Gisela Kallenbach: Geld allein genügt nicht für Ökolandbau-Förderung – wir brauchen verbandsunabhängige und bezahlbare Beratung

Redeauszüge der Abgeordneten Gisela Kallenbach zum grünen Antrag „Verantwortung wahrnehmen: Ökolandbauberatung in Sachsen fortsetzen“ in der 33. Sitzung des Sächsischen Landtages, 24.03., TOP 6

Kallenbach: Geld allein genügt nicht, um Landwirten zu signalisieren, dass Ökolandbau in Sachsen gewollt ist – wir brauchen eine fachlich fundierte, verbandsunabhängige und bezahlbare Beratungsstruktur
Es gilt das gesprochene Wort!
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Bitte schätzen Sie einmal: wie hoch war der Anteil am Familienbudget für Nahrungsmittel 2009? 11 Prozent. 1950 lag der Anteil bei 44, um 1900 sogar noch bei 57 Prozent.
Bei diesem historisch niedrigen Anteil bleibt selbstredend mehr für die anderen „wichtigen Lebensmittel“: Fernsehgeräte, Computer, Mobiltelefone, Reisen etc. – die wirklich wichtigen „Mittel zum Leben“ wollen viele gern zum Nulltarif im Körbchen haben.
Bei einem überbordenden Angebot an Lebensmitteln zum Dumping-Preis gerät aus dem Blick, dass der Liter Milch nicht für 30 Cent zu produzieren ist. Nicht, wenn es der Kuh, der Landschaft und dem Bauern auch noch gut gehen soll.
Dabei weist der Rat für Nachhaltige Entwicklung darauf hin, dass die Nachfrage der Konsumenten nach nachhaltigen Konsumgütern stetig ansteigt. Wirtschaft, Landwirtschaft und Politik aber ignorieren diesen Trend mehr oder weniger bewusst.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Landwirtschaft. Die intensive Landwirtschaft nimmt mit über 50 Prozent Flächenanteil in Sachsen starken Einfluss auf Natur und Umwelt und trägt ihren Anteil zum Rückgang unserer Tier- und Pflanzenwelt bei. Mit artgerechter Nutztierhaltung, beim Schutz des Bodens, Wassers und der Atmosphäre sind Landwirte besonders in der Pflicht, nachhaltig mit den Grundlagen ihres eigenen Wirtschaftens umzugehen.
Landwirte haben es in der Hand, ob die Bienen unbelasteten Nektar für guten Honig bekommen, oder ob diese sich am pestizidbelasteten Blütenstaub im Raps- oder Maisfeld vergiften. Ich war sehr erschrocken, als sich neulich ein Imker an uns wandte, der mehr als die Hälfte seiner Bienenvölker verloren hatte – und das ist sicher kein Einzelfall.
Landwirte tragen auch Verantwortung für den Schutz des Mutterbodens. Ob der Boden erodiert, wird wesentlich durch die Methoden der Bodenbearbeitung beeinflusst. Erosion ist ein seit Jahrzehnten schleichender Prozess, den ein einzelner Landwirt in seinem eigenen Erwerbsleben vielleicht kaum bemerken mag.
Forschungsergebnisse zeigen, dass „seit dem … Mittelalter auf ackerbaulich genutzten Hängen durchschnittlich 50 cm Boden abgetragen wurden. Die Natur kann aber nur etwa 0,1 mm Boden pro Jahr neu bilden, d.h. dass Boden 4-mal schneller abgetragen als neu gebildet wird“, weiß Sachsens Landesamt für Umwelt und Geologie.
Der ökologische Landbau ist die nachhaltigste Art und Weise, Landwirtschaft zu betreiben. Deshalb setzen wir GRÜNEN uns schon immer konsequent dafür ein, das Wachstum dieser Branche zu unterstützen. Nicht um ihrer selbst willen, sondern weil der Ökobauer einen großen zusätzlichen Nutzen für Mensch und Umwelt erbringt.
Nun hat sich auch der Freistaat Sachsen hat verpflichtet, den Ökolandbau zu fördern und die ökologisch bewirtschaftete Fläche zu erhöhen. Der Landesentwicklungsplan (2003) postulierte, dass bis 2010 zehn Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch bewirtschaftet werden sollen. Traurige 3,5 Prozent sind es tatsächlich geworden – trotz relativ hoher Umstellungszahlungen.
So ist es mit diesem wie mit vielen anderen wohlklingenden politischen Zielen unserer Landesregierung: Vollmundigen Ankündigungen folgt bei näherem Hinsehen mitunter viel heiße Luft. Es liegt doch auf der Hand, nach den Ursachen der Diskrepanz zwischen Förderquote und Umstellungsbilanz zu suchen. Leider ist das nicht geschehen.
Dabei sind schon die 10 Prozent wenig ambitioniert: Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung setzt immerhin ein 20-Prozent-Ziel für den Ökolandbau.
