Jennerjahn: Wir GRÜNE sind der Auffassung, dass das Prinzip der Leistung aus einer Hand erhalten bleiben muss

Redemanuskript des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum Antrag der SPD-Fraktion „Chaos in der Arbeitsmarktpolitik bei der SGB II Neuordnung verhindern (Drs. 5/1493) in der 9. Sitzung des Sächsischen Landtages am 10. März 2010, TOP 7

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,
seit 2007 weiß die Bundesregierung, dass sie im Falle der Arbeitsgemeinschaften von Bund und Kommunen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende tätig werden muss. Union und SPD haben sich über die Reform der Job-Center zerstritten und die notwendige Neuordnung nicht angepackt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich bisher ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert.
Wir Grüne sind der Auffassung, dass das Prinzip der Leistung aus einer Hand erhalten bleiben muss. Wir sind nicht bereit, den Weg in die sozialpolitische Steinzeit der getrennten Trägerschaft mitzugehen.
Angesichts der steigenden Zahl an Arbeitslosen infolge der Finanzmarkt- und Konjunkturkrise wäre eine zügige Lösung das Gebot der Stunde gewesen, denn die Grundsicherung hat gleich zwei wichtige Funktionen: eine arbeitsmarktpolitische und einen sozialpolitische. Sie soll zur sozialen Teilhabe und zur gesellschaftlichen Integration beitragen.
Fast die Hälfte der erwerbsfähigen Arbeitslosengeld-II-Bezieher ist bereits länger als ein Jahr arbeitslos, der Anteil der Geringqualifizierten ist hoch. Bei vielen wird die Lebenssituation durch Krankheit, familiäre Probleme oder Schulden verschärft. Andere wie zum Beispiel HochschulabsolventInnen haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I und sind daher auf die Grundsicherung angewiesen.
Wir haben es mit einer großen heterogenen Gruppe von Menschen mit unterschiedlichsten Problemlagen zu tun. Für sie alle muss das „System Grundsicherung“ differenzierte Zugänge und Lösungen anbieten und die dafür notwendigen Kompetenzen bündeln. Entsprechend bürgernah und umfassend müssen der Ansatz und das Instrumentarium angelegt sein. Die Struktur der Grundsicherung muss sich an den Erfordernissen der betroffenen Menschen orientieren. Es geht also um mehr als „nur“ Arbeitsvermittlung und Qualifizierung.
Notwendig sind auch sozialpädagogische Angebote, mit denen die vielfältigen Ursachen und Wirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit bearbeitet werden können. Neben existenzsichernden Transferleistungen ist ein diskriminierungsfreier Zugang zu sozialen und kulturellen Angeboten, zu Räumen der Befähigung und der Bildung notwendig. Nur mit diesem Doppelpack lassen sich Armutslebenslagen wirkungsvoll bekämpfen und dauerhaft überwinden. Und genau diese Hilfe aus einer Hand gäbe es bei getrennter Aufgabenwahrnehmung durch BA und Kommunen nicht mehr.
Allmählich scheint sich glücklicherweise die Vernunft in dieser Debatte durchzusetzen
Sehr geehrte Damen und Herren, wir GRÜNEN wollen, dass die Entscheidung „nach unten“ verlagert wird. Den örtlichen Einrichtungen muss es gestattet sein, eigene Eingliederungsinstrumente zu entwickeln und auf die jeweiligen Klientelbedürfnisse anzupassen.
Die Voraussetzungen vor Ort müssen außerdem ausschlaggebend dafür sein, ob eine Kommune die Aufgabe alleine schultern oder gemeinsam mit der BA in Angriff nehmen will. Die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch die Optionskommunen hat sich bewährt. Sie soll daher auch nach dem Auslaufen der Experimentierklausel am 31. Dezember 2010 fortgeführt und für weitere als die bisher zugelassenen 69 Kommunen geöffnet werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, allmählich scheint sich glücklicherweise die Vernunft in dieser Debatte durchzusetzen. Rekapitulieren wir kurz: Die Bundestagsfraktion der CDU hat das Thema Neuordnung der ARGEn im letzten Jahr dem Wahlkampf geopfert. Ein bereits von CDU und SPD gemeinsam erarbeiteter Kompromiss zur Grundgesetzänderung wurde kurzerhand vom Tisch gefegt. Die Ablehnung der Verfassungsänderung war angesichts des Mangels an rechtlichen und politischen Alternativen nicht mehr als politisches Muskelspiel auf Kosten der arbeitslosen Menschen, die auf die Grundsicherung angewiesen sind.
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen schlug dann ein Kooperationsmodell mit getrennten Trägerschaften vor, das absehbar zu viel Verwaltungsaufwand durch Doppelstrukturen in der Antragstellung sowie sicherlich zu einer deutlich höheren Zahl an Rechtsstreitigkeiten geführt hätte.
Schließlich die Kehrtwende der Union durch den Vorstoß des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, die Leistungsgewährung „aus einer Hand“ doch durch eine Verfassungsänderung abzusichern. Diese mündete am 8. Februar 2010 in einer Unionseinigung zwischen der Bundesregierung, den Ministerpräsidenten der unionsgeführten Länder und den Spitzen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Mittlerweile gibt es eine interfraktionelle Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die eine grundlegende Verständigung über eine Grundgesetzänderung herbeiführen soll, in der auch Staatsminister Dr. Johannes Beermann involviert ist.
Nach meinem Kenntnisstand sollen diesbezügliche Vorschläge bis Ende März erarbeitet werden.
Nun könnte man argumentieren, damit hat sich der Antrag der SPD erledigt. Auch wenn ich den Sinneswandel der CDU begrüße, hat sie sich bislang jedoch als wenig verlässlicher Partner in dieser Frage gezeigt. Insofern sind ein deutliches Signal und ein Arbeitsauftrag des Sächsischen Landtags an die Staatsregierung nach wie vor geboten. Meine Fraktion wird dem Antrag der SPD deshalb zustimmen, allerdings einen Änderungsantrag einbringen.