Johannes Lichdi: Datenübermittlungen zu Werbezwecken sowie Melderegisterauskünfte von der Einwilligung der Betroffenen abhängig machen

Rede des Abgeordneten Johannes Lichdi zur Gesetzentwurfes der GRÜNEN-Fraktion "Zweites Gesetz zur Änderung des Sächsischen Meldegesetzes" (Drs. 5/1533), 64. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. Oktober 2012, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Sachsen kann heute durch die Annahme unseres GRÜNEN Gesetzentwurfes Schrittmacher bei der Erhöhung des Datenschutzniveaus von Meldedaten auch auf Bundesebene werden. Daher fordern wir Sie heute auf, diesem Ansinnen zuzustimmen.

Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU und der FDP, könnten damit beweisen, dass Sie nicht nur auf der Bundesebene durch die Initiative des Staatsministers Ulbig und auf den beschränkten Einfluss Sachsens im Bundesrat verweisen können, sondern, dass Sie auch auf Landesebene Ihre originären Gesetzgebungskompetenzen ernst nehmen, dass Sie diese Gesetzgebungskompetenzen ausschöpfen, um damit unmittelbar und schnellstens Verbesserungen des Datenschutzniveaus für Sachsen zu erreichen.

Datenübermittlungen zu Werbezwecken an Adressbuchverlage, Partei- und Religionsgemeinschaften sowie Melderegisterauskünfte über das Internet sollen nach unserem Vorschlag von der Einwilligung der Betroffenen abhängig gemacht werden. Nach aktueller Gesetzeslage erfolgt die Übermittlung nämlich auch ohne Kenntnis der Betroffenen und so lange, bis ein ausdrücklicher Widerspruch vorliegt.
Wir halten dies für einen ausgemachten Skandal.

Mit Stand vom 30. Juni 2012 lagen immerhin 250 000 Widersprüche in ganz Sachsen vor – so die Antwort auf meine Kleine Anfrage Drucksache 5/9651. Daraus ist aber unseres Erachtens nicht der Rückschluss möglich, dass alle anderen Sachsen – also die restlichen ungefähr 90 % — mit dem Verkauf ihrer Meldedaten einverstanden wären.

Solange es noch kein bundeseinheitliches Meldegesetz gibt, gilt das Sächsische Meldegesetz fort und die Koalition und wir in diesem Hohen Hause sind nicht gehindert, weitergehende Schutzvorschriften zugunsten der sächsischen Bürgerinnen und Bürger zu verbessern.

Da die Gesetzgebungskompetenz im lnnenausschuss in der letzten Woche infrage gestellt wurde — für uns durchaus überraschenderweise auch und gerade von der LINKEN – erlaube ich mir hierzu noch ein paar Ausführungen.

Ausdrücklich möchte ich dabei würdigen, dass Sie, Herr Staatsminister Ulbig, im Innenausschuss unsere Rechtsauffassung ausdrücklich geteilt hatten. Die Übergangsvorschrift im Grundgesetz Artikel 125a Abs. 3 lautet: „Recht, das als Landesrecht erlassen worden ist, aber wegen Änderung des Artikels 73“ – das ist hier der Fall — „nicht mehr als Landesrecht erlassen werden könnte, gilt als
Landesrecht fort. Es kann durch Bundesrecht ersetzt werden.“

Die Frage ist also, ob für das fortgeltende Landesrecht im Sinne dieser Vorschrift eine Anpassungs- und Änderungskompetenz der Länder verbleibt, solange Bundesrecht nicht in Kraft ist. Das mag unter Juristen möglicherweise nicht ganz unumstritten sein, aber nach unserer Auffassung gibt es diesen Weg. Allein Sie von der Koalition wollen diesen Weg nicht beschreiten, weil Ihnen der politische Wille fehlt.

Fortgeltung des Landesrechts im Sinne obengenannter Vorschrift bedeutet, dass die Gesamtheit des Landesrechts anwendbar ist, also auch die Norm über das Verfahren der Gesetzgebung bzw. der Gesetzesänderung.

Im Übrigen sehen wir angesichts des seit nunmehr sechs Jahren andauernden Gesetzgebungsverfahrens auf Bundesebene durchaus die Gefahr einer Versteinerung der Rechtslage, wenn es der Bund nicht endlich schafft, von seiner neuen Gesetzgebungskompetenz Gebrauch zu machen und das Gesetz in Kraft zu setzen. Eine Versteinerung der Rechtslage durch Ausschluss einer Änderungskompetenz ist aber nach unserer Auffassung nach Sinn und Zweck der grundgesetzlichen Übergangsvorschrift sicher nicht Absicht des ändernden Verfassungsgebers gewesen.

