Gisela Kallenbach zur Städtebauförderung: Die Staatsregierung sollte die Kürzungspolitik nicht mitmachen und die Kofinanzierungsmittel auf dem Niveau von 2010 halten

Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zum Grünen Antrag „Abwicklung der Städtebauförderung in Sachsen verhindern – städtische Dimension stärken“ (Drs 5/3416) in der 20. Sitzung des Sächs. Landtages, 02.09., TOP 12
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, insbesondere werte Damen und Herren der Koalition,
die Bundesregierung hat ihren Haushaltsentwurf für 2011 beschlossen. Mit diesem Haushalt wird die Städtebauförderung als Steuerungsinstrument des Bundes de facto abgeschafft.
Förderprogramme wie Stadtumbau Ost und West, Soziale Stadt und städtebaulicher Denkmalschutz stehen auf der Streichliste des Bundes. Von über 500 Mio. Euro Fördermitteln des Bundes verbleiben gerade noch 290 Mio. Euro. Wenn man die dann entfallende Kofinanzierung von Ländern und Kommunen  hinzurechnet, reden wir über ein Defizit von 900 Millionen Euro in der Förderung des Städtebaus.
Rechnet man hoch, dass jeder Euro staatlicher Fördermittel mindestens 3 Euro Investitionen nach sich zieht, dann werden jährlich 2,7 Milliarden Euro weniger in die Stadtentwicklung fließen.
Mit der radikalen Beschneidung dieser effektiven, lokal und regional hochwirksamen „Konjunkturprogramme“ werden bundesweit 300.000 Arbeitsplätze gefährdet; Steuerausfälle sind vorprogrammiert. Wie sich das Bild unserer Städte in unter diesen Bedingungen in – sagen wir – zehn Jahren darstellt, mag ich mir jetzt gar nicht ausmalen. Worauf kommt es jetzt an?
Ihnen allen sollte klar sein, dass jetztüber die Zukunft der Stadtentwicklung in Deutschland entschieden wird. Die Bürger dieses Landes erwarten von Ihnen, dass Sie sich beim Bund für die Rücknahme dieser Sparorgie einsetzen. Der Staatsminister Ulbig hat es getan und wird es mit unserem Votum versehen, bestimmt noch vehementer auf der Sonderkonferenz der Bauminister tun.
Dazu gehört aber ganz explizit auch, sehr geehrte Mitglieder der Koalitionsfraktionen, sich an Ihre sächsischen Parteifreunde im Bundestag zu wenden, um ihnen den Ernst der Lage klar zu machen!
Die Einzelpläne werden nach dem gestrigen Beschluss zum Haushaltbegleitgesetz erst im den nächsten Monat beschlossen – noch ist also Zeit für Einflussnahme!
Mit der Mittelkürzung wird eine konzeptionelle Rolle rückwärts vollzogen. Es droht nicht nur die finanzielle Basis wegzubrechen, sondern auch das gesamte methodische Know How als Grundlage für:
– die Konzentration der Fördermittel in problematischen Stadtgebieten
– das integrierte, koordinierte Verwaltungshandeln
– die Förderung von innovativen Ansätzen

Die Städtebauförderung ist das wichtigste Instrument, um die notwendige Anpassung der Städte an Prozesse wie den demografischen Wandel und den Klimawandel zu bewältigen. Wenn man verödete Innenstädte beleben, identitätsstiftende, historische Bausubstanz erhalten und den sozialen Frieden in den Städten bewahren will, braucht es eine kluge Stadterneuerung als langfristig angelegten, ganzheitlichen Prozess.
Die Kommunen alleine können das nicht stemmen. Hier muss der Freistaat den Städten unter die Arme greifen.
Die Staatsregierung sollte den Kommunen jetzt klar signalisieren: Der Freistaat wird die Kürzungspolitik nicht mitmachen und wird gleichzeitig den sächsischen Anteil der Kofinanzierungsmittel bei der Städtebauförderung mindestens auf dem Niveau von 2010 halten.
Das wäre ein Wort!

