Jennerjahn zur Aktuellen Debatte „Grundrecht auf Versammlungsfreiheit achten“

Scheindebatte zur Versammlungsfreiheit ist Retourkutsche für die zahlreichen Niederlagen der CDU/FDP-Koalition bei Demokratiethemen

Redebausteine des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Aktuellen Debatte "Grundrecht auf Versammlungsfreiheit achten – keine Gewaltschulungsseminare an sächsischen Hochschulen" (CDU/FDP) in der 42. Sitzung des Sächsischen Landtages, 12.10., TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Je länger ich diesem Parlament angehöre, desto mehr wundere ich mich, was für absurde Scheindebatten von CDU und FDP in aller Regelmäßigkeit angezettelt werden.
Die Debatte ist volltönend überschrieben mit: "Grundrecht auf Versammlungsfreiheit achten – keine Gewaltschulungsseminare an sächsischen Hochschulen". Sie malen ein Schreckgespenst an die Wand, das gar nicht existiert. Was ist der Hintergrund?
Eine Konferenz des Bündnisses "Dresden Nazifrei", das der kritischen Reflexion des 19. Februar 2011 in Dresden dient, sowie der Auseinandersetzung mit der Frage, wie mit dem zu erwartenden Nazi-Aufmarsch im Februar 2012 umgegangen werden kann.
Und die ganze Debatte, die Sie hier inszenieren, entzündet sich dann an einem Blockade-Training, aus dem Sie dann mit aller Macht Gewalt ableiten wollen. Und was stand in dem Flyer zu der Konferenz zu besagtem Blockade-Training? "Eine erfolgreiche Blockade erreichen wir nicht, indem sich AktivistInnen auf die Straße setzen. Dafür müssen Polizeisperren umgangen oder durchflossen werden." Da braucht man schon eine sehr blühende Phantasie, um da Gewalt hinein zu lesen.
Und ich bekenne mich hier auch schuldig: Ich habe am 13. Februar 2011 auch eine Polizeikette durchflossen. Gewalt war da noch nicht mal im Ansatz im Spiel. Und genau darum geht es auch in solchen Trainings: Eine Situation zu trainieren, in der bewusst ein begrenzter Regelverstoß begangen wird, dabei aber gleichzeitig deeskalierend zu wirken.

Ihnen geht es in der Debatte einzig und allein darum, eine Retourkutsche zu fahren. Eine Retourkutsche für die zahlreichen krachenden Debattenniederlagen hier im Landtag, insbesondere bei Demokratiethemen. Sie suchen krampfhaft einen Hebel, um von der ganzen Kette von undemokratischen Verfehlungen abzulenken, die Sie sich als Regierungsfraktionen oder Mitglieder der Staatsregierung erlaubt haben oder für die Sie Verantwortung tragen. Es ist der verzweifelte Versuch von Innenminister Markus Ulbig und von CDU und FDP doch noch irgendwie die massenhafte Ausspähung von Handydaten zu rechtfertigen und für die Zukunft zu legitimieren.
Der Debatten-Titel ist das der blanke Hohn. Ausgerechnet Sie stellen sich her und tun so, als würden sie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit achten. Eines der ersten Gesetze Ihrer Regierung war ein neues Versammlungsgesetz für den Freistaat Sachsen, das einen massiven Einschnitt in die Versammlungsfreiheit bedeutet.
Offenbar haben Sie es schon vergessen: Sie haben mit diesem Gesetz eine krachende Niederlage vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof eingefahren. Nicht nur, dass Sie in Ihrer Arroganz sämtliche verfassungsrechtlichen Bedenken vom Tisch gefegt haben, Sie waren auch noch so selbstgefällig, dass Sie noch nicht mal ein sauberes Gesetzgebungsverfahren hinbekommen haben. Die Konsequenz: Das Gericht hat festgestellt, dass das Gesetz gar nicht existiert.
Die Chance, dass Sie mit dem neuerlichen Gesetz wiederum vor dem Verfassungsgericht scheitern, ist sehr hoch.
Ich könnte hier noch eine Reihe von Beispielen nennen, bei denen Ihnen die demokratischen Grundrechte egal sind. Stichwort Gesinnungs-TÜV. Wir haben seit gestern ein Gutachten des Juristischen Dienstes des Sächsischen Landtags vorliegen, das Ihnen die verfassungsrechtlich bedenklichen Aspekte dieser Misstrauenserklärung gegenüber der Zivilgesellschaft aufzeigt.
Ich bedauere zutiefst, dass Sie mit dieser Debatte in Ihr altbewährtes Ablenkungsmanöver verfallen, mit dem Sie verschleiern wollen, dass Sie auf dem rechten Auge weitgehend blind sind. Wir hätten doch das massive Neonazi-Problem gar nicht, wenn es die CDU nicht zur offiziellen Staatsräson erklärt hätte, das Problem zu leugnen und zu ignorieren. Ich erinnere hier nur an das zynische Biedenkopf-Zitat, die Sachsen seien immun gegen Rechtsextremismus.
Warum kümmern Sie sich nicht um tatsächliche Probleme?
Auch jetzt laufen in unschöner Regelmäßigkeit Neonazis im Rahmen der Kampagne "Werde unsterblich" durch die Gegend. Da sind sämtliche Demonstrationsteilnehmer maskiert und verstoßen damit gegen Versammlungsrecht. Wirklich gehindert werden sie nicht von der Polizei, was möglicherweise auch daran liegt, dass nicht genug Polizeikräfte zur Verfügung stehen. Wo bleibt Ihr Aufschrei?
Wie verhalten Sie sich zu dem Umstand, dass Neonazis aus dem Görlitzer Raum an den massiven antiziganistischen Demonstrationen und Ausschreitungen im tschechischen Nordböhmen beteiligt sind. Warum höre ich dazu nichts von Ihnen, Herr Bandmann? Das ist doch Ihr Wahlkreis.
Und wie beurteilt der Herr Innenminister, dass sein Staatssekretär Wilhelm einen NPD-Kreisrat ausgezeichnet hat, ausgerechnet bei einem Schwimmen für Demokratie und Toleranz. Darauf angesprochen, ist er sich auch nicht zu blöd in einem öffentlichen Raum zu sagen, dann müssten die Demokraten eben schneller schwimmen…
Meine Damen und Herren der Koalition und der Staatsregierung: Verschonen Sie uns mit diesen Pseudo-Debatten und fangen Sie an zu arbeiten.