Gisela Kallenbach: Das EFRE-Programm ist grüner als je zuvor, aber noch lange nicht grün genug!
Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zu den Beschlussempfehlungen des Wirtschaftsausschusses zu "Operationelles Programm des Freistaates Sachsen für den Europäischen Sozialfonds (ESF) und den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in der Förderperiode 2014-2020" (Drs. 5/14070 und Drs. 5/14071)
95. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. April 2014, TOP 6
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
es freut mich, dass wir die Gelegenheit haben, über die Operationellen Programme 2014 bis 2020 zu diskutieren. Dass wir heute über den Stand der Programmplanung besser informiert sind als je zuvor, das feiern wir natürlich auch als grünen Erfolg, den wir 2008 vor dem Landesverfassungsgericht erstritten haben.
Mein Gesamteindruck ist: die Dokumente haben sich in der Qualität, Struktur und Aussagekraft im Vergleich zu den zurückliegenden Förderperioden klar verbessert. Die Konzentration auf weniger Ziele und der hohe Stellenwert für den Klimaschutz sind die Markenzeichen der neuen Förderperiode.
Ich werte es als Erfolg, dass die noch im November 2013 geplanten 160 Millionen Euro für Straßen-Neubauvorhaben auf Druck der EU-Kommission gestrichen wurden. Wir schlagen vor, dass die nun "freien Mittel" teilweise für die Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur eingesetzt werden.
Kurzum: Das EFRE-OP ist grüner als je zuvor. Aber: es ist uns lange nicht grün genug, weil es trotz vieler guter Ansätze auch viele Chancen nicht nutzt.
Stichwort Flächenverbrauch: Machen wir uns nichts vor: Mit dem Großteil des Geldes aus dem EFRE-Topf wird gebaut, Boden versiegelt, Energie und Ressourcen verbraucht. Wir erwarten, dass der Einsatz der EFRE-Fördermittel so gesteuert wird, dass keine oder eine möglichst geringe negative Umweltwirkung entsteht.
Dass dies möglich ist, beweist das OP von Mecklenburg-Vorpommern. Nach dem Motto: Wer die Musik bezahlt, der bestimmt, was gespielt wird, nutzt die dortige Landesregierung zur Steuerung des Fördermitteleinsatzes ein Bonussystem: Wenn das Umweltmanagement eines geförderten Unternehmens zu mehr Ressourcen- und Energieeffizienz führt, bekommt es einen höheren Fördersatz. Das sollte doch auch in Sachsen möglich sein. Wer keine Fläche neu versiegelt, bekommt einen Zuschlag, wer auf der grünen Wiese baut, einen Abschlag.
Offenkundig geht es nicht ohne Anreize. Nach Angaben des Sächsischen Landesamtes für Statistik lag der Anteil von Investitionen von Unternehmen in den Umweltschutz 2012 bei ganzen neun Prozent der Gesamtinvestitionen!
Stichwort energetische Sanierung: Europäisches Ziel ist die Reduzierung der CO2-Emissionen um 20 Prozent bis 2020. 40 Prozent der in Deutschland eingesetzten Energie und 30 Prozent aller Treibhausgase werden für das Heizen oder Kühlen von Gebäuden verwendet. Natürlich begrüßen wir die Förderung der energetischen Sanierung.
Aber: Die üblicherweise eingesetzten Styroporplatten brennen leicht, enthalten giftigen Kleber und lassen sich nur als Sondermüll entsorgen. Wir fordern deshalb, vorrangig langlebige und umweltverträgliche Baustoffe einzusetzen. Ein anderer Weg wäre, dem Eigentümer technikoffen das Erreichen des CO2-Einsparziels zu honorieren, wie von uns mehrfach vorgeschlagen.
Bei aller Freude über die energetische Sanierung muss natürlich der Naturschutz beachtet werden. Häufig werden bei Sanierungen die Nistplätze der Fledermäuse, Mauersegler oder Schwalben beseitigt. Wenige Bauherren oder Handwerker ahnen, dass die Wohnquartiere vieler wildlebender Tiere in Siedlungen geschützt sind. Wir sagen deshalb: Fördermittel darf nur bekommen, wer die Naturschutzauflagen einhält. Das muss in den Förderrichtlinien festgelegt werden. Klimaschutz und Erhalt der Artenvielfalt müssen Hand in Hand gehen.
