Herrmann: Das Staatsziel Tierschutz darf keine „Verfassungslyrik“ bleiben
Redebausteine der Abgeordneten Elke Herrmann zum Gesetzentwurf der GRÜNEN-Fraktion
"Sächsisches Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine"
95. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. April 2014, TOP 3
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
am 1. August 2002 wurde der Artikel 20a im Grundgesetz um drei Worte erweitert. Der Staat verpflichtet sich seitdem, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen – "und die Tiere". Das Staatsziel Tierschutz darf keine "Verfassungslyrik" bleiben.
Bei seiner Antrittsrede hat der Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) im Februar erklärt, dass er sich für eine Verbesserung des Tierwohls einsetzen und entsprechende Maßnahmen einleiten wolle. Erste Schritte hierzu wurden am Wochenende von den Agrarministern von Bund und Ländern gemacht.
Noch immer fehlt in Sachsen ein entscheidendes Instrument zur Umsetzung des Staatsziels Tierschutz. Derzeit stehen Tierschutzverbände Verstößen gegen den Tierschutz, denken Sie an die Einhaltung von im Tierschutzgesetz festgelegten Haltungsbedingungen, fast machtlos gegenüber. Tieren werden unnötige Qualen zugefügt, ohne dass dagegen rechtlich zufriedenstellend vorgegangen werden kann.
Im deutschen Rechtssystem kann nur klagen oder einen Widerspruch in einem Verwaltungsverfahren einlegen, wer in seinen eigenen Interessen berührt ist. Das ist ausschließlich bei den Tiernutzern der Fall. Tiere sind davon naturgemäß ausgeschlossen. Das bedeutet: Es kann gegen ein vermeintliches Zuviel an Tierschutz, nicht aber gegen ein Zuwenig geklagt werden. Das ist ein rechtliches Ungleichgewicht. Und dieses Ungleichgewicht hat eine Durchsetzungsschwäche des Tierschutzes in der Praxis zur Folge.
Nach nun mehr zwölf Jahren muss auch in Sachsen der Tierschutz einen rechtlichen Rahmen bekommen. In unserem Gesetzentwurf wird das Verbandsklagerecht umfassend geregelt. Der Entwurf sieht neben dem Klagrecht mehr Transparenz vor. Anerkannte Tierschutzverbände müssen künftig bei der Planung von Verordnungen und Rechtsvorschriften sowie bei Genehmigungsverfahren, die den Tierschutz betreffen, von der Verwaltung informiert werden. Sie haben das Recht, sich zu äußern und Stellungnahmen anderer einzusehen. Tierschutzorganisationen bekommen ein sogenanntes Mitwirkungsrecht. Sie sind danach verpflichtet, mit der zuständigen Behörde zusammenzuarbeiten, aber sie bekommen dazu eben auch die rechtlich gesicherte Möglichkeit. Die Nutzung dieser Mitwirkungsrechte ist der erste Schritt. Nur wenn die Behörde den Eingaben nicht folgt, ist eine Klage überhaupt erst möglich. Die Behörden (wie Veterinäramt, Ordnungsamt, Bauamt) sind es, die die gesetzlichen Ansprüche der Tiere umsetzen.
Damit steckt der Gesetzentwurf den Rahmen für ein faires rechtsstaatliches Verfahren ab, damit künftig auf der Basis des Tierschutzgesetzes ein fundierter Abwägungsprozess zwischen Tier- und anderen Interessen überhaupt erst möglich ist.
In besonderen Fällen, z. B. bei Tierversuchen, eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, grundsätzliche tierschutzrechtliche Fragestellungen anhand eines sogenannten Musterverfahrens gerichtlich klären zu lassen.
Ich kann immer nur wieder betonen, dass aufgrund der frühzeitigen Beteiligung der Tierschutzverbände in tierschutzrelevanten Genehmigungsverfahren keine Gefahr einer Klageflut besteht. Durch die Beteiligung der anerkannten Tierschutzverbände sind die gesetzlichen Vorgaben des Tierschutzes in das Verfahren eingeflossen. Im Gegenteil: solch fachlich untersetztes und transparentes Verfahren sorgt für mehr Akzeptanz der Entscheidungen. Es werden ja keine zusätzlichen Forderungen gestellt, sondern nur die schon festgelegten Normen im Tierschutzgesetz umgesetzt.
Das Gesetz wird also eine starke präventive Wirkung entfalten. Es ist nämlich zu vermuten, dass die Behörden zur Vermeidung von Verwaltungsaufwand durch Widerspruch der Tiernutzer bisher tierschützerische Bedenken hintan gestellt haben. Aus dieser Richtung hatten und haben die Behörden ja – außer in juristischer Hinsicht nicht bedeutsamen Protestes – nichts zu befürchten. Mit unserem Gesetz werden Amtstierärzte wohl frühzeitiger und auch effizienter handeln, weil auch von der Tierschutzseite rechtliche Schritte eingeleitet werden können.
Und denken Sie dabei nicht nur an Anlagen der Massentierhaltung. Ein zunehmendes Problem stellt Animal Hoarding – neuerdings in den USA als Krankheit anerkannt – dar. Hier ist schnelles und nachhaltiges Handeln der Behörden wichtig. Also Kontrolle des angezeigten Sachverhalts, Erteilung von Auflagen, Kontrolle der Auflagen bis hin zur Untersagung der Tierhaltung. Einem Alkoholiker stellt man ja auch keinen Kasten Bier hin. Nur schadet der sich in erster Linie selbst. Bei Animal Hoarding sind unsere Mitgeschöpfe betroffen, die unter unglaublichen Bedingungen gehalten werden. Oder denken Sie an nicht erlaubte Zucht – besser gesagt Vermehrung – zum Zwecke des Verkaufs von Welpen an unbedarfte Tierfreunde. Ohne Sachkundenachweis und Erlaubnis nach §11 Tierschutzgesetz wird da wirklich gewissenlos gehandelt. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben, indem wir Handeln auf der Grundlage des Tierschutzgesetzes einfordern und notfalls eben durch Klage durchsetzbar machen.
Viele Beispiele wären noch zu nennen – Pelzfarm in Seelitz – und die Tierschutzverbände haben sich ja in der Vergangenheit auch mit weiteren Fällen an Mitglieder unseres Parlamentes gewandt.
Wir brauchen ein Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände, um dem Staatsziel Tierschutz gerecht zu werden. Ich hoffe, dass wir uns im parlamentarischen Verfahren auf die Einführung verständigen können.