Gisela Kallenbach: Miete steigt, Tillich schweigt …

Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zur Aktuellen Debatte der SPD-Fraktion:
"… Bezahlbares Wohnen bleibt komplett auf der Strecke – …"
97. Sitzung des Sächsischen Landtages, 22. Mai 2014, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
das Thema Wohnen ist nicht neu in diesem Hause.
Man könnte auch sagen: „fast täglich grüßt das Murmeltier …“ – die Argumente sind bekannt, die Positionen ausgetauscht. Aber: steter Tropfen höhlt den Stein und vielleicht nimmt eines Tages auch die Koalition wahr, dass Handeln und nicht Verdrängen angesagt ist.
Klar wissen wir alle, Dresden, Leipzig oder Zwickau sind nicht München, Hamburg oder Berlin. Aber erkennbare Entwicklungen muss man mit einer Strategie begegnen. Das heißt vorausschauendes Handeln und nicht späteres Reparieren.
Dabei sind natürlich regionale Unterschiede zu berücksichtigen. Zuzüge hier, Wegzüge da. Leerstand auf der einen, Wohnungsmangel auf der anderen Seite. Die Orientierung an der durchschnittlichen Tiefe des Dorfteichs hilft da wenig. Deshalb: Politik braucht Strategie, denn Taktik hat sie genug!
Wenn in den Städten die Mieten steigen, wenn jeden Tag zehn Wohnungen zwangsgeräumt werden – dann hat das doch Ursachen. Eins ist klar: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich seit Jahren.
Fragen Sie mal in der Schuldnerberatung. Deren Fallzahlen steigen! Und dass es in Sachsen seit 2008 keine Statistik zur Obdachlosigkeit mehr gibt, heißt ja nicht, dass es keine Obdachlosen mehr gibt.  
Wohnen ist ein Grundrecht – nach der UN-Menschenrechtserklärung (Art. 25) und der Europäischen Sozialcharta. Um dieses Grundrecht muss gekämpft werden. Immer wieder neu.
Ein Dach über dem Kopf ist ein knappes Gut. Es kann nicht wie eine normale Ware gehandelt werden.
Das gilt nicht nur in Sachsen. In allen EU-Mitgliedstaaten ist bezahlbares Wohnen ein Thema. Schon während meiner Zeit im Europäischen Parlament haben wir gesagt: Es muss eine Balance zwischen sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Effizienz geben. Der Mietwohnungsmarkt stabilisiert den gesamten Wohnungsmarkt. Er vermeidet, dass sich Geringverdiener über Immobilienkäufe verschulden wie heute wieder in England.
Was haben die Lobbyisten aus der Immobilienbranche versucht, politische Regulierung kaputt zu reden. Was haben sie die Mietpreisbremse verteufelt. Ganz offenkundig hat sie dem Neubau aber gar nicht geschadet.
Seit zehn Jahren wurde laut Statistischem Bundesamt nicht mehr so viel Wohnungsneubau genehmigt wie 2014 – im reinen Mietwohnungsbereich sind es sogar 27 Prozent mehr als im Vorjahr, 64.000 neue Wohnungen allein im ersten Quartal 2014.
Die große Frage bleibt, wer sich letztendlich diese Wohnungen leisten kann.
Der Freistaat ist eines der Bundesländer, die aktuell kein Gesetz zur Wohnraumförderung bzw. Wohnraumbindung haben. Dabei ist es staatliche Pflicht, auch jenen Menschen angemessenes Wohnen zu sichern, die es allein aus eigener Kraft nicht sicherstellen können, weil z.B. die Kurve bei den ortsüblichen Vergleichsmieten in Sachsens Großstädten deutlich steigt. Das ist noch keine Fieberkurve, aber erhöhte Temperatur.
So werden in Leipzig-Plagwitz schon 10 Euro Grundmiete aufgerufen – die ortsübliche Vergleichsmiete liegt dort bei 6,44 €, in manchen Stadtteilen bei 7,75 €. Der für die Miete aufzuwendende Einkommensanteil (Leipzig) ist mit den Jahren immer stärker gestiegen: bis zu 45 Prozent bei Erwerbslosen, bis zu 35 Prozent bei Einkommensbeziehern.
Ich fasse zusammen: Der Freistaat muss
a) seinen Gestaltungsspielraum nutzen – den Anstieg der Bestandsmieten in den Ballungsräumen auf 15% begrenzen und
b) sich im sozialen Wohnungsbau engagieren.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.