Johannes Lichdi: Kein Persilschein für die Löschung von Aktenteilen

Redebeitrag von Johannes Lichdi zum Top 9 "Bericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten zur Vernichtung von Akten im Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen in den Jahren 2011 und 2012" (Drs. 5/11033), 74. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. April 2013, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

1. Ich nehme zu Kenntnis, dass der Datenschutzbeauftragte zu dem Ergebnis kommt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) mit der Vernichtung von Aktenteilen nicht gegen §7 Abs. 4 Satz 4 SächsVSG verstoßen habe. Diese Vorschrift verpflichte nicht zur Aufbewahrung, bis die Gesamtakte gelöscht werde, sondern verpflichte zur Löschung von entnommenen Aktenteilen spätestens und nur in dem Fall, dass die Gesamtakte nicht mehr gebraucht wird.
Vorher sei eine Löschung jedenfalls auch erlaubt, wenn die Aktenteile/Daten nicht mehr erforderlich oder aufgrund anderer Vorschriften zu löschen sind. Diese Auslegung ist wohl vertretbar, gerade vor dem Hintergrund der vom Datenschutzbeauftragten im Bericht dargelegten besonderen Aktenführung im LfV mit Sachakten, Personenakten – in denen Informationen zu Personen auch aus Sachakten zusammenkopiert werden – und Jahrgangsakten.

Aber ich halte daran fest: Die Auffassung des Datenschutzbeauftragten ist rechtlich nicht unanfechtbar. Wenn der Gesetzgeber dem LfV solch weitgehende Löschungsrechte gibt, müssten diesen unbedingte Verpflichtungen zur verfahrensrechtlichen Absicherung der Aktenwahrheit und -klarheit gegenüberstehen, etwa die Pflicht zur Führung aussagekräftiger Löschprotokolle. Ansonsten würden wir die ohnehin schon bestehende Unkontrollierbarkeit des Inlandsgeheimdiensts weiter verstärken – eine Unkontrollierbarkeit, die es in einer Demokratie gar nicht geben dürfte.

2. Der DSB erteilt keinen Persilschein für die Löschung von Aktenteilen.
Aber der entscheidende Punkt ist folgender: Mitnichten ist diese vom DSB vertretene Rechtsauffassung ein Persilschein dafür, dass das Landesamt bei den konkreten Aktenschredderungen nach dem 4. November 2011 gesetzeskonform gehandelt habe. Das ist weiterhin eine offene Frage und die wird es auch bleiben, solange wir nicht feststellen können, ob die Akten einen NSU-Bezug hatten.

Der DSB stellt in seinem Bereich – gleich nachdem er den Anwendungsbereich im bereits ausgeführten Sinne ausgelegt hat – fest – ich zitiere Seite 21 des Berichts, 3. Absatz:
"Eine Vernichtung muss allerdings immer dann unterbleiben, wenn hinreichend konkrete Anhaltspunkte vorhanden sind, dass die gespeicherten Daten beispielsweise noch erforderlich für eine (parlamentarische Kontrolle), die Strafverfolgung oder Rechtsverfolgung (im schutzwürdigen Interesse eines Betroffenen) sind."

Das keine "hinreichend konkreten Anhaltspunkte" vorhanden seien, basiert nicht auf objektiven Erkenntnissen des DSB, sondern auf den "BE"kenntnissen des LfV selbst. Denn aufgrund der lückenhaften Aktenlage konnte sich der Datenschützer kein eigenes Bild machen. Der DSB wird im Bericht nicht müde zu betonen, dass er auf Auskünfte und "Kopfwissen" des LfV zurückgreift, das er nicht nachprüfen konnte.

3. Schließlich: Ob die vom LfV angegebenen Löschungsgründe vorlagen, ließ sich für DSB nur in Einzelfällen nachvollziehen.
Etwa heißt es auf S. 9 des Berichts:
"Anlass für die Löschungen in S-Akten waren nach Auskunft des LfV die fehlende Relevanz der Person für eine weitere Speicherung, der Ablauf von Speicherfristen, doppelte Stücke bzw. Buchungen, vorläufige Entwürfe….Ob dies so zutraf, konnte ich nur in wenigen Einzelfällen (i.d.R. bei Doppelbuchungen und Entwürfen) mit Sicherheit nachvollziehen."
Ob NSU–relevante Informationen vernichtet wurden, bleibt somit offen. Der Datenschützer kann die Vernichtung NSU-relevanten Materials nicht ausschließen.

