Gisela Kallenbach: Wer jetzt vorausschauend handelt, beugt Segregation und Gentrifizierung vor

Redebeitrag von Gisela Kallenbach zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Konsequenzen aus der Mietrechtsänderung ziehen – Kappungsgrenzen für Mietpreiserhöhungen in Sachsen von 20 auf 15 Prozent in drei Jahren absenken"" (Drs. 5/11529), 74. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. April 2013, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

das Thema Wohnraum hat nicht nur dieses Haus in den letzten zehn Jahren öfter beschäftigt, insbesondere wenn es um Leerstand oder Abriss ging. Auch das Europäische Parlament hat eine Charta für ein Grundrecht auf angemessenen Wohnraum verabschiedet. Schließlich braucht der Mensch neben Nahrung und Kleidung eine Wohnung zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.

Nun wissen wir, dass sich die Ausstattung und Qualität der Wohnungen in unserem Land in den beiden letzten Jahrzehnten entscheidend verbessert hat und es auch ein durchaus befriedigendes Angebot in unterschiedlichen Preissegmenten gab. Das ist eine grundsätzlich positive Entwicklung.

Allerdings gibt es auch bei uns ernst zu nehmende Anzeichen, dass sich die Lage in bestimmten Stadtteilen der Großstädte, aber auch in Mittelstädten ändert. Wohnraum wird knapper. In bestimmten, bevorzugten Stadtteilen hat sich die Miete bei Neuvermietung in nur einem Jahr um bis zu 15 Prozent erhöht, im Bestand um bis zu acht Prozent. Hartz-IV-Empfänger bekommen dort keinen Wohnraum mehr, weil die Preise durch die Kosten der Unterkunft (KdU) nicht getragen werden.

Solche Meldungen kennen wir bisher nur aus westdeutschen Großstädten.

Nun hören wir immer wieder – auch in diesen Plenartagen zur Genüge – in Sachsen ist alles bestens und Änderungsbedarf wird nicht gesehen. Wir aber sagen: Wehrt den Anfängen. Vorbeugen ist besser als Heilen.
Aus diesem Grund geben wir der Staatsregierung mit diesem Antrag das Signal zum Handeln.

Nutzen Sie die Möglichkeit, die den Ländern auf Grund der auf Bundesebene zum 1. Mai 2013 in Kraft tretenden Mietrechtsänderung gegeben ist. Im Einzelfall kann die Mieterhöhung im Bestand innerhalb von drei Jahren auf maximal 15 statt der üblichen 20 Prozent begrenzt werden.

Wir möchten, dass die Staatsregierung eine solche mögliche Rechtsverordnung für die Gebiete in Sachsen erlässt, in denen (ich zitiere aus dem Bundesgesetz:) "die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist".

Nochmals, sehr geehrter Herr Staatsminister Ulbig, es geht um vorausschauendes Handeln. Es ist mittlerweile nicht mehr so, dass es in Sachsen flächendeckend einen entspannten Wohnungsmarkt gibt.

Ich empfehle einen differenzierten Blick in unsere sächsischen Groß- und Mittelstädte: Die Stadt Leipzig geht von einer durchschnittlichen Kaltmiete von mittlerweile etwas über fünf Euro pro Quadratmeter aus. Bezogen auf das geringe Leipziger Durchschnittseinkommen kann ein solcher Mietpreis bereits schmerzen.

In Leipzig-Plagwitz stieg die Kaltmiete im vergangenen Jahr um 13 Prozent auf mittlerweile mehr als sechs Euro je Quadratmeter, in Leipzig-Reudnitz um sechs Prozent auf mittlerweile 5,50 Euro je Quadratmeter. Für Menschen mit geringen und inzwischen auch mittleren Einkommen wird es in diesen ehemaligen Arbeiterquartieren immer schwieriger, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

Laut dem Monitoringbericht 2011 der Stadt Leipzig beträgt der Anteil der Miete einschließlich der Heizungs- und sonstigen Mietkosten mittlerweile mehr als ein Drittel der Haushaltsnettoeinkommen. Die Zahl der Haushalte, die mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen aufwenden müssen, steigt bedenklich an.

Schauen wir nach Dresden: Aufgrund des Zuzugs, der gestiegenen Geburtenrate und des Rückbaus von Wohnungen sank die Leerstandsquote in den vergangenen acht Jahren um knapp zehn Prozent. Die Dresdner Wohnungsgenossenschaften kennen praktisch keinen Leerstand mehr. Preiswerter Wohnraum ist Mangelware.

