Jennerjahn: Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag sorgt schon vor In-Kraft-Treten für eine Einschränkung der Meinungsvielfalt im Internet
Wer im Internet mit Alterskennzeichnungen und Sendezeiten Inhalte von Kindern und Jugendlichen fernhalten will, der hält sich auch die Augen zu, um nicht gesehen zu werden
Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur 2. Lesung des Entwurfs „Gesetz zum Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, zur Änderung des Sächsischen Gesetzes zur Durchführung des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland und zur Änderung des Sächsischen Privatrundfunkgesetzes“ in der 25. Sitzung des Sächsischen Landtages, 14.12., TOP 3
Es gilt das gesprochene Wort!—————————————————————————-
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Bereits im Mai haben wir in diesem Hohen Haus über den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag diskutiert. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, ob die vorgesehenen Maßnahmen einen wirksamen Jugendmedienschutz generieren.
Seitdem ist einiges passiert. Die Ministerpräsidenten unterzeichneten im Juni den Vertragsentwurf, im September fand im zuständigen Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien die öffentliche Anhörung statt. Das daraus resultierende demokratische Defizit, dass eine Anhörung durch den zuständigen Landtagsausschuss erst statt findet, wenn der Vertrag bereits unterzeichnet ist, eine inhaltliche Einflussnahme also nicht mehr möglich ist, werde ich an dieser Stelle nicht weiter vertiefen, benannt haben wollte ich es zu Beginn gleichwohl.
Leider haben die zahlreichen Bedenken, die es gegen die Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages gibt, keinerlei Eingang in den nun vorliegenden Entwurf des Vertrages gefunden. Noch immer sollen die bereits 2003 eingeführten Sendezeiten im Internet erhalten bleiben, noch immer geht es um die neu hinzukommenden Alterskennzeichnungen, die de-facto eine Kennzeichnungspflicht für alle Inhalte-Anbieter nach sich ziehen, da Filtersoftware zum Einsatz kommen soll, welche die Alterskennzeichnung automatisch auslesen kann.
Nun war die Ausschussanhörung im September äußerst spannend. Neben dezidierten Befürwortern und Gegnern des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags war mit Prof. Federrath auch ein Informatiker anwesend, der sich politischer Stellungnahmen weitgehend enthalten und sich vor allem auf die technischen Aspekte konzentriert hat.
Prof. Federrath kommt dabei zu eindeutigen Aussagen:
«Alterskennzeichnung ist eine Information und selbst kein Schutzsystem. Die Filterung kann als Zensurinfrastruktur verstanden werden. Technisch gesehen ist sie das auf jeden Fall. Es käme auf eine vernünftige Anwendung an. Allerdings sind die Filtermechanismen nach Auffassung eines Informatikers im Wesentlichen unwirksam, weil sie durch Proxys, automatisierte Downloads und der Replikation von Inhalten in sogenannte Black Networks […] leicht umgangen werden können.»
Und weiter:
«Wir werden sicherlich unser Gefühl verbessern. Inhaltlich wird sich durch die Jugendschutzprogramme nichts verbessern.»
Auch das Sendezeiten-Modell, also den Versuch entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte nur zu bestimmten Tageszeiten ins Internet zu stellen, ist aus technischer Sicht vollkommen wirkungslos.
Anders ausgedrückt: Wer im Internet mit Alterskennzeichnungen und Sendezeiten Inhalte von Kindern und Jugendlichen fernhalten will, der hält sich auch die Augen zu, um nicht gesehen zu werden.
Das sind die technischen Unzulänglichkeiten. Es gibt jedoch auch Probleme in der praktischen Umsetzung.
Zwar generiert der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ab dem 1. Januar 2011 für Inhalte-Anbieter eine faktische Pflicht zu Alterskennzeichnungen, die für zugelassene Jugendschutzprogramme auslesbar sein müssen, die entsprechenden Programme existieren jedoch noch gar nicht. Es ist schon absurd, etwas gesetzlich einzufordern, was technisch nicht umsetzbar ist.
Ein weiteres Problem: Der Charakter des Internets hat sich seit dem letzten Jugendmedienschutz-Staatsvertrag aus dem Jahr 2003 erheblich verändert. Der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag hat diese Veränderungen des Internets schlichtweg nicht mit vollzogen. Jeder kann heute Inhalte im Internet anbieten. Die Zeiten, als kommerzielle Anbieter mit entsprechender wirtschaftlicher Potenz das Internet dominierten, sind vorbei. Für die vielen privaten Blogger, und nicht-kommerziellen Inhalte-Anbieter stellen die Vorgaben des JMStV schlichtweg eine Überforderung dar. Ohne die entsprechende Fachkompetenz ist es kaum möglich einzuschätzen, für welche Altersgruppe die zur Verfügung gestellten Inhalte geeignet sind. Ein Experiment des AK Zensur verdeutlicht diese Problematik. Bei diesem Experiment sollten Nutzer Webinhalte einschätzen. Laut AK Zensur lagen rund 80Prozent der 12.000 abgegebenen Stimmen falsch.
Das negative Potential des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages zeigt sich bereits jetzt, obwohl er noch gar nicht in Kraft getreten ist. Die ersten Blogs haben angekündigt zum 31. Dezember 2010 den Betrieb einzustellen, weil sie nicht wissen, wie sie den Anforderungen des JMStV rechtssicher gerecht werden sollen und die damit verbundenen juristischen Auseinandersetzungen fürchten. Der JMStV sorgt also schon vor In-Kraft-Treten für eine Einschränkung der Meinungsvielfalt im Internet.
Die Jugendschutzprogramme bergen ein weiteres Problem. Eltern werden sich bei nicht gekennzeichneten Inhalten zunächst einmal pauschal entscheiden müssen, ob sie die Inhalte durchlassen oder nicht. Das betrifft den überwiegenden Teil der Angebote im World Wide Web, da ausländische Seiten nicht gekennzeichnet sind. Wird gefiltert, werden reihenweise unproblematische Inhalte darunter auch pädagogische Inhalte blockiert. Eine deutliche Einschränkung der Informationsfreiheit. Oder alle Inhalte werden durchgelassen, so dass auch problematische Inhalte nicht gefiltert werden. Mit den Filterprogrammen wird den Eltern also eine Sicherheit suggeriert, die die Programme nicht leisten können.
Uns allen ist klar, dass das Thema Jugendschutz sehr wichtig ist. Beim vorliegenden Jugendmedienschutz-Staatsvertrag überwiegt leider die Gefahr, dass unter dem Etikett des Jugendschutzes eine massive Beschränkung des Freiheitsraums Internets statt findet, obwohl kein effektiver Jugendschutz generiert wird.
Der vorliegende Entwurf des JMStV setzt auf weitgehend wirkungslose technische Maßnahmen, anstatt Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen, aber auch von Eltern und Pädagogen zu fördern. Meine Fraktion wird den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag daher ablehnen.
» Entschließungsantrag zum ‚Gesetz zum Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, zur Änderung des Sächsischen Gesetzes zur Durchführung des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland und zur Änderung des Sächsischen Privatrundfunkgesetzes‘