Johannes Lichdi zum Atomausstieg – Konsequenzen für Sachsen ziehen
Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zum Antrag GRÜNE „Atomausstieg richtig machen – Konsequenzen für Sachsen ziehen!“ (Drs. 5/6140), 29.06., TOP 6
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Am morgigen Donnerstag wird im Deutschen Bundestag eine der wesentlichsten Entscheidungen seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 fallen. Morgen wird der endgültige Ausstieg aus der Atomenergie bis zum Jahre 2022 in einem breiten, überparteilichen Konsens beschlossen. Wir sind der Ansicht, dass dieses historische Ereignis es wert ist, dass wir uns auch im Sächsischen Landtag damit befassen, zumal daraus für die sächsische Energiepolitik und die sächsische Politik Konsequenzen zu ziehen sind.
Ich halte es für bemerkenswert, was wir im Gegensatz zu den Aussagen von Herrn Röttgen oder Frau Merkel oder sogar von Politikerinnen und Politikern der FDP auf Bundesebene hier aus Sachsen in den letzten Wochen und Monaten zu hören bekommen haben.
Die sächsischen Regierungsparteien von der CDU und der FDP sind die letzten Mohikaner der Atomtechnologie.
Es gibt keinen anderen Landesverband der CDU oder der FDP in der Bundesrepublik Deutschland, der dermaßen offensiv gegen den Kurs der eigenen Bundeskanzlerin und der eigenen Regierung polemisiert.
Sie haben vielleicht mitbekommen, dass kein Geringerer als der Vizevorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Arnold Vaatz, Abgeordneter des Dresdner Wahlkreises Nord, und Herr Lämmel, designierter Vorsitzender des Kreisverbandes Dresden, am letzten Mittwoch eine Veranstaltung im Haus der Kirche durchgeführt haben, wo diese Dinge nochmals in extenso, in aller Breite, dargestellt wurden.
Also von Einsicht keine Spur. Man muss sich allmählich schon Sorgen um die Mehrheit von Frau Merkel machen, jedenfalls aus Sachsen wird ihre Mehrheit nicht gesichert.
Sehen wir uns doch einmal im Einzelnen die Äußerungen maßgeblicher Politikerinnen und Politiker aus der Koalition hier in Sachsen an.
Herr Flath war noch relativ harmonisch gestimmt und hat davon gesprochen, dass das Atommoratorium der entscheidende Fehler gewesen sei. Das haben Sie im April gesagt, ich kann es Ihnen zeigen, es stimmt schon. Dann haben Sie wieder Ihr ewiges Mantra angeschaltet, Sie müssten sich mehr um die Stammwähler kümmern, und die würden verunsichert werden, und das wäre nicht gut.
Herr Zastrow hat dann etwas weiter nach oben gegriffen und von einem Fall von Planwirtschaft gesprochen. Da haben wir uns alle sehr gewundert, und es ist ja auch schon in der „Sächsischen Zeitung“ sehr schön in dem Interview zwischen Herrn Honecker und Herrn Zastrow verarbeitet worden. Aber Herr Zastrow hat dabei auch seine grundsätzliche Unkenntnis der Materie wieder einmal offenbart, denn ihm ist offensichtlich nicht bekannt, wie die Atomtechnologie in beiden deutschen Ländern in den Fünfzigerjahren angeschoben wurde. Es war doch der massive Wunsch sowohl der DDR-Führung als auch der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, in die Atomtechnologie einzusteigen, und zwar, was man immer wieder dazusagen muss, auch aus militärstrategischen und militärtechnischen Gründen. Man wollte eben die Atombombe auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Das gehört auch zur Wahrheit.
Aber, meine Damen und Herren, die Krone hat kein Geringerer als Herr Arnold Vaatz dieser gesamten Debatte aufgesetzt. Ihnen ist sicher auch dieser Artikel im „Handelsblatt“ vom 3. Juni dieses Jahres in die Hand gefallen. Ich glaube, es ist doch wert, dass ich Ihnen jetzt hier noch einmal die Erkenntnisse des Herrn Vaatz des Längeren zu Gehör bringe.
