Johannes Lichdi: Wir sollten der NPD nicht das Viagra eines absehbar scheiternden Verbotsverfahrens gönnen
Rede des Abgeordneten Johannes Lichdi zum GRÜNEN-Antrag "Für eine sorgfältige Vorbereitung eines Antrags zum Verbot der verfassungsfeindlichen NPD – …" (Drs. 5/10437), 67. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13. Dezember 2012, TOP 8
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren der demokratischen Fraktionen,
I. Verfahrensstand
Wer wie wir GRÜNE in Sachsen gegen ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD auftritt, muss sich auf Beifall von der falschen Seite gefasst machen. Deshalb gleich zu Anfang: Wir sind überzeugt, dass die NPD die Werte des Grundgesetzes ablehnt und die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen würde, wenn sie die Macht dazu hätte.
Dennoch fordern wir Sie von der Staatsregierung und den Koalitionsfraktionen auf, ihre Entscheidung zur Einleitung eines neuen Verfahrens zum Verbot der NPD in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vor dem Sächsischen Landtag und der Öffentlichkeit zu begründen – dies haben sie bisher nämlich nicht getan. Und wir fordern Sie auf, morgen im Bundesrat die Zustimmung Sachsens zu verweigern.
1. Verfahren
Im Dezember 2011 beschlossen die Innenminister ein neues Verbotsverfahren zu wagen – aber nur dann, wenn der Erfolg sicher erschiene. Im März 2012 zogen sie die Spitzel des „Verfassungsschutzes“ aus den Vorständen der NPD ab – jedenfalls haben sie das versprochen.
Im September lag die erste Fassung der Materialsammlung vor. Die Innenminister weigerten sich, dem Bundesinnenminister Friedrich mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass das zugelieferte Material garantiert spitzelfrei zustande gekommen sei.
Auch unser kompetenter und mutiger Herr Staatsminister Ulbig verweigerte die Unterschrift und schob den Interimspräsident des Landesamtes für Verfassungsschutz vor. Der aber wird längst nicht mehr im Amte sein, wenn es in Karlsruhe zum Schwur kommt.
Anfang Dezember forderte schließlich die Innenministerkonferenz den Bundesrat, den Bundestag und die Bundesregierung auf, ein neues Verbotsverfahren einzuleiten. Der Bundesinnenminister und die Länder sind sich aber keineswegs einig. Denn Innenminister Friedrich, das Saarland und Hessen haben zu Protokoll gegeben, dass sie nicht an einen Erfolg glauben. – Zitat:
„Über die Erfolgsaussichten eines Parteiverbotsverfahrens gibt es im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nach wie vor erhebliche Risiken. Dabei ist zu bedenken, dass bei einem Scheitern – wie schon das erste Verbotsverfahren im Jahr 2003 gezeigt hat – die Gefahr besteht, dass die NPD letztlich gestärkt aus einem solchen Verfahren hervorgeht.“
Recht haben Sie!, kann ich da nur sagen. Aber gleichwohl wollten sich Hessen und das Saarland im Interesse der „Geschlossenheit der Demokraten“ und im Interesse eines „deutlichen Signals an alle verfassungsfeindlichen Kräfte“ einem Verbotsverfahren nicht entgegenstellen.
2. Kritik
Meine Damen und Herren, die Innenminister haben sich wie die Lemminge über die Klippe eines neuen Verbotsverfahrens gestürzt!
Die wohlbekannten Risiken können nicht mit forcierter Entschlossenheit und demonstrativer Geschlossenheit weggewischt werden. Die Entscheidung zur Einleitung eines neuen Verbotsverfahrens ist kein „antifaschistischer Lackmustest“. Vielmehr sollten die rechtlichen Voraussetzungen und politischen Folgen rational und mit kühlem Kopf bedacht werden.
Neben Innenpolitikern der CDU/CSU–Bundestagsfraktion haben sich auch Bundestagspräsident Lammert wie Kanzlerin Merkel kritisch zu einem neuen Verfahren geäußert. Auch die Kommentatoren des SPIEGEL und der FAZ warnen eindringlich. Ich möchte gerne den Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt – auch ein Gegner eines NPD-Verbots zitieren: Bei einem Forum der Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am 19. Juli 2012 resümierte er etwas launig:
Als „Katholik, der ich bin, werde ich mir überlegen, welches das wirksamste sächsische Marienheiligtum ist. Dort werde ich mit einer sehr großen Kerze bewaffnet hingehen, sie entzünden und meine flehentlichsten Gebete zum Himmel schicken, dass dieses risikoträchtige Unterfangen einer Verbotsklage gegenüber der NPD beim Verfassungsgericht unterbleibt. Denn die Folgen dürften dramatisch schlecht sein. Und vielleicht hilft uns da bloß noch der Himmel!“
In den letzten Tagen ist der ehemalige Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer, der 2003 mitverantwortlich für die Einstellung des ersten Verbotsverfahrens war, oft als Befürworter eines neuen Anlaufs zitiert worden. Liest man aber das SPIEGEL-Interview vom Montag dieser Woche, so bleibt eines hängen: auch Herr Hassemer weist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hin und möchte keine Prognose über die Erfolgsaussichten abgeben!
