Karl-Heinz Gerstenberg: Ihre bisherige Politik bei der Lehrerbildung ist blankes „Management by Chaos“ – Sie machen damit den absehbaren Lehrermangel offiziell zum Planziel

Ihre bisherige Politik bei der Lehrerbildung ist blankes "Management by Chaos" – Wissenschaftsministerin von Schorlemer und Kultusminister Wöller: Überarbeiten Sie Ihre Pläne!
Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag "Langfristige Perspektive für ein Lehramtsstudium in Sachsen" (Drs. 5/4034) in der 37. Sitzung des Sächsischen Landtages, 26.05., TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Abwendung des drohenden Lehrermangels ist mittlerweile zum wohl brennendsten Thema in der sächsischen Bildungspolitik geworden. Meine Damen und Herren von der Koalition, sie laufen seit Jahren sehenden Auges in ein Fiasko – und jetzt merken Sie es langsam.
Ihre bisherige Politik bei der Lehrerbildung ist blankes "Management by Chaos": Erst zieht das Wissenschaftsministerium die Konzentration der Lehrerbildung in Leipzig durch, als längst alles dagegen spricht. Viel zu spät kommt die Rolle rückwärts. Dann verkünden Frau von Schorlemer und Herr Wöller eine überhastete Reform der Lehrerbildung zum Wintersemester 2011/12, um später kleinlaut einzuräumen, dass das gar nicht so schnell geht. Der Kultusminister lehnt noch im letzten Herbst jede weitere Aufstockung der Referendariatstellen ab, um sich jetzt – richtigerweise – mit dem Finanzminister um eine Verdopplung zu streiten. Weitere Überraschungen sind wohl zu erwarten.
Die sogenannte Lehramtsreform, deren Eckpunkte im Oktober 2010 vorgestellt wurden, ist aus blanker Panik geboren. Ihre simple Logik lautet: In Grund- und Mittelschulen haben wir den größten Lehrerbedarf, also verkürzen wir dort die Studienzeiten und das Referendariat und beginnen die Reform zum Wintersemester 2011 – dann sind die Lehrer pünktlich zum angezeigten Bedarf in den Schulen. Gänzlich außer Betracht wird gelassen, dass eine solche Schnell-und-billig-Ausbildung weder den sächsischen Schülern noch den künftigen Lehrern nutzt.
Was vielleicht ein schlauer Plan sein sollte, entpuppt sich zudem in Wirklichkeit als Milchmädchenrechnung mit zwei Unbekannten. Wären Studierende und Hochschulen keine Unbekannten für das Kultus- und das Wissenschaftsministerium, dann hätten sie wissen können, dass eine Neustrukturierung der Lehrerbildung zu komplex ist, um im Wintersemester 2011/12 starten zu können. Sie hätten wissen können, dass Studierende sich nicht so einfach in Studiengänge lenken lassen wie weiland noch in der DDR. Denn die Studierenden wollen Abschlüsse, mit denen sie etwas anfangen können und attraktive Berufsperspektiven. Beides ist nicht gegeben.
Im Ergebnis schütteln alle nur noch den Kopf. Diejenigen, die mit der Erarbeitung neuer Studiengänge befasst sind, arbeiten an einer Reform, von der sie nicht überzeugt sind. Die Anhörung zu unserem Antrag zur Lehramtsreform im Januar war eine einzige Ohrfeige für die Pläne der Staatsregierung. Die Kritik lautete in Kurzform: Die Mängel der bisherigen Studiengänge werden in die neuen hineingepresst. Die Verkürzung der Studienzeit wertet Grundschule und Mittelschule ab und widerspricht klar den Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz. Sachsen geht einen Sonderweg, der zukünftige Studierende abschreckt. Die geplante stärkere Orientierung auf Schularten verschärft die derzeitigen Probleme beim Lehrernachwuchs, statt sie zu lösen.
Im Gegensatz dazu konnten die Vorschläge unserer Fraktion die Mehrheit der Fachleute aus Praxis und Wissenschaft überzeugen. Statt einer Abschaffung wollen wir die Bachelor- und Master-Struktur konsequent weiterentwickeln. Eine Ausbildung nach Altersstufen statt nach Schularten ist die einzige Möglichkeit, auch zukünftig den Lehrernachwuchs für die Mittelschule zu sichern. Die Voraussetzungen dafür sind gut, weil schon jetzt die Studieninhalte für Mittelschule und Gymnasium faktisch deckungsgleich sind. Einigkeit besteht auch darin, sowohl ein orientierendes Praktikum zu Studienbeginn als auch größere Praxisanteile im Studienverlauf einzuführen. Zudem müssen in den neuen Studiengängen inklusive Pädagogik verankert und Seiteneinstiege ermöglicht werden.
Diese Punkte sind keine grünen Träume, sondern entsprechen im Wesentlichen einer Lehrerbildungsreform, die von dem renommierten Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers als das modernste Lehrerbildungsmodell Deutschland bewertet wird. Auf den Weg gebracht wurde sie vor zwei Jahren in Nordrhein-Westfalen von einer schwarz-gelben Landesregierung. Meine Damen und Herren von CDU und FDP: Sie sehen, es geht.
Neben einer inhaltlichen Ausrichtung auf dem neuesten Stand fehlt auch eine angemessene Ausstattung der Lehrerbildung. Die Lehramtsausbildung ist seit Jahren chronisch unterfinanziert. Das ist eine der Hauptursachen für die hohen Studienabbruchquoten von bis zu 50 Prozent. Wer mehr Absolventen will, der sollte hier ansetzen.
Für die Jahre ab 2015 wird ein Einstellungsbedarf von bis zu 1.300 Lehrern jährlich prognostiziert. Dem stehen derzeit etwa 900 Studienanfängerinnen und -anfängern gegenüber. Mit der laufenden Hochschulentwicklungsplanung und den Zielvereinbarungen mit den Hochschulen hat der Freistaat die Instrumente in der Hand, um diese Lücke zu schließen. Aber was findet sich dazu in der Hochschulplanung? Der Entwurf der Staatsregierung sieht allen Ernstes ganze 950 Studienplätze in den Lehramtsstudiengängen vor. Das heißt, dass faktisch jeder Studienanfänger nicht nur sein Studium abschließen, sondern auch noch die richtige Fächerkombination aufweisen und im Lande bleiben müsste. Und selbst dann hätten wir noch einen Fehlbedarf. Realistisch heißt diese Studienanfängerzahl jedoch, dass gerade einmal die Hälfte des Bedarfs ausgebildet wird.
Sehr geehrte Frau von Schorlemer, Sie machen damit den absehbaren Lehrermangel ganz offiziell zum Planziel. Das halte ich für verantwortungslos! Nutzen sie doch die Ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente und vereinbaren Sie mit den beteiligten Hochschulen eine Verdopplung der Kapazitäten. Das wird nicht ohne zusätzliche und attraktiv ausgestattete Stellen für Professuren und Mitarbeiter funktionieren. Die Hochschulen haben jedoch in den kommenden Jahren genügend Flexibilität, um Professuren und Stellen in diesen Bereich zu verlagern – den Freistaat kostet das in der Summe keinen zusätzlichen Cent.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Weiterentwicklung der Lehrerbildung braucht einen Neustart. Ich appelliere deshalb an Wissenschaftsministerin von Schorlemer und Kultusminister Wöller: Lassen Sie in Sachen Bildung Vernunft walten, überarbeiten Sie Ihre Pläne!