Zitat: „Uns treibt allerdings“ — hören Sie zu, Herr Krauß! — „keine übermütige Laune in solche Windmühlenkämpfe, sondern eine über die Jahrzehnte gewachsene Fehidisposition in der deutschen Gesellschaft. Sie kam mit den 68ern und besteht einerseits in ablehnender Skepsis gegenüber allen traditionellen Konstanten, die diese Gesellschaft zu einer der leistungsfähigsten der Welt gemacht haben, und andererseits in der selbstverständlichen Inanspruchnahme aller Annehmlichkeiten und Produkte, die diese hervorbrachte.“
„Der Motor“ — es wird noch besser, sparen Sie sich Ihr Klatschen! — „des Selbstverzehrs ist ein seit sehr Langem gewachsener Konformitätsdruck, der sich gegen alles dem 68er-Milieu fremde Gedankengut richtet, das sich als nicht links, nicht technikfeindlich, nicht kapitalismusfeindlich, nicht multikulti zu erkennen gibt. Seine Deformationskraft“ — so Vaatz — „erstickt jede geistige Freiheit. Wer die verdient— —“ — das ist genau das Problem. Von wem erhält Herr Vaatz für diesen Blödsinn Beifall?
Ich zitiere weiter. „Seine Deformationskraft erstickt jede geistige Freiheit. Wer die von ihm geschützten Tabus berührt, gerät in das Räderwerk der Empörungsindustrie, das ihm in der Regel die Sprache nimmt. Die Kernenergie-Ethikkommission war ein Produkt und ein Teil dieses Konformitätsdrucks.“
Meine Damen und Herren! Das Erste, was ich hier feststellen möchte, ist: Herr Vaatz führt keine energiepolitische Debatte, er führt eine gesellschaftsideologische Debatte.
Das muss ich erst einmal feststellen. Was daraus zu entnehmen ist, ist eigentlich eine ernstere Geschichte. Dieser Artikel zeigt die gesamte Ratlosigkeit des deutschen Konservatismus, der nicht in der Lage ist, sich auf neue Erfordernisse einzustellen. Er ist ressentimenterfüllt, ich habe sogar manchmal das Gefühl, er ist geradezu hasserfüllt, er ist geprägt von einer manichäischen Weitsicht — hier die guten Konservativen, die die Bundesrepublik aufgebaut haben, dort die bösen Linksextremisten, die 68er usw. Herr Kollege Bandmann, Sie haben ja diese Ideologie hier in diesem Hause auch schon des Öfteren zur Kenntnis gegeben. Nein, meine Damen und Herren, ich glaube, das ist nicht die richtige Art und Weise, sich mit dieser historischen Frage auseinanderzusetzen.
Ich kann nur sagen: Seien wir froh, dass wir eine Kanzlerin Angela Merkel haben — ich muss es hier an dieser Stelle sagen —‚ denn sie verfügt offensichtlich über mehr geistige Flexibilität, über mehr moralische Flexibilität als die Sächsische Union.
Meine Damen und Herren! Ich freue mich doch, dass ich solche Beifallsstürme bei Ihnen ernte. Deswegen möchte ich gleich einmal die Frage an Sie richten: Wenn Sie unser aller Bundeskanzlerin derart heftig unterstützen, wie sieht es denn dann morgen im Bundestag mit dem Abstimmungsverhalten der sächsischen CDU-Abgeordneten aus? Wie sieht es dann aus mit den Konsequenzen, die Sie hier in Sachsen ziehen oder nicht ziehen wollen? Sie haben ja heute früh eine Debatte vom Zaun gebrochen, die eigentlich meiner Meinung nach total nach hinten losgegangen ist, indem Sie uns Technikfeindlichkeit, Wissenschaftsfeindlichkeit und alles Mögliche unterstellt haben.
Ich glaube, nur wer sich beide Augen und Ohren zuhält, hat tatsächlich verstanden, was Sie eigentlich damit machen wollten. Nein, die Frage ist: Sind Sie denn bereit, jetzt diesem Kompromiss, der morgen im Bundesrat verhandelt wird, zuzustimmen oder nicht zuzustimmen?