies für die Kinderärzte damals 10 der 11 Planungsbereiche als überversorgt und damit als gesperrt aus. Die FDP-Forderungen nach mehr Darlehen, Investitionspauschalen und Bonuszahlungen waren nur heiße Luft. Denn diese Maßnahmen machen nur Sinn in Planungsbereichen, wo sich Ärzte auch niederlassen dürfen. Hier wurde von der FDP eine Debatte losgetreten nach dem Motto, wir halten mal richtig drauf – interessiert uns doch nicht, ob das geht, was wir fordern oder nicht.Doch meine Damen und Herren, die Situation hat sich inzwischen geändert. Der Bundesgesetzgeber hat auf die Forderungen vor allem aus den Ostländern nach Überarbeitung der Kriterien zur Feststellung des Ärztebedarfes reagiert. Seit August 2008 existiert in der Bedarfsplanungsrichtlinie eine Öffnungsklausel. Unter Berücksichtigung bestimmter Kriterien kann nun auch in theoretisch überversorgten Planungsbereichen einen lokaler Versorgungsbedarf festgestellt und damit die Niederlassung von Ärzten ermöglicht werden. Doch, meine Damen und Herren, und das ist der Grund unseres Antrages, der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen setzt diese Möglichkeit nicht um. Drei mal hat sich der Landesausschuss schon mit dieser Neuregelung befasst, zuletzt in seiner Sitzung im August 2009. „Wann konkret mit Feststellungen von zusätzlichem lokalen Versorgungsbedarf zu rechnen ist“, so Ministerin Clauß auf meine Kleine Anfrage, „kann nicht abgeschätzt werden.“Was das Problem ist, weshalb der aus Kassenärztlicher Vereinigung, den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen bestehende Landesausschuss keinen zusätzlichem lokalen Versorgungsbedarf prüft, teilte mir Frau Clauß leider nicht mit. Dies erfuhr ich aus den Medien. Herr Heckemann, seines Zeichens Chef der KV Sachsen, ließ in der Morgenpost verlautbaren – ich zitiere: „Was lokal ist, ist nicht geklärt. Wir warten auf die Regelung vom Bund, das ist einfacher.“Spätestens an diesem Punkt, kamen mir grundlegende Zweifel, ob die Damen und Herren des Landesausschusses überhaupt den neuen Paragraphen 34a der Bedarfsplanungsrichtlinie kennen. Dort wird in Absatz 2 klar geregelt, dass die Landesausschüsse selbst festlegen, für welche Bezugsregionen innerhalb eines Planungsbereiches sie die Feststellung von zusätzlichem lokalen Versorgungsbedarf treffen. Als Bezugsregionen können – ich zitiere: „Altkreise, einzelne Verwaltungsgemeinschaften, Städte, Gemeinden oder andere Bezugsregionen gewählt werden.“ Ich frage mich auf welche Regelung vom Bund warten die Damen und Herren Ärzte und Kassenvertreter des Landesausschusses? Noch präziser kann man es doch nicht mehr fassen.
Und an dieser Stelle, meine Damen und Herren, wollen wir unserer Ministerin den Rücken stärken, denn sie hat nach § 90 Abs.4 Satz 2 SGB V die Rechtsaufsicht über den Landesausschuss. Diese Rechtsaufsicht erlaubt ihr keinen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht – in die Sachentscheidungen des Ausschusses – und dies ist auch nicht gewollt. Ihre Aufsicht bezieht sich auf die Geschäftsführung, die Aufgabenerfüllung des Ausschusses. Und die Aufgabe des Landesausschusses ist in § 99 Abs.1 SGB V klar geregelt. Der Landesausschuss hat auf Grundlage der Bedarfsplanungsrichtlinie einen Bedarfsplan zur vertragsärztlichen Versorgung aufzustellen und jeweils der Entwicklung anzupassen. Der Landesausschuss kann sich nicht die Paragraphen der Richtlinie aussuchen und nur das umsetzen, was ihm in den Kram passt. Hier ist das Eingreifen der Ministerin gefordert, denn die Bedarfsplanung soll im Benehmen mit den zuständigen Landesbehörden erfolgen.