Auch im Innenausschuss führte der Datenschutzbeauftragte am 21. März 2013 aus, dass es schwierig sei, vernichtete Akten zu erschließen. Es könne nicht gesagt werden, was in den Akten gestanden habe. Dies deckt sich mit den Aussagen der Staatsregierung auf meine kleinen Anfragen. Im Bericht heißt es zu vernichteten Einzelstücken, dass
"die vom LfV vorgelegten Listen und die in den Akten enthaltenen Vorblätter keine inhaltlichen Angaben enthielten. Ob personenbezogene Daten in Bezug auf Personen aus dem Umfeld des NSU gelöscht wurden, konnte nicht nachvollzogen werden."

Was der DSB anhand der vom LfV vorgelegten Vernichtungszahlen feststellen konnte, war, dass es kurz nach dem 4. November 2011 keine auffälligen Veränderungen oder Häufungen von Löschungen gab, offenbar also keine überstürzte, massenhafte Schredderung stattfand. Grund zur Erleichterung? Nur bedingt, das wäre nur eine offensichtlichere Misere. Entwarnung bedeutet eine fehlende Häufung von Löschungen meiner Ansicht nach aber nicht. Wir wissen, dass es oft nur einen einzigen, kleinen Hinweis gibt, der entscheidend ist.
Beachtenswert ist aber auch hier die Bemerkung des Datenschutzbeauftragten, dass ihm – nur – das vom LfV selbst gelieferte Zahlenmaterial vorlag. Auf Seite 8 oben stellt der DSB dar, dass sich Aussagen zur Vernichtung nur für "gebuchte" Einzelstücke treffen ließen. Ob ein Dokument gebucht oder beigeheftet wird, entscheidet aber der jeweilige Sachbearbeiter. Im Klartext: die Vernichtung sogenannter "beigehefteter" Einzelstücke lässt sich überhaupt nicht nachvollziehen. Und so könnte man weiter fortfahren.

4. Es lohnt sich, den Bericht ganz genau zu analysieren und auf die Details zu achten. Insbesondere die Mängelliste hinsichtlich Aktenführung, Registrierung und Dokumentation sind keine Lappalien. So führt der Datenschützer allgemein zur Aktenführung aus:
"Die vom Landesamt für Verfassungsschutz angegebenen bzw. vermuteten Gründe für Löschungen (z.B. versehentliche Doppelbuchungen bzw. Doppeldruck) seien plausibel, aber nicht mehr vollständig prüfbar." – S. 11 des Berichts.
Oder – Zitat: "In zwei Bereichen fiel mehrfach auf, dass bei den Löschungsverfügungen keine Abzeichnung durch den Sachbearbeiter vorgenommen wurde. […] In einem Beobachtungsbereich war die Aktenführung nicht nachvollziehbar" – S. 11 des Berichts.
Oder – Zitat: "Es sei jedem Sachbearbeiter überlassen, wie der die Aktenführung gestaltet, solange der Vorgang noch nicht zu den Akten geschrieben und ans Register gegangen ist. Wiederholt seien in Vorgängen aus den Jahren 2008 und davor offene oder als VS-NfD eingestufte Einzelstücke nicht registriert worden." – S. 12 des Berichts.

5. Ich komme zum Schluss: Es gibt für die Staatsregierung und das LfV wirklich keinen Grund sich auf die Schulter zu klopfen. Die Aktenführung und Dokumentation im LfV muss dringend verbessert werden. Dazu dann unser Entschließungsantrag. Das ist keine unnütze Bürokratie, sondern eine Forderung, die Demokratie und Rechtsstaat gebietet, um eine Kontrolle des Inlandsgeheimdienstes mit der Tarnbezeichnung "Verfassungsschutz" überhaupt erst zu ermöglichen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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