Mittlerweile ist die Durchschnittsmiete in der Stadt im Bestand auf 5,50 Euro je Quadratmeter gestiegen.

Wer heute in Dresden eine neue Wohnung sucht, muss durchschnittlich 6,40 Euro je Quadratmeter auf den Tisch legen. Wohlgemerkt wir reden hier immer von der Kaltmiete. Im Plattenbaugebiet Gorbitz-Süd stieg die Kaltmiete allein 2012 um zehn Prozent auf mittlerweile mehr als 5,65 Euro je Quadratmeter, in Löbtau-Süd um sieben Prozent auf 6,40 Euro je Quadratmeter, beides bei Weitem keine Luxusviertel.

Aber auch in Chemnitz muss man am Kaßberg, in Siegmar, Kleinolbersdorf-Altenhain oder Rabenstein bereits durchschnittlich 5,70 Euro pro Quadratmeter bezahlen. Allein in Chemnitz-Siegmar gab es 2012 eine Steigerungsrate um sechs Prozent.

Solche Steigerungsraten der Angebotsmieten für Neuvermietungen haben Folgen auf den Mietspiegel und ziehen auch die Bestandsmieten nach oben.

Ja, die sächsischen Kaltmieten mögen im bundesweiten Vergleich mit Frankfurt, München und Hamburg noch moderat sein. Das sind (freundlich formuliert) aber auch die hiesigen Einkommen. Wenn wie in Leipzig die Haushalte über durchschnittlich lediglich ca. 1.400 Euro im Monat verfügen, dann droht bei ungebremster Mietsteigerung eine Zunahme von Räumungsklagen und Zwangsräumungen auch hier im Land.

Ich denke Sie alle haben in den Nachrichten der letzten Tage verfolgen können, welche Folgen eine solche Räumung in Berlin hatte. Für die Betroffenen ist es ein hochtraumatisches Erlebnis, plötzlich von Obdachlosigkeit und der Willkür anderer bedroht zu sein.

Die Folgen sind auch grundlegende Veränderungen von Stadtvierteln. Erste Tendenzen zur Verdrängung einkommensarmer und sozial benachteiligter Menschen aus bestimmten Quartieren sind offensichtlich. Wenn das Problem jetzt nicht ernsthaft und grundsätzlich angegangen wird, droht aus unserer Sicht langfristig die soziale Segregation.

Das kann man verhindern, wenn der politische Wille dafür vorhanden ist. Es ist unsere Pflicht, mithilfe uns zur Verfügung stehender Steuerungsmöglichkeiten für eine soziale Durchmischung aller Wohnviertel zu sorgen. Die Festlegung der Kappungsgrenzen, die uns das Mietrechtsänderungsgesetz einräumt, ist eine solche.

Für Neuvermietungen hat der Bundesgesetzgeber eine solche Kappungsgrenze leider nicht vorgesehen, so dass in den Ballungsräumen weiter von deutlich steigenden Kaltmieten auszugehen ist.

Werte Kolleginnen und Kollegen, nochmals: dass der Wohnungsmarkt in Sachsen sehr differenziert ist, ist meiner Fraktion bewusst. Genau deshalb bitte ich Sie, in den wirklich von erheblichen Mietsteigerungen betroffenen Gebieten den mit dem Bundesgesetz gegebenen Freiraum zu nutzen. Wenn in einigen Stadtteilen innerhalb von drei Jahren die Kaltmiete durchschnittlich um zwölf Prozent steigt, dann gibt es in diesen gleichen Stadtteilen Spitzen der Mieterhöhung von deutlich über 15 Prozent innerhalb von drei Jahren. Um genau diesen Wohnraum geht es in unserem Antrag.

Wer jetzt vorausschauend handelt, beugt Segregation und Gentrifizierung vor.
Wir wollen nicht, dass nur noch bestimmte Bevölkerungsgruppen sich bezahlbaren, angemessenen Wohnraum leisten können. Wir gehören mit unserer Vergütung als Abgeordnete dazu – viele andere würden ausgeschlossen. Das ist nicht vermittelbar.
Springen Sie über Ihren Schatten im Interesse der sächsischen Mieterinnen und Mieter und stimmen Sie unserem Antrag zu.

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