Karl-Heinz Gerstenberg: Die zuständigen Minister haben in den letzten Jahren das im Regen stehen gelassen, was sie hätten in trockene Tücher bringen müssen

Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag „Lehramtsstudium sofort absichern und ausbauen – Lehrkräftemangel vermeiden“ (Drs. 5/2083) in der 13. Sitzung des Sächs. Landtages am 28. April, TOP 8
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

die lange totgeschwiegenen Probleme des Lehramtsstudium an den sächsischen Hochschulen haben in den letzten Wochen und Monaten an Brisanz gewonnen und sind endlich öffentlich geworden.
Ich hoffe, dass dadurch auch deutlich wird, welche Schlüsselstellung die Lehrerausbildung für das gesamte Bildungssystem hat. Denn wer die Räumlichkeiten der Pädagogen in Leipzig und Dresden kennt, für den ist es augenscheinlich, dass die Ausbildung von Lehrkräften alles andere als Priorität genießt. Doch nicht nur die äußerlichen Rahmenbedingungen sind schlecht, auch die personelle Ausstattung lässt seit Jahren zu wünschen übrig, denn die Lehramtsausbildung ist chronisch unterfinanziert. All das ist seit Jahren bekannt. Bekannt ist auch die Hochschulvereinbarung aus dem Jahre 2003, wonach die Lehramtsausbildung grundsätzlich an der Universität Leipzig konzentriert werden soll. Ebenso bekannt ist seit Jahren, dass ab 2015 ein Generationswechsel in den sächsischen Schulen einsetzt und damit ein deutlich erhöhter Lehrerbedarf entsteht.
Eigentlich ist alles, wirklich alles längst bekannt gewesen, und trotzdem ist es nun Fünf nach Zwölf. Ich kann es den Kultusministern Flath und Wöller, aber auch der ehemaligen Wissenschaftsministerin Stange leider nicht ersparen: Sie haben in den letzten Jahren das im Regen stehen gelassen, was sie längst hätten in trockene Tücher bringen müssen. Sie haben sich von Haushalt zu Haushalt gehangelt und versucht, ein unaufschiebbares Problem auszusitzen. Das ist das Gegenteil von vorausschauender Politik.
Die Qualität von Schule steht und fällt zuerst mit den Lehrerinnen und Lehrern. Wenn jetzt nicht sofort die richtigen Entscheidungen getroffen werden, dann  wären die Leidtragenden vor allem die Kinder, deren Bildungschancen künftig beschnitten würden, vor allem durch große Klassenstärken und häufigen Unterrichtsausfall.
Die anderen Leidtragenden dieser Versäumnisse demonstrieren heute vor dem Landtag. Sie stehen im wahrsten Sinne des Wortes „draußen vor der Tür“. Es sind vor allem Studierende mit dem Ziel Lehramt Grundschule oder Mittelschule an der TU Dresden, die derzeit nicht wissen, wie es nach ihrem Bachelorabschluss für sie im kommenden Wintersemester weitergeht. Gemäß der auslaufenden Hochschulvereinbarung müssten sie an die Universität Leipzig wechseln. Dort ist jedoch nicht klar, ob genügend Studienplätze zur Verfügung stehen.
Viele der Dresdner Studierenden hatten und haben daher bis zuletzt Hoffnungen auf Masterstudiengänge hier in Dresden.
Ein rechtzeitiges Handeln, und hier nehme ich Wissenschaftsministerin von Schorlemer ausdrücklich in Schutz, nicht erst jetzt oder im Januar, sondern in den Jahren seit dem Start der Studiengänge, hätte diese Hoffnungen erfüllt. Nun hängen die Studierenden schlimmstenfalls bis zum Ende der Bachelor-Phase in der Luft. Die Staatsregierung verweist uns und die Studierenden in der Antwort auf eine kleine Anfrage auf die Bekanntgabe der Zulassungszahlen, die typischerweise im Juli stattfindet. Und für diese Hängepartie, Frau von Schorlemer, sind nun allerdings Sie verantwortlich.
Obwohl die TU Dresden alle Vorbereitungen für Masterstudiengänge bereits getroffen hatte, scheint es nunmehr für das kommende Wintersemester zu spät zu sein. Der Prorektor der TU, Prof. Karl Lenz erklärte allerdings vor vier Wochen hier in der Landtagsanhörung: Wir würden versuchen, das Unmögliche möglich zu machen. Frau Staatsministerin, geben Sie der TU Dresden diese Chance, schließen Sie schnellstmöglich mit ihr eine Vereinbarung über Masterstudiengänge Grundschule und Mittelschule ab!
Eine solche Vereinbarung ist vor allem vor dem Hintergrund des absehbaren Lehrermangels wichtig. Den etwa 860 Studienanfängerinnen und -anfängern im laufenden Studienjahr steht ein für 2015/2016 prognostizierter Einstellungsbedarf von bis zu 1.300 Lehrern gegenüber. In den nächsten zehn Jahren sind über zehntausend Neueinstellungen nötig. Prof. Lenz, spricht dementsprechend von einem Bedarf von 1.500 bis 1.800 Studienanfängern im Lehramt jährlich.
