Karl-Heinz Gerstenberg: Die Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert – Die GEMA hat das noch nicht begriffen

Rede Dr. Karl-Heinz Gerstenberg (FRAKTION GRÜNE) in der Debatte zum GEMA-Tarifsystem (Drs 5/10624), 67. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13. Dezember 2012, TOP 6

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert, auch die Art, wie Musik entsteht und wie sie veranstaltet wird. Die GEMA hat das in vielerlei Hinsicht noch nicht begriffen und auch das ist ein Grund dafür, dass wir heute nochmals diskutieren.

Wie immer bei solchen Gelegenheiten sage ich vorweg: Wir GRÜNE halten das Modell der Verwertungsgesellschaften grundsätzlich für geeignet, einen Interessenausgleich zwischen Urheberinnen und Urhebern bzw. Verwerterinnen und Verwertern und den Nutzenden zu schaffen. Die aktuelle Tarifreform der GEMA jedoch bringt durch unverhältnismäßige Erhöhungen viele Veranstalter in ernsthafte Schwierigkeiten. Das Problem wird inzwischen bundesweit gesehen und seitens der Politik bearbeitet – und zwar parteiübergreifend.

Der Antrag der Linksfraktion zielt ja auf günstigere Tarife vor allem im gemeinnützigen Bereich. Es ist immer schwierig zu definieren, was ein „sinnvoller Interessenausgleich“ ist. Die GEMA sollte sich aber schon damit befassen, welche Nebenwirkungen ihre Tarife entfalten. Im Normalfall macht man das, bevor neue Tarife veröffentlicht werden, und wartet nicht erst, ob jemand protestiert. Wenn also beispielsweise Großveranstaltungen von Vereinen unmöglich gemacht werden, dann stimmt etwas nicht. Im Juli gab es ja die stolz präsentierte Einigung auf einen ersten Gesamtvertrag mit dem „Bund deutscher Karneval“. Der hat übrigens 2,5 Millionen Einzelmitglieder und ist mit dem Vertrag wohl ganz zufrieden.

Hier wird aber ein Problem deutlich. Kulturangebote finden heute auch in sehr kleinteiligen Strukturen statt. Auf die muss die GEMA ebenfalls schauen. Da geht es um Vereine oder kleine Kulturinitiativen, die nicht von Verbänden vertreten werden. Sie leisten wichtige Arbeit, von innovativen Kulturprojekten bis hin zur Kinder- und Jugendbildung. Kleinstveranstaltungen, auf denen es weder Eintrittsgelder noch nennenswerten gastronomischen Umsatz gibt, haben zwar nicht mit Erhöhungen zu kämpfen. Aber schon kleine Beträge wie 30 Euro können das Zünglein an der Waage sein, ob sie überhaupt stattfinden. Zugunsten einer lebendigen Kunst- und Kulturszene sind hier aus meiner Sicht Befreiungen angebracht. Die GEMA würde jetzt auf die Härtefallregelungen verweisen. Dahinter steht aber so viel bürokratischer Aufwand für Beantragungen und Nachweise, dass das Zahlen der Gebühr oft das geringere Problem ist.

In den vergangenen Monaten haben die Musikclubs am stärksten gegen die neuen Tarife protestiert. Zurecht, denn die Vielfalt in der Clubkultur ist bedroht. Die GEMA sollte sich einmal gründlich in der Szene umschauen, die sie zu vertreten beansprucht. Die Clubs könnten auf die Tarife nur durch eine radikale Kommerzialisierung ihrer Geschäftsmodelle reagieren. Vor allem elektronische Musik im subkulturellen und Independent-Bereich fände dann kaum noch statt.

Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen,
der massive Protest hat durchaus etwas bewegt. Die GEMA stellt sich langsam von Ignoranz auf Dialog um. Die neuen Tarife sollen nun erst zum 1. April 2013 kommen und wurden ein wenig entschärft. Nicht ganz unwichtig dürften hierfür neben den massiven Protesten auch Appelle aus der Politik gewesen sein. Zwar können wir der GEMA als wirtschaftlichem Verein nichts direkt vorscheiben. Aber viele andere Länder haben sich zumindest positioniert, sind aktiv geworden. Kaum ein Ton kam hingegen aus Sachsen, schon gar kein entschiedenes Auftreten. Ich halte das für ein Trauerspiel.

Herr Staatsminister Morlok, im Juni haben Sie in Ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage noch betont, dass die Staatsregierung keine Einflussmöglichkeiten hat. Im Juli-Plenum haben Sie es in der Aktuellen Debatte gerade so geschafft, Ihre „Hoffnung“ zu äußern, dass die GEMA einlenkt. Sie schienen mir eher etwas verwundert, dass Sie überhaupt etwas mit dem Thema zu tun haben. Nun hat sich die Wirtschaftsministerkonferenz Anfang Dezember in einem einstimmigen Beschluss für das Aussetzen der Tarifreform eingesetzt. Herr Morlok, warum müssen Ihnen Ihre Länderkollegen so etwas erst vormachen? Bitte lassen Sie sich doch nicht immer und immer wieder zum Jagen tragen, wenn die Verbindung aus Wirtschaft und Kultur Unterstützung braucht!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die in Gang gekommene Diskussion darf auf keinen Fall wieder einschlafen, denn der Reformbedarf bei der GEMA geht weit über die Tarifänderungen hinaus.

Hierzu nur wenige Punkte:
Zum einen muss die GEMA Lehren aus dem unsensiblen und unglücklichen Verfahren ziehen und sich endlich einmal mit der Realität der verschiedenen Veranstalter befassen. Das beginnt schon bei der tariflichen Unterscheidung von Musikwiedergabe mit oder ohne Laptop, die sich niemand erklären kann.
Ein anderes Problem ist die pauschale „GEMA-Vermutung“. Wenn Veranstalter Musik von Künstlern spielen, die gar nicht bei der GEMA angemeldet sind, dann ist es unzumutbar, dass sie das erst umständlich nachweisen müssen. Künstler, also die Urheber, müssen sich frei entscheiden können, welche Werke sie bei einer Verwertungsgesellschaft anmelden und welche sie frei veröffentlichen wollen, beispielsweise unter einer Creative Commons Lizenz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Regeln der GEMA sind nicht in Stein gemeißelt. Ihre Rahmenbedingungen werden durch die Politik vorgegeben. Und auch innerhalb der GEMA ist im Keim eine Mitbestimmung angelegt, die dringend in Richtung Transparenz und paritätische Beteiligung ausgebaut werden muss.

Doch zurück zum Anliegen des heutigen Antrags. Die Staatsregierung kann dem Änderungsbedarf bei der Tariferhöhung auch jetzt, nach ihrer langen Untätigkeit, noch Nachdruck verleihen. Daher stimmen wir dem Antrag zu. Das ist zugleich unsere Unterstützung für die bisher größte Petition in Deutschland, die heute mit über 300.000 Unterschriften an die Bundesjustizministerin übergeben wurde.

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