3,5 statt 10 Prozent – das sollte einem aufmerksamen Politiker doch signalisieren: Was wir bisher tun, genügt nicht. Wir müssen mehr tun, besser werden, alle verfügbaren Hebel in Bewegung setzen, um den Ökolandbau nach vorn zu bringen.
Was passiert stattdessen?
Umstellungswillige Landwirte werden verunsichert, weil unser Minister die Agro-Gentechnik befürwortet. Jeder Praktiker weiß, dass ein friedliches Nebeneinander von Ökolandbau auf dem einen Acker und dem Einsatz gentechnisch veränderten Saatguts auf dem Nachbaracker nicht möglich ist. 
Von der mangelnden Akzeptanz bei Verbraucherinnen und Verbrauchern ganz zu schweigen: 65.000 Unterschriften aus dem ganzen Bundesgebiet bewegten vor wenigen Tagen den Bundesrat dazu, einen Antrag mehrerer CDU-geführter Bundesländer zur Aufhebung der Nulltoleranzgrenze für Gentechnik im Saatgut abzulehnen.
Die Verbraucher sind sensibel geworden. Die Skandale um BSE-verseuchtes Rindfleisch, Dioxin in Eiern oder Gammel-Fleisch zeigen: die Konsumenten lehnen diese Art von „Lebensmitteln“ zunehmend ab. Der Trend ist klar:die industrialisierte Landwirtschaft hat zunehmend Probleme, dem Verbraucher verlässlich gesundes Essen auf den Tisch zu bringen.
Man muss es noch einmal laut sagen: Biobetriebe werden engmaschig kontrolliert, um die Verlässlichkeit zu garantieren. Der Einsatz von Futtermitteln aus der Industrie ist verboten. Das gilt auch für Pestizide oder Chemiedüngung.
Bei Bio-Lebensmitteln geht es nicht allein um Nährstoffgehalt und die Freiheit von gesundheitsschädigenden Rückständen. Gesunde Ernährung ist die eine Seite, eine gesunde Umwelt und artgerechte Tierhaltung ist die andere.
Deutschland ist gemäß einer Studie der Universität Bonn der größte Absatzmarkt für Bio-Produkte in der EU. Das könnte super sein, ist es aber für die Erzeuger, die Landwirte leider gar nicht. Die einheimische Landwirtschaft hat in einer boomenden Branche Marktanteile an andere europäische Produzenten verloren.
Gerade Obst und Gemüse, genau jene Lebensmittel, die mit kurzen Wegen und frisch auf den Tisch kommen könnten, werden in besonders großem Maße importiert. Die Rede ist nicht von Bananen oder Zitronen, sondern von Äpfeln und Birnen, Tomaten oder Möhren. Solche überflüssigen Transporte könnte man ja vermeiden, wenn das Produktionspotential vor Ort da ist. Da sind wir wieder bei den Regionalen Wirtschaftskreisläufen, von denen schon gestern die Rede war.
Für uns wiederum ein Symptom einer verfehlten Landwirtschaftspolitik: Schwarz-Gelb blockiert seit 2005 die Umstellungsförderung der Landwirte – und zwar bundesweit. Landwirte anderer EU-Länder handeln anders und nutzen ihre Chancen am deutschen Markt.
Zurück nach Sachsen.
Wo liegen denn die Ursachen, dass wir bundesweit beim Ökolandbau an drittletzter Stelle stehen?
Liegt es an halbherzigen Signalen aus der Politik?
Gegen den Ausstieg aus der Umstellungsberatung haben wir schon 2010 protestiert. Wir halten es angesichts des Entwicklungspotenzials im Ökolandbau für grundverkehrt, dass der Freistaat diese eingestellt hat.
Die in Sachsen relativ hohe Umstellungsförderung ist sicher hilfreich. Aber Geld allein genügt nicht, um Landwirten zu signalisieren, dass Ökolandbau in Sachsen gewollt ist. Ohne eine fachlich fundierte, verbandsunabhängige und bezahlbare Beratungsstruktur fehlt ein wichtiges Glied dieser Kette.
Wir wollen, dass die Beratung unabhängig von den Anbauverbänden ist. Warum? Weil nur 70 Prozent der Ökobetriebe Mitglied in einem der Anbauverbände sind oder sein wollen.
Die Umstellungsberatung muss in Qualität und Effizienz überzeugen. Die Beratungsangebote in effektiven Strukturen zu bündeln, macht es dem Landwirt leichter, bedarfsgerecht und schnell „seinen“ Berater zu finden.
Deshalb wollen wir eine unabhängige Koordinierungsstelle, die durch eine institutionelle Förderung grundgesichert ist.
Sehr geehrte Damen und Herren, eine qualifizierte Umstellungsberatung unterstützt und ermutigt Landwirte, einen arbeitsreichen, aber guten Weg einzuschlagen, den Weg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft, die uns allen nur Vorteile bringt.