Was bedeutet dieser enorm steigende Bedarf für die Lehrerausbildung? Das heißt, wir müssten im Grunde über Nacht die Kapazitäten verdoppeln. Angesichts der laufenden Hochschulentwicklungsplanung, einer dringend notwendigen neuen Hochschulvereinbarung und den Zielvereinbarungen mit den Hochschulen hat der Freistaat dafür alle Instrumente in der Hand – er muss sie nur nutzen. Dabei muss allen klar sein: Ohne zusätzliche und vor allem attraktiv ausgestattete Stellen für Professuren und Mitarbeiter, und das deutlich im zweistelligen Bereich, wird diese Ausweitung der Ausbildungskapazitäten nicht funktionieren.
Der Freistaat muss auch hinsichtlich der Standorte des Lehramtsstudiums die Weichen richtig stellen. Im Rahmen der auslaufenden Hochschulvereinbarung sollte die Ausbildung von Grund- und Mittelschullehrern grundsätzlich in Leipzig konzentriert werden. Dieser Entscheidung sind jedoch in den letzten Jahren keinerlei finanzielle Mittel gefolgt. Die Erziehungswissenschaften der Universität Leipzig sind seit Jahren unterfinanziert. Deshalb ist zuallererst dafür zusorgen, dass diese massive Unterausstattung beseitigt wird. Unter dieser Voraussetzung ist eine weitere deutliche Stärkung der Erziehungswissenschaften in Leipzig sinnvoll und notwendig.
Grundsätzliche Konzentration hieß und heißt jedoch nicht, dass die Lehrerausbildung ausschließlich in Leipzig stattfinden wird. Die Leipziger Prorektoren Holländer und Fach haben deutlich erklärt, dass den enormen Bedarf Leipzig nicht allein decken kann. Es ist auch kaum vorstellbar, dass die Universität Leipzig ein Interesse daran hätte, denn 1.800 Studienanfänger im Lehramt würden bedeuten, dass ein Drittel der Studierenden Lehrer werden. Faktisch würde Leipzig damit zu einer Pädagogischen Hochschule neuen Typs – mit allen Konsequenzen für den Charakter der Universität. Die möglichen Effizienzgewinne einer solchen Konzentration fallen demgegenüber kaum ins Gewicht.
Es gibt auch gute andere Gründe dafür, eine starke Lehrerausbildung jenseits von Leipzig anzusiedeln. Ein Argument sind die schulpraktischen Studien, die möglichst verteilt über Sachsen stattfinden sollten. Auch eine Wiederaufnahme des Lehrerstudiums in Chemnitz, die in der erwähnten Anhörung gefordert wurde, sollte zumindest intensiv geprüft werden.
Dafür spricht zum einen die starke natur- und technikwissenschaftliche Ausbildung der TU Chemnitz, denn der zukünftige Lehrermangel ist in Fächern wie Mathematik oder Physik am größten.
Zum anderen ist gerade für Grundschullehrerinnen Wohnortnähe ein entscheidendes Argument für die Studienwahl. Und gerade im Grundschulbereich läuft der Freistaat auf einen eklatanten Lehrkräftemangel zu. Bereits in wenigen Jahren brauchen wir nur für die Grundschule 350 neue Lehrkräfte. Derzeit sind aber gerade einmal 50 Studierende im Masterstudiengang immatrikuliert. Um den absehbaren Bedarf zu befriedigen, wären allein 500 Studienanfänger im Bereich Grundschule notwendig.
Die geringe Anzahl der immatrikulierten Lehramtsstudenten für die Grundschule zeigt ein weiteres Problem auf. Bis auf das Gymnasium mangelt es praktisch allen Schularten an Attraktivität und Nachfrage. Dieses Problem lässt sich wahrscheinlich am besten lösen durch eine grundlegende Schulreform zu Gunsten der Gemeinschaftsschule und durch eine Lehramtsausbildung, die nicht an Schularten, sondern altersspezifischen Schulstufen orientiert ist. Wahrscheinlich wird ein solcher Wandel noch länger ausbleiben, was ich sehr bedaure.
Trotzdem müssen wir hier und heute überlegen, was getan werden kann. Wir brauchen eine gemeinsame Kampagne von Freistaat und Hochschulen, die deutlich macht, wie attraktiv der Lehrerberuf in Förderschulen, Grundschulen und insbesondere Mittelschule sein kann und wie gut die Einstellungschancen sind.
Zentrale Voraussetzung dafür ist selbstverständlich, dass der Lehrerberuf in diesen Schularten tatsächlich attraktiv ist. Es ist nicht einzusehen, dass der Lehrerberuf in den genannten Schularten deutlich schlechter bezahlt wird als im Gymnasium. Mit derselben Eingruppierung für neue Lehrkräfte aller Schularten ließe sich ebenso gut werben wie mit einer Perspektive auf Vollzeitbeschäftigung und damit verbundenen attraktiven und flexiblen Arbeitszeitmodellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition!
Es gibt eigentlich keinen Grund, unserem Antrag zur Absicherung und zum Ausbau des Lehramtsstudiums nicht zuzustimmen. Es gibt sicher noch vieles zu sagen, insbesondere zur inhaltlichen Gestaltung des Lehrerstudiums – die heutigen Debatten könnten dafür der Auftakt sein. Jetzt geht es aber um die notwendigen Sofortmaßnahmen. Sie haben es in der Hand, für deutliche Verbesserungen an dieser Schlüsselstelle des Bildungswesens zu sorgen.