Stichwort Hochwasser: Wir fordern, dass mit den geplanten Mitteln im Hochwasserschutz mindestens jene 7.500 Hektar Retentionsfläche geschaffen werden, die nach der Flut 2002 schon einmal vorgesehen waren. Bisher wurden nur zwei der ursprünglich 49 geplanten Maßnahmen im naturnahen Hochwasserschutz umgesetzt. Auch der Kirchbach-Bericht zum Hochwasserschutz stellt fest: "Hinsichtlich der Gewinnung von Überschwemmungsflächen ist ein schnelleres Vorgehen angezeigt."
Meine Damen und Herren, die Strukturfonds sind die Chance, beim sächsischen Hochwasserschutz umzusteuern und ihn ökonomisch und ökologisch nachhaltiger zu machen.
Stichwort Verkehr: Positiv bewerten wir die Förderung umweltfreundlicher Mobilität insbesondere in den Städten. Wir lehnen es aber ab, dass als Beitrag zur Vermeidung von CO2-Emissionen EFRE-Mittel in Binnenhäfen investiert werden. Am Beispiel "Hafenausbau in Riesa" wurde durch meine Kleinen Anfragen deutlich, dass ohne Kosten-Nutzen-Analysen jährlich Millionen in Hafenbecken versenkt werden. Deutlich sinnvoller ist die Förderung multimodaler Güterverkehrszentren.
Wir sind für eine Binnenschifffahrt, die den Fluss als Lebensraum respektiert. Flüsse, sofern noch frei fließend wie die Elbe, dürfen nicht ausgebaut, begradigt, gestaut und verbaut werden – auch wegen des Hochwasserschutzes.
Ich komme zum Operationellen Programm für den Europäischen Sozialfonds.
Sachsen hat sich dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel zu stellen. Wir haben zehn Prozent Schulabbrecher, fünf Prozent Langzeitarbeitslose vor allem in benachteiligten Stadtteilen. Nur 60 Prozent beträgt die Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte. Dazu kommen viele Menschen mit Behinderungen und Migrationshintergrund, ja sogar 200.000 Analphabeten, die, wie es so schön heißt, alle miteinander "arbeitsmarktfern" sind.
Nun kann der ESF nicht retten, was in der Bildungs- und Sozialpolitik seit Jahrzehnten schief läuft. Es wird an den Symptomen herumgedoktert, an die Wurzeln geht es nicht: Wer meint, man könne bei der Frühförderung von Kindern und Jugendlichen sparen, muss ein Vielfaches an Mitteln in die Qualifizierung der Erwachsenen stecken, weil sie als Fachkräfte fehlen. Schön, dass der ESF die berufliche Qualifizierung jugendlicher Straftäter fördert – die Frage ist doch aber, warum immer wieder in der Jugendhilfe und in der Prävention gekürzt wird.
Dass der ESF Flüchtlinge als Zielgruppe nicht erwähnt, halten wir angesichts der Aufnahmequoten und der Defizite für bereits lange hier lebende Asylbewerber für unverständlich.
Asylsuchende können sich ohne Zugang zur deutschen Sprache nicht integrieren. Viele kommen aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in den Genuss von Sprachkursen des Bundes. Deshalb fordern wir, ESF-Mittel im Umfang von fünf Millionen Euro pro Jahr für Sprachkurse einzusetzen.
In der Partnerschaftsvereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der EU-Kommission steht: "Migrantinnen und Migranten einschließlich Gruppen wie Flüchtlinge, Asylsuchende, Geduldete bzw. Bleibeberechtigte stehen grundsätzlich alle ESF-Interventionen im thematischen Ziel 9 offen." Und natürlich ist das auch in der ESF-Verordnung entsprechend geregelt.
