Johannes Lichdi zur 2. Lesung des Gesetzentwurfs über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid
Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zur 2. Lesung des Entwurfs "Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen und zur Änderung des Gesetzes über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid" (Linke) in der 42. Sitzung des Sächsischen Landtages, 12.10., TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
—————————————————————————-
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich denke, die Ansätze sind klar. Man kann sie aber durchaus noch einmal wiederholen. Im Grundgesetz steht: Alle Gewalt geht vom Volke aus. Man kann sich durchaus noch einmal vergegenwärtigen, was das bedeutet. Ich versuche zu inhalieren: Alle Gewalt geht vom Volke aus. Da gibt es diesen Spruch: Sie geht aus und keiner weiß, wo sie geblieben ist. Wir haben in Sachsen eine eindeutige Rechtslage, die besagt: Das Volk, von dem die Gewalt eigentlich ausgehen sollte, steht gleichrangig neben dem Landtag als Gesetzgeber.
Natürlich wird diese schöne Theorie jeder unterschreiben. Sie wird auch in Sonntagsreden und sonstigen schönen Reden beschworen, aber in der Praxis findet es leider nicht statt, weil wir eine politische Kultur und eine Rechtslage haben, die nicht geeignet ist, dass die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Recht auf Volksgesetzgebung tatsächlich Gebrauch machen können.
Deswegen begrüßen wir den Vorstoß der Fraktion DIE LINKE. Wir werden dem Gesetzentwurf letztlich zustimmen, weil wir auch der Ansicht sind, dass wir nach 20 Jahren gelebter Sächsischer Verfassung einen neuen Schub für die Volksgesetzgebung brauchen. Ich möchte auch noch hinzufügen, dass es ein sehr maßvoller Gesetzentwurf ist, der sich deutlich im Rahmen der breiten Diskussion der Bundesländer hält. Er ist keineswegs umstürzlerisch oder besonders innovativ.
Ich möchte aber trotzdem noch sagen, weil es oft dieses Missverständnis gibt, als ob man mit einer direkten Gesetzgebung, der Volksgesetzgebung, die Repräsentativorgane, den Landtag, ersetzen könnte. Das ist natürlich nicht der Fall, aber das intendieren Sie auch nicht. Das erkenne ich sehr wohl.
Jetzt möchte ich zu einzelnen Punkten Stellung nehmen. Den Volksantrag zur politischen Willensbildung kann man machen. Ich bin wie der Kollege Biesok sehr skeptisch, aber aus einem anderen Grund. Der Aufwand von 175 000 Stimmen ist sehr hoch und steht in keinem Verhältnis zum Nutzen. Was erhalten die Initiatoren? Dass wir hier mal eine Stunde darüber reden. Ich glaube nicht, dass das geeignet ist, um beim Volk die Neigung, seine Rechte auszuüben, zu steigern.
Deswegen geht es im Kern im Grunde um den Volksantrag auf Gesetz. Dort haben Sie nachgebessert und haben jetzt 280 000 Stimmen oder 8 % festgelegt. Damit sind wir garantiert auf der sicheren Seite. Ich frage mich, ob man hier nicht doch etwas mutiger sein sollte und bei den 5 % bleiben könnte, auch wenn man kein Erfolgsquorum hat, auch wenn es dort Bedenken gibt. Aber okay. Die Regelung, die hier vorgeschlagen wird, ist sicher pragmatisch und unterstützenswert.
Neu — darauf ist der Kollege Biesok gar nicht eingegangen; das hätte ich eigentlich erwartet, wenn er sagt, dass er die Initiative im Kern unterstützt — sind die Fragen Referendum auf Beschluss des Landtages, auf Antrag von einem Drittel der Mitglieder des Landtages, und die Referendumsinitiative des Volkes. Ich glaube, dass das ein guter Zug ist, ähnlich wie in der Gemeindeordnung, dass der Sächsische Landtag auch selbst sagt: Wir haben zwar entschieden, wir stehen auch zu dieser Entscheidung, wir begründen diese Entscheidung auch im öffentlichen Dialog, aber wir halten diese Entscheidung für so wichtig, dass wir sie trotzdem gern noch einmal unmittelbar dem Volk vorlegen.