Aber Sie, Herr Ulbig, haben im Innenausschuss wieder das unrichtige Uraltargument aus der Schublade geholt, das wir — auch schon vor Ihrer Amtszeit – hinlänglich erörtert hatten, nämlich den Vorwurf, dass es den Ländern nicht möglich sei, weitergehende Schutzrechte zugunsten der Bürgerinnen und Bürger einzuführen.

Ich sage es noch einmal, damit es auch im Landtagsprotokoll steht. Vergleiche Medert/Süßmuth, Kommentar zum Melderecht, Teil 1 Bundesrecht, Vorbemerkung, Vorparagraphen 6 bis 10, Randzeichen 2: „Das Erfordernis der Einwilligung des Betroffenen vor Datenübermittlung ist ein Mehr an Schutz der Betroffenen und daher möglich.“ – So ausdrücklich der führende Kommentar dazu. Ich würde mir einfach wünschen, dass das nicht länger bestritten wird — wider besseres Wissen, wie ich annehmen muss.

Schließlich wird gegen unseren Gesetzentwurf eingewandt, er habe eine zu kurze Halbwertszeit, da mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes zu rechnen sei. Aber Sie, Herr Staatsminister Ulbig, haben in der vorletzten Innenausschusssitzung gesagt, Sie könnten nicht einschätzen, ob es in diesem Jahr noch zu einer Verabschiedung im Bundestag kommt.

Aber das ist nicht das Hauptargument. Das Hauptargument ist, dass das Meldegesetz des Bundes ohnehin erst zum 01.01.2014 in Kraft treten soll, und damit kommen wir in den Wahlkampfbereich 2013 Bundestagswahl.

Denn, meine Damen und Herren, wenn wir heute nicht unseren Gesetzentwurf annehmen, dann heißt das, dass es beispielsweise solchen verfassungsfeindlichen Parteien wie der NPD durchaus möglich ist, sich über das Meldegesetz Adressdaten von Bürgerinnen und Bürgern kommen zu lassen; das lässt das geltende Meldegesetz zu. Wir als GRÜNE sind allerdings der Auffassung, dass wir in diesem Hohen Hause diese Möglichkeit verbindlich ausschließen sollten. Das ist für uns ein zentraler Punkt, warum wir heute dieses Landesgesetz noch beschließen sollten.

Der Hauptwiderstand gegen unser Gesetz kommt natürlich nicht so sehr aus Ihren Reihen von der CDU und der FDP; wir wissen ganz genau, wo der Widerstand herkommt: Er kommt natürlich aus den Kommunen. Die Kommunen möchten mit der Weitergabe der Meldedaten der Bürgerinnen und Bürger weiter Geld verdienen.

Sie regen sich ja auch immer medienwirksam darüber auf, dass wir zu Recht von Datenhandel, von Datenverkauf sprechen, und bringen dieses alte, abgestandene Argument, es handele sich ja um Gebühren. Letztendlich ist es dem Bürger egal, unter welcher Prämisse seine Daten weitergegeben werden.

Immerhin müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen, wie die Einnahmen sind. Im Jahre 2011 haben die sächsischen Kommunen über eine Million Euro Einnahmen aus dem Verkauf der Meldedaten der Bürgerinnen und Bürger erzielt. Ich nenne die Zahlen der drei großen Städte: Dresden 316 000 Euro, Leipzig 462 000 Euro und Bö/Kl 64. Sitzung Turnus: 22 5 von Chemnitz 128 000 Euro. Auch wenn Sie, Herr Staatsminister Ulbig, im Vorwort meiner Kleinen Anfragen zu den Einnahmen der Kommunen, die regelmäßig aktualisiert werden, sich immer auf den Standpunkt stellen, dass es sich nicht um Verkauf, sondern um Gebühren handelt, lenken Sie damit eben vom eigentlichen Fakt ab. Der Fakt ist der: Das Melderecht, so wie es jetzt ist, greift in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, greift in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Die Bürgerinnen und Bürger werden gezwungen, zu öffentlich-rechtlichen Zwecken ihre Daten abzugeben; aber es ist eben nicht legitim, diese öffentlich-rechtlich zwangsweise erhobenen Daten an Private zu privaten Zwecken weiterzuverhökern.

Meine Damen und Herren, ich denke, die Vorbehalte gegen unseren Gesetzentwurf, die dauernd vorgebracht werden, sind vorgeschrieben; sie sind nicht haltbar.
Letztendlich geht es darum: Sind Sie bereit, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger über die Einnahmeninteressen der Kommunen zu stellen, oder sind Sie es nicht?

Deswegen fordern wir Sie auf, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Vielen Dank.

» Der Gesetzentwurf im Wortlaut (Drs. 5/1533)
» Das Eckpunktepapier
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