Karl-Heinz Gerstenberg: Ohne Lehrer ist gute Schule nicht zu machen

Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag:
"Zukunft der Schule sichern – Lehrernachwuchs jetzt einstellen" (Drs. 5/14411)
96. Sitzung des Sächsischen Landtages, 21. Mai 2014, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
eines dürfte nach den Presseberichten der letzten Tage und den bisherigen Reden unstrittig und allen klar sein: Ja, wir haben aktuell und perspektivisch zu wenig Lehrkräfte. Ja, wir brauchen mehr Einstellungen. Über die konkreten Zahlen, auch das dürfte deutlich geworden sein, lässt sich dabei trefflich streiten. Eines steht fest: Es geht um Entscheidungen von großer Tragweite, nicht zuletzt finanziell. Meine Fraktion hat für morgen eine Aktuelle Debatte zum Kita-Betreuungsschlüssel beantragt. Ebenso wie beim dortigen Personalbedarf sollte uns der Umfang der nötigen Investitionen im Bildungsbereich jedoch nicht dazu verleiten, die Entscheidung darüber auszusitzen und auf bessere Zeiten zu hoffen – denn diese werden nicht kommen.
Im Gegenteil: Das Problem des Lehrermangels hat sich über Jahre aufgebaut, die Engpässe haben sich seit Langem abgezeichnet. Und ich möchte deutlich sagen: Jeder, der hier im Hause in den letzten 20 Jahren Verantwortung in der Bildungspolitik hatte, hat an der derzeitigen Misere seinen Anteil. Wenn über Jahre alle Lehrerinnen und Lehrer im System bleiben und praktisch keine Neueinstellungen stattfinden, kann man sich ausrechnen, wohin das führt.
Und wenn wir gerade beim Rechnen sind: In Punkt 5 des Antrags wird nüchtern festgestellt, dass der an den sächsischen Hochschulen vorhandene Lehrernachwuchs die entstehenden Lücken nicht wird schließen können. Leider bleibt diese Feststellung einfach im Raum stehen. Ich möchte kurz erläutern, welche Sprengkraft diese Aussage besitzt. So wird im aktuellen Kultushaushalt zwar von der realistischen Prognose ausgegangen, dass jeweils etwa ein Viertel des Lehrernachwuchses an Grund- und Oberschulen ausgebildet werden soll, für das Gymnasium ist ein knappes Drittel vorgesehen, für Berufsbildende Schulen und Förderschulen jeweils etwa zehn Prozent.
Die tatsächliche Verteilung der Lehramtsanwärter nach Schularten in den letzten drei Einstellungsrunden zeigt jedoch, dass sich die Realität völlig anders darstellt: So sind weit über die Hälfte der Lehramtsanwärter Referendare am Gymnasium, auf die Grundschulen entfallen gerade einmal knapp 20 Prozent, auf die Mittelschulen keine zehn und auf die Förderschulen lediglich 7,6 Prozent. Das wird dem Bedarf in keiner Weise gerecht! Und zur Wahrheit gehört eben auch, dass es nicht reicht, mehr Einstellungen zu fordern. Dann muss man sich auch dazu äußern, woher denn die entsprechenden Lehrkräfte kommen sollen. Die Aufgabe der adäquaten Stellenbesetzung entsprechend Schulart, Fächerkombination und Region ist das eigentliche Problem und das verschärft den allgemeinen Lehrermangel gewaltig.
Der Antrag jedoch löst dieses grundlegende Problem nicht. Es wird an der Trennung nach Schularten und damit auch der unterschiedlichen Bezahlung festgehalten, das Motto "Kleine Pädagogik, kleine Bezahlung – große Pädagogik, große Bezahlung" gilt weiterhin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir GRÜNE haben ein Lehrerbildungsgesetz vorgelegt, das diesen Systemfehler beheben soll, indem nach Schulstufen und nicht nach Schularten ausgebildet wird. Alle Lehrämter brauchen eine Ausbildung von gleicher Qualität und Dauer. Natürlich erwächst für die Lehrerinnen und Lehrer in der Folge dann auch ein Anspruch auf gleiche Bezahlung – unabhängig von der Schulart, an der sie zum Einsatz kommen. Das schafft mehr Flexibilität sowohl für die Nachwuchskräfte als auch für die Einstellungspraxis. Wir brauchen außerdem mehr konkrete Optionen für den Seiteneinstieg, ohne Abstriche bei der Qualität zuzulassen. Unser Angebot liegt auf dem Tisch. Es reicht hingegen nicht, die Mittelschule in Oberschule umzubenennen und als "Herzstück" des sächsischen Schulsystems zu preisen, wenn dem keine Taten folgen. Die Studierenden scheinen Ihrem Ruf, werte Koalitionäre, bisher jedenfalls nicht zu folgen.
Wichtig ist mir noch folgende Anmerkung: Die Arbeit, die an sächsischen Schulen geleistet wird, darf nicht schlecht geredet werden. Die kurzfristigen Maßnahmen, wie die Budgets für Schulleitungen oder der "Springer-Pool", scheinen an den Schulen gut angenommen zu werden. Sie leisten ihren Beitrag, den Unterrichtsausfall zumindest zu begrenzen. Natürlich kommen die Maßnahmen spät und sind wenig nachhaltig. Jedoch finde ich es unangebracht, anlässlich der Landtagswahl eine Katastrophenstimmung herbeizureden, als tauche plötzlich ein völlig neues und bedrohliches Szenario am Horizont auf. Wie ich eingangs sagte, neu ist es mitnichten – bedrohlich hingegen schon.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden dem Antrag der SPD zustimmen. Wir erhoffen uns davon zunächst klare Aussagen zum zukünftigen Bedarf nach Fächern, Schulart und Region, ähnlich wie im ersten Bericht der Staatsregierung zum Antrag "Lehrernachwuchs sichern". Dieser ist übrigens – man traut sich fast nicht, es laut zu sagen – von 2010. Schon dort hieß es: "Bei allen denkbaren Änderungen im Detail bleibt allerdings die erhebliche Dimension der notwendigen Nachwuchssicherung grundsätzlich unberührt". Dem ist fast nichts hinzuzufügen, außer unsere zweite Erwartung: Die Haushaltsverhandlungen laufen – handeln Sie! Wir werden handeln, denn ohne Lehrer ist Schule – gute Schule – nicht zu machen!