Ich finde, das wäre ein gutes Zusammenspiel, eine gute Art und Weise, wie die beiden gleichrangig nebeneinander stehenden Gesetzgeber miteinander umgehen könnten. Ich glaube, dass dann auch das Interesse des Volkes, den Debatten im Sächsischen Landtag zu folgen, möglicherweise noch steigen würde, ein Effekt, der sicher erwünscht ist. Auch die Referendumsinitiative des Volkes gegen ein vom Landtag beschlossenes Gesetz halte ich im Grunde für eine gute Geschichte. Ich möchte nur auf ein kleines Detail aufmerksam machen.
Sie sagen, dass die Dreimonatsfrist nach Beschluss des Landtages beginnen soll. Wir haben eine parallele Situation im Bürgerbegehrensrecht. Dort ist es schon nach Bekanntgabe des Beschlusses des Gemeinderates, der angegriffen werden soll — —
Die Bekanntgabe ist eben nicht mit der öffentlichen Bekanntmachung zu verwechseln, woran viele Initiativen scheitern, weil sie sagen, ich warte jetzt erst einmal, bis es im Amtsblatt veröffentlicht ist. Dann ist die Zweimonatsfrist verstrichen. Von daher hätte ich mir gewünscht, dass Sie dort hineinschreiben:"nach Veröffentlichung des Gesetzes im Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt". Dann wäre es völlig eindeutig gewesen, wann die Frist beginnt und auch auf welches konkrete Gesetz und welchen konkreten Wortlaut sich das bezieht.
Sie machen Verfahrensregelungen, sammeln auch in den Rathäusern Unterschriften – ja, das ist ein guter Gedanke. Ich bin auch sehr froh, dass jetzt hier einhellig in den Fraktionen links der CDU die Idee des Abstimmungsbüchleins mitgetragen wird. Ich erinnere immer gern daran, dass es im Jahr 2005 unsere Stadtratsfraktion in Dresden war, die meines Wissens zum ersten Mal in Sachsen einen Beschluss hat durchsetzen können. Ich würde mir wirklich wünschen, dass das jetzt in alle Köpfe hineingeht, dass ein Abstimmungsbüchlein einfach zum Besteck dazugehört, wie es in der Schweiz schon seit Langem üblich ist.
Aber ich denke, wir müssen noch einmal etwas tiefer greifen und uns vergegenwärtigen, was eine wirksame, eine echte Volksgesetzgebung bedeutet. Esgeht dort um nicht weniger als eine Veränderung der politischen Kultur. Es geht darum, dass der Landtag im Grunde nicht mehr das allein entscheidende Gremium ist. Es ist de facto nicht der Landtag, sondern die Staatsregierung und ihr Behördenapparat. Es geht darum, den Verfassungswortlaut tatsächlich auch zum Verfassungsleben zu erwecken. Es geht darum, dass die Gewalt wirklich vom Volke ausgeht. Das bedeutet natürlich auch eine Einschränkung der Macht der Landtagsabgeordneten und das mag auch eine gewisse Zurückhaltung bei manchen Fraktionen erklären.
Es geht hier in Sachsen ganz konkret auch um die Einschränkung der Macht der Staatspartei CDU, die sich seit jeher beim Regieren ungern vom Volke stören lässt. Aber ich glaube, der wichtigste Effekt ist der, dass wir Landtagsabgeordnete dann verpflichtet wären, in viel größerem, detailliertem, genauerem und intensiverem Maße dem Volk unserer Handlungsweise und unsere Entscheidungen verständlich zu machen. Ich glaube, dass würde der politischen Kultur sehr gut tun. Deswegen wird meine Fraktion diesem Gesetzentwurf auch zustimmen.