Ein letztes inhaltliches Stichwort zum ESF. Meine Fraktion hält es weder für sinnvoll noch begründbar, die Förderung von Nachwuchsforschergruppen auf die MINT-Fächer – also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – zu begrenzen. Herausforderungen wie der demografische Wandel in Sachsen erfordern eine verstärkte Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften. Dies sollte im OP explizit benannt werden, zumal die 200 Millionen Euro Budget für die Nachwuchsforscher diesen Spielraum ermöglichen sollten.
Leider, leider, muss ich sagen, verpasst die Staatsregierung auch zahlreiche Chancen in der Programmsteuerung bzw. -verwaltung:
Erstens. Es hätte die Möglichkeit gegeben, die Programme als Multifondsprogramme zu führen und damit die Mittelkombination zu erleichtern. Die Kommission hat vorgeschlagen über Ressortgrenzen hinweg alle Fonds, die zur sozioökonomischen Entwicklung einer Region beitragen, mit gemeinsamen Regeln und Abrechnungsmodi unter ein Dach zu bringen. Das scheint sich mit der Säulen-Architektur der Ministerien nicht zu vertragen. Schade drum. Synergieeffekte wären gerade damit in der integrierten Stadtentwicklung und im ländlichen Raum zu erreichen gewesen. Niedersachsen hat das für EFRE und ESF gemacht – warum kann Sachsen das nicht?
Zweitens. Die Staatsregierung bleibt allein am Steuerrad. Das müsste sie nicht. Die EU-Kommission ermutigt in der Verordnung die Regionen, Kompetenzen für die Programmplanung und –umsetzung auch abzugeben. Die Staatsregierung könnte den Kommunen einen Teil der Verantwortung für die Prioritätsachse Nachhaltige Stadtentwicklung übertragen – sie will es nicht.
Soziale Integrationsmaßnahmen im ESF werden in Thüringen und Niedersachsen von so genannten "EU-Büros der Wohlfahrtsverbände" übernommen. Sie planen und verwalten sogar die Budgets selbst. Auch in Sachsen hätten die Wohlfahrtsverbände das übernommen – keine Chance.
Drittens. Nur in drei Bereichen, in der Stadtentwicklung, bei Risikokapitalfonds und Nachrangdarlehen für kleine und mittelständische Unternehmen werden Finanzinstrumente genutzt. Das ist insofern unverständlich, weil die Hebelwirkung revolvierender Fonds für private Investitionen anerkannt ist. Wenn der Fördermittelstrom nach 2020 abebbt, könnte man aus dem Rückfluss von Darlehen den Grundstock für Nachfolgeprogramme aufbauen.
Viertens: Der bürokratische Aufwand bei der Abrechnung von Fördermitteln bleibt offenkundig in beträchtlichem Umfang erhalten. Entlastung scheint nur die Einführung von Pauschalen zu bieten. Die Staatsregierung verweist dabei gern auf Brüssel. Aber Fakt ist, sie hätte die Sächsische Haushaltsordnung längst mit dem EU-Förderrecht synchronisieren können und müssen. Die Staatsregierung deutete an, sie wolle ein "eigenes Regelwerk" finden. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Ein Wort zum Abschluss:
Wir können froh und dankbar sein, dass wir auch in den kommenden Jahren trotz verbesserter wirtschaftlicher Entwicklung wieder viele Europäische Fördermittel bekommen. Seit 1990 sind das mehr als zwölf Milliarden Euro allein über die Strukturfondsförderung, Programme wie Life+ oder andere nicht eingerechnet.
Vergessen wir aber bitte nicht, dass 27 Prozent der Bewohner der EU in Regionen leben, deren BIP unterhalb der 75-Prozent-EU-Durchschnittsmarke liegt.
Lassen Sie uns aus Sachsen eine Botschaft der Solidarität senden, wenn es um das Verteilen der Gelder geht.
Vergessen wir bitte nicht: Die Europäische Union ist mehr als das Geld aus Brüssel – das ist meine Botschaft für die nächste Legislatur. Es stünde Sachsen gut an, endlich wieder einen eigenständigen Europaausschuss zu haben.