Wenn die Maßnahmen gegen den drohenden oder schon vorhandenen Ärztemangel greifen sollen, und derer gibt es einige, meine Damen und Herren, dann müssen die Möglichkeiten der Bedarfsplanung ausgereizt werden. Denn nur wenn ein Bedarf ausgewiesen wird, dürfen sich Ärzte auch niederlassen.
Es ist auch aus einem weiteren Grund wichtig, die Möglichkeiten, die die Bedarfsplanungsrichtlinie bietet, auszureizen. Am 1.1.2010 trat die zweite Stufe der Honorarreform der Ärzte in Kraft. Nachdem 2009 der Punktwert zur Abrechnung ärztlicher Leistungen bundesweit und kasseneinheitlich auf 3,5 Cent festgelegt wurde, drohen den Ärzten 2010 schon wieder Abschläge.
Denn ab 2010 will man die unterschiedliche Verteilung der Ärzte zwischen Großstädten und ländlichem Raum über gestaffelte Honorare in den Griff bekommen. So muss ein Arzt, der in einem überversorgten Gebiet tätig ist, nach einer Übergangszeit mit bereits jährlich steigenden Abschlägen schließlich Abschläge von mind. 7 Prozent beim Punktwert hinnehmen. Für eine Durchschnittspraxis eines Hausarztes mit einem Regelleistungsvolumen von rund 1,45 Millionen Punkten im Quartal bedeutet dies rund 3.500 Euro Mindereinnahmen. Und dies vor dem Hintergrund, dass mindestens 14 Tage vor Quartalsende das festgelegte Regelleistungsvolumen meist ausgeschöpft ist und dieser Hausarzt, wenn er denn seine Praxis offen hält, für nass arbeitet. Ärzte in überversorgten Planungsregionen wo ein zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf festgestellt wurde, bleiben von diesen Abschlägen verschont, ein weiterer Grund, endlich die Möglichkeit der Bedarfsplanungsrichtlinie umzusetzen.
Noch ein paar Worte zum Antrag der Linken und den Punkten 2 und 3 unseres Beschlussantrages. Die Linke möchte die bis zum 31.12.2009 von den Krankenkassen finanzierten Investitionspauschalen zur Praxisübernahme oder -neugründung in unterversorgten Planungsbereichen durch 50.000 Euro vom Land ersetzen. Vom Ansatz her durchaus überlegenswert, doch, und da teilen wir GRÜNEN die Auffassung der Staatsregierung, sollte zuvor die Effektivität der bestehenden Förderprogramme belegt werden.
Und damit bin ich beim Punkt 2 unseres Antrages – Evaluation der bisher erfolgten Maßnahmen. Wir können erst über die finanzielle Förderung der Niederlassung in unterversorgten Planungsbereichen durch den Freistaat entscheiden, wenn wir wissen, wie die am 31.12. ausgelaufene Förderung von 60.000 Euro durch die Kassen gegriffen hat. Ich kann an dieser Stelle nur anmerken, dass z.B. im Raum Erlangen-Nürnberg bis zu 250.000 Euro von Ärzten auf den Tisch geblättert werden, um eine bestehende Praxis zu übernehmen. Und ich glaube nicht, dass dies nur daran liegt, dass diese Ärzte nicht darüber informiert sind, dass sie bei uns u.U. für die Praxisübernahme 60.000 Euro kriegen könnten. Es ist wohl ganz einfach eine Wirtschaftlichkeitsrechnung, die da aufgemacht wird, was bedeutet, dass wir vielleicht mit dem Mittel Investitionspauschale hier gar nicht weiterkommen.
Deshalb: bevor wir über neue Maßnahmen gegen den Ärztemangel diskutieren, müssen wir die bisherigen Maßnahmen überprüfen. Meine Damen und Herren, auch wenn ich davon ausgehe, dass wir das Problem Ärztemangel in Sachsen ohne grundlegende Reformen auf Bundesebene, nicht wirklich lösen können, sollten wir jede Möglichkeit nutzen, um die medizinischen Versorgung in Sachsen zu verbessern. In diesem Sinne bitte ich um ihre Zustimmung.