3. Verweigerung der öffentlichen Debatte
Die Verbotsbefürworter haben bisher eine öffentliche Debatte über die Voraussetzungen eines NPD-Verbots verweigert. Auf unseren detaillierten Antrag zu den Voraussetzungen haben Sie, Herr Ulbig, nur mit knappen Floskeln beantwortet. Offensichtlich haben Sie sich keine eigenen Gedanken über das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen gemacht!
Die Innenminister behandeln die eingeholten Rechtsgutachten als geheime Verschlusssache. Auch die Bundestagsabgeordneten sollen offenbar nur im Geheimraum Einsicht in die Materialsammlung erhalten. Dies spricht nicht für die Überzeugungskraft der Argumente der Verbotsbefürworter.
Und kommen Sie mir nicht mit dem Scheinargument, man wolle gegenüber der NPD nicht die Karten aufdecken. Spätestens in Karlsruhe sind alle Argumente öffentlich vorzutragen und zu erörtern!
Mein Eindruck bleibt: Sie verhindern eine öffentliche und rationale Debatte, weil sie sich ihrer Argumente nicht sicher sind !
II. Die vier Irrtümer der Verbotsdebatte
Die Debatte um die Voraussetzungen eines Parteiverbots ist bisher von vier Irrtümern geprägt:
Irrtum I: „Der Nachweis verfassungsfeindlichen Ziele einer Partei reichen für ihr Verbot aus“
Wir zweifeln nicht, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt – und dazu haben gerade wir hier im Sächsischen Landtag die Materialsammlung der Innenminister nicht gebraucht.
Diese Aussage ist aber falsch: Man darf in der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes auch die Abschaffung dieses Grundgesetzes fordern. Ja die NPD darf sogar die Wiedereinführung des Nationalsozialismus in Deutschland fordern. Ich zitiere das Bundesverfassungsgericht aus dem Wunsiedel-Beschluss von 2009:
„Die Bürger sind … rechtlich … nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Geschützt sind damit von Art. 5 Abs. 1 GG auch Meinungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und wie weit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar sind.
Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Dementsprechend fällt selbst die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus.“
Kurz gefasst: man darf in der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes auch Nazi sein, wie es die Herren und die eine Dame hier sind.
Und das kann auch gar nicht anders sein, denn ein Staat, der sich anmaßt, über die Richtigkeit oder Zulässigkeit der Gesinnungen und Meinungen seiner Bürger zu entscheiden, hat seine Freiheitlichkeit bereits aufgegeben.
Irrtum II: „Karlsruhe wird nach den Maßstäben des KPD-Urteils von 1956 entscheiden“
Offenbar legt die Materialsammlung der Innenminister die Rechtslage zugrunde, wie sie das Bundesverfassungsgericht 1956 anlässlich des KPD-Verbots festgestellt hatte. Karlsruhe hat damals ausreichen lassen, dass die Kommunisten eine „Diktatur des Proletariats“ als Fernziel anstreben. Entsprechend wurde die Voraussetzung des „Aggressiv-kämpferischen“ weit ins Vorfeld einer konkreten Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung verlagert. Diese Rechtsprechung ist schon unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten überholt und nur durch die Blockkonfrontation in den Zeiten des kalten Kriegs zu erklären.
Irrtum III: „Karlsruhe entscheidet allein über ein Verbot“
Es ist es wohl erst in den letzten zwei Wochen in das Bewusstsein der allgemeinen Öffentlichkeit gedrungen: Karlsruhe wird nicht das letzte Wort in einem Parteiverbotsverfahren haben. Die von Deutschland gezeichnete Europäische Konvention für Menschenrechte schützt die Vereinsfreiheit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg – nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Gerichtshof der EU – hat sich in jüngster Vergangenheit mehrfach mit Parteiverboten beschäftigt.
Der EGMR verlangt für ein Parteiverbot eine konkrete Gefahr für die demokratische Ordnung. Dafür müsse eine „dringende gesellschaftliche Notwendigkeit“ – „pressing social need“ bestehen. Er hat ein Parteiverbot in zwei Fällen gehalten: Im Fall der baskischen Partei Herri Batasuna konnte nachgewiesen werden, dass diese unmittelbar von der Terrororganisation ETA gesteuert wurde.
Im Fall der türkischen Wohlfahrtspartei Refah – übrigens die Vorläuferorganisation der türkischen Regierungspartei AKP – stellte der Gerichtshof fest, dass diese die Scharia einführen wolle, also ungleiche Rechtssysteme für die Staatsbürger. Dies verstößt natürlich gegen die Prinzipien einer Demokratie. Der EGMR stellt zweitens fest, dass die Refah-Partei aufgrund ihrer Parlamentssitze und der Umfragen drauf und dran sei, die nächsten Wahlen zu gewinnen und so ihre Ziele auch tatsächlich umsetzen könne. Dies war für Straßburg der maßgebliche Gesichtspunkt!