Im Europaparlament habe ich dafür gekämpft, dass die Bedeutung der Städte für eine nachhaltige Entwicklung in Europa anerkannt wird. Die Verabschiedung der Leipzig Charta (im Jahre 2007) hat die Bedeutung einer nachhaltigen integrierten Stadtentwicklung unterstrichen.
Die Europäische Kommission hat mit Unterstützung des Parlaments nach den Programmen URBAN I und II die Stadtentwicklung in den Förder-Katalog der Regionalentwicklung übernommen. Welch große Chance für die Städte und Regionen! Und wie schade, dass die Regionen diese Chance mitunter so verkennen. So auch Sachsen:
Im bundesweiten Vergleich setzt Sachsens Operationelles Programm für 2007-2013 den größten Schwerpunkt auf Verkehrsinfrastrukturprojekte. Und dabei vor allem auf den Straßenbau. Weniger als 4% der Mittel entfallen auf die Nachhaltige Stadtentwicklung.
Das wollen wir mit Ihrer Unterstützung ändern und eine deutliche Aufstockung der EFRE-Mittel für eine integrierte nachhaltige Stadtentwicklung erreichen.

Wenn Fördermittel knapper werden, dann darf nur noch in nachhaltige Maßnahmen investiert werden. Unbezahlbare Straßenbauten mit hohen Folgekosten gehören nicht dazu!
Sicher ist die Frage berechtigt, warum der Stadtentwicklung ein solch hoher Stellenwert zukommen soll. Ich möchte Ihnen gern folgende Fakten in Erinnerung rufen:

  • 75 Prozent der Europäer wohnen in Städten mit mehr als 5.000 Einwohnern. In Sachsen sind es 67,9 Prozent
  • Stadtbewohner verbrauchen achtzig Prozent der natürlichen Ressourcen (weltweit). Sie verursachen einen großen Teil der globalen CO2-Emissionen. Der Verkehr in den Städten ist für 70% aller klimaschädlichen Emissionen verantwortlich.
  • Zugleich haben die Städte enorme Einsparpotenziale. Hier werden sich die Entwicklungen entscheiden- ob im Energiesektor, im Verkehr, in der Flächenpolitik.
  • Wir erleben es immer häufiger: Städte sind verletzlich. Die Folgen des Klimawandels wie Hitzewellen, Hochwasser, Waldbrände etc. treffen Städte in unterschiedlicher Stärke. Städte brauchen eine präventive Raumplanung, die Risiken und Schadenspotenziale reduziert
  • Städte sind Orte der wirtschaftlichen Entwicklung und Innovation, Zentren der Bildung, Kultur und Wissenschaft. Zugleich ballen sich soziale Unterschiede.

Wir haben an den Ereignissen in den französischen Banlieus gesehen: soziale Ausgrenzung und verfehlte Integrationspolitik rufen Gewalt hervor. Mit zahlreichen negativen Folgen für die öffentliche Sicherheit in den Städten.
Mit Genugtuung nehmen wir zur Kenntnis, dass die Staatsregierung beim Stadtumbau endlich stärker in die Aufwertung statt in den Abriss investieren will. Gerade mit diesem – richtigen – Kurswechsel gilt es künftig Bürger und Eigentümer stärker einzubeziehen. Die Bürgerschaft will und muss sich über die Entwicklung ihres Stadtteils verständigen, wenn sie selbst initiativ werden und mit investieren soll. Diese Moderationsleistung aber erbringen nicht die Sanierungsträger oder Baufirmen, sondern die Stadtteil- und Quartiersmanager!
Dort muss weiter gefördert werden, notfalls auch unabhängig vom Bund.
Herr Staatsminister Ulbig, diesen nichtinvestiven Bereich hatte Ihr Haus bisher begrenzt. Das Umsteuern in diesem Punkt begrüßt meine Fraktion ausdrücklich!
Ich möchte die Debatte um die Förderprogramme nutzen, um abschließend auf zwei erkennbare Webfehler der sächsischen Stadtentwicklungspolitik hinzuweisen:
Dem Wohnungsabriss in Sachsen steht eine unverändert hohe Neubauquote von ca. 45.000 Wohneinheiten auf der „Grünen Wiese“ gegenüber.
Als Voraussetzung für einen nachhaltigen Stadtumbau muss die Zersiedelung wirkungsvoll gedämpft werden. Wir sehen dabei im Zusammenhang mit der Förderpolitik einen starken staatlichen Hebel: die Rückbauförderung muss mit dem Verzicht auf die Ausweisung von Neubaugebieten in Stadtrandlagen gekoppelt sein. Eine Gemeinde, die im Kern Bausubstanz abreißen will, darf nicht am Ortsrand neu bauen. Der Rückbau muss konsequent von außen nach innen erfolgen.

Nachhaltige Lösungen für die demographischen und ökologischen Probleme in der Stadtentwicklung erfordern nicht nur gewaltige investive, soziale und kulturelle Anstrengungen, sondern auch Stehvermögen.  Die öffentliche Diskussion über die Zukunft unserer Städte ist überfällig und muss weit über den heutigen Tag hinaus geführt werden.