Das Bundesverfassungsgericht wird alles tun, um einen offenen Konflikt mit dem EGMR zu vermeiden. Es wird daher die Anforderungen an ein Parteiverbot nach Art. 21 Grundgesetz im Sinne des EGMR auslegen. Damit hat es bereits begonnen: Im Einstellungsbeschluss von 2003 fordert die Mehrheit der Richter, dass von der Partei eine „konkret nachweisbare Gefahr für den Fortbestand des freiheitlichen Verfassungsstaates“ ausgehen muss (Rz. 140).
Die maßgebliche Frage lautet also:
Ist die NPD eine konkrete Gefahr für den Fortbestand des freiheitlichen Verfassungsstaates?
Oder: Ist die NPD demnächst in der Lage aufgrund ihrer Wahlerfolge oder aufgrund einer von ihr gesteuerten Gewaltanwendung die Grundprinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, als da sind freie Wahlen, das Mehrheitsprinzip, das Recht auf Opposition, die Geltung der Grundrechte und die Unabhängigkeit der Gerichte außer Kraft zu setzen?
Meine Damen und Herren, ich habe noch niemanden getroffen, der das ernstlich behaupten würde!
Ich bestreite nicht, dass die NPD durch ihre Hetze dazu beiträgt, Zonen zu schaffen, in denen Rassisten das Sagen haben und die staatliche Schutzverpflichtung leerläuft. Dies ist aber keine Infragestellung der verfassungsrechtlichen Prinzipien, sondern ein Staatsversagen.
Irrtum IV: „Ein NPD-Verbot versetzt dem organisierten Rechtsextremismus einen entscheidenden Schlag“
Die NPD ist nur der sichtbarste Ausdruck des Rechtsextremismus in Sachsen, aber keineswegs ihr stärkster Teil.
Wäre denn der NSU entdeckt und die rassistischen Morde und Gewalttaten vermieden worden, wenn die NPD verboten gewesen wäre?
Wären denn die Kameradschaften und freien Kräfte, die Nazi-Musikszene weniger erfolgreich, wenn es die NPD nicht gäbe?
Die Befürworter eines Verbots beteuern neuerdings, Ihnen sei klar, dass ein Verbot das Problem des Rechtsextremismus nicht löse. Aber man wolle der NPD wenigstens den Geldhahn staatlicher Zuwendungen abdrehen. Ja, meine Damen und Herren, es ist unerträglich, dass Steuergelder für die rechtsextremistische Hetze zur Verfügung gestellt werden müssen.
Aber verantwortlich dafür sind die Wählerinnen und Wähler, die die NPD gewählt haben und verantwortlich sind wir von den demokratischen Parteien, die wir bisher nicht in der Lage waren, die Wählerinnen und Wähler in ausreichender Weise von den Vorzügen der Demokratie und ihrer Werte zu überzeugen!
Schluss
Was bleibt ist der hilflose Versuch, ein „Zeichen“ zu setzen, aber es geht nicht um „Zeichen“ und hilflose Symbolpolitik, sondern um die Wahrung des Gewaltmonopols des Rechtsstaats und den Einsatz der Demokratinnen und Demokraten für die Werte der Demokratie.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Behörden des Freistaats Sachsen in der Lage gewesen wären, den NSU zu verhindern! Wieso eigentlich sollen wir für ein Verbotsverfahren den Geheimdossiers ausgerechnet der Behörde vertrauen, die zehn Jahre lang nichts vom NSU bemerkt haben will?
Ich wünsche mir, dass der Freistaat Sachsen den Schutz der Menschen, die sich gegen Nazis engagieren, ernst nimmt, anstatt vor der rechtsextremistischen Gewalt zu kapitulieren und den Opfern den Wegzug zu empfehlen, wie in Hoyerswerda geschehen.
Was wir brauchen – ganz im Sinne des Bundesverfassungsgerichts – ist der freiwillige bürgerschaftliche Einsatz der Demokratinnen und Demokraten für die Grundwerte der Demokratie. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen ausgegrenzt und angegriffen werden, wie es die NPD mit ihrer Brandstiftertour Ende Oktober wieder getan hat. Ich bin stolz darauf, dass es uns nicht nur in Dresden und Leipzig gelungen ist, viele Menschen gegen die NPD-Tour zu mobilisieren. Und ich bin stolz darauf, dass es uns gelungen ist, dass Europas größter Naziaufmarsch Geschichte geworden ist!
Nein, meine Damen und Herren, wir sollten der NPD im Vorfeld der Wahlkämpfe 2013 und 2014 nicht das Viagra eines absehbar scheiternden Verbotsverfahrens gönnen.
Deshalb: Kommen Sie zur Besinnung, prüfen Sie ernsthaft, öffentlich und rational die Voraussetzungen eines Parteiverbots und setzen Sie sich für die Maßnahmen ein, die wirklich gegen Nazis in- und außerhalb der NPD helfen!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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