Karl-Heinz Gerstenberg: Wer über eine spürbare Erhöhung der Grundausstattung der sächsischen Hochschulen nicht reden will, sollte von Exzellenz schweigen

Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag der Fraktionen GRÜNE und SPD "Zukunftsfähige Hochschulentwicklungsplanung für Sachsen – wissenschaftliche Ressourcen erhalten" (Drs. 5/5548), in der 35. Sitzung des Sächsischen Landtages, 20.04., TOP 6
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! nachdem unsere Fraktion bereits seit April 2009 die dringend notwendige Hochschulvereinbarung thematisiert hat, scheint die Debatte nun auch in Koalition und Öffentlichkeit angekommen zu sein.
Wir haben früh darauf hingewiesen hat, dass eine stabile Stellen- und Finanzausstattung unabdingbar für die weitere Entwicklung der sächsischen Hochschulen ist.  Im Gegenzug hat die Koalition einen Vermerk über den möglichen Abbau von 1.042 Stellen in den Haushaltsplan 2011/2012 aufgenommen – wie üblich ohne Konzept.

Über den Versuch, diese Lücke mit den Wissenschaftsräumen zu schließen, lässt sich streiten. Es gibt an einzelnen Stellen durchaus Reserven bei der Zusammenarbeit, die durch gezielte Kooperationen gehoben werden können. Wer sich jedoch davon eine Kompensation drohender Stellen- und Finanzkürzungen erhofft, gibt sich freilich Illusionen hin.
Richtig absurd wird es mit der FDP-Idee einer "Universität Sachsen", die allen Ernstes auf einer Ebene mit der "University of California" stehen soll. Wie weltfremd diese Pläne sind, zeigt ein Blick auf das Vorbild. Allein der Teil University of Berkeley hat einen Etat von 2,2 Mrd. Euro. Das sind – bei einer vergleichbaren Anzahl von 35.000 Studierenden – mehr als viermal so viel Mittel wie die TU Dresden, die 2008 einen Etat von 500 Millionen Euro einschließlich der Drittmittel aufwies.
Lieber Kollege Schmalfuß, die sächsischen Hochschulen wären schon froh, wenn ihnen die angekündigte Kürzung von über 1.000 Stellen erspart bliebe und Sie stellen munter Vergleiche mit amerikanischen Eliteuniversitäten an – auf welchem Planeten leben Sie eigentlich? Offenbar wollen sie mit Kürzungen bei Geld und Stellen zu Berkeley &Co. aufschließen. Das kommt mir bekannt vor. "Überholen ohne einzuholen" hieß einst dieses Prinzip – die FDP will die sächsischen Hochschulen offenbar auf Walter Ulbrichts Pfaden zum Weltniveau führen!
Ich bin dem Rektor der TU Chemnitz, Prof. Klaus-Jürgen Matthes, ausgesprochen dankbar für seine klare ablehnende Haltung zu diesem Unsinn. Der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz spricht stellvertretend für die sächsischen Hochschulen, wenn er anmahnt, dass die Koalition ihr Augenmerk auf eine ausreichende Finanzierung der Hochschulen richten soll. "Wissenschaft und Forschung müssen gestärkt und nicht durch Stellenabbau untergraben werden", so Matthes. Werte Koalition, die Ansage ist klar: Hören Sie auf, über mehr oder minder sinnvolle Etiketten zu debattieren und widmen Sie sich den konkreten Problemen der sächsischen Hochschulen!
Wir wollen dieses Anliegen der Hochschulen in unserem Antrag gemeinsam mit der SPD gern aufgreifen. Damit erneuern wir zum großen Teil Positionen, die wir bereits zu Beginn der Legislatur formuliert haben und die in einer Anhörung im Wissenschaftsausschuss weitgehend bestätigt wurden.
Im Kern geht es um das Vorhaben, dass wir den erwartbaren Rückgang der Studierendenzahlen nutzen, um bei gleichbleibender finanzieller und personeller Ausstattung die Grundmittel je Studierenden auf ein konkurrenzfähiges Niveau zu bringen. Diese "demografische Rendite" können die sächsischen Hochschulen gut gebrauchen. Wir wagen es ja gar nicht, Vergleiche mit einer ETH Zürich oder gar einer University of Berkeley anzustellen. Wir sind bescheiden und wollen die Grundfinanzierung von derzeit 6.300 Euro auf 8.000 Euro je Studierenden bringen – das wäre das Niveau von Bayern und Baden-Württemberg.
Wir sind uns sicher in diesem Plenum einig, dass wir mehr Exzellenz in der sächsischen Hochschullandschaft wollen. Gerade Bayern und Baden-Württemberg zeigen aber, dass dies ohne eine ausreichende Breite nicht machbar ist. Wir können die sächsischen Hochschulen nicht ‚exzellent schrumpfen‘. Und es reicht auch nicht, die Grundfinanzierung etwas weniger abzuschmelzen, als es dem Rückgang der Studierendenzahl entspricht. Wer über eine spürbare Erhöhung der Grundausstattung der sächsischen Hochschulen nicht reden will, der sollte von Exzellenz schweigen.  

Der Antrag schlägt eine Reihe von intelligenten Instrumenten zum Erreichen strategischer Ziele vor. Ich will drei heraus greifen.
So wollen wir angesichts des Fachkräftemangels dafür sorgen, dass sich nicht einfach nur mehr Studierende einschreiben, sondern dass tatsächlich mehr Absolventen die sächsischen Hochschulen verlassen. Zusätzlich zu den 13.000 Euro, die der Hochschulpakt für Studienanfänger oberhalb seiner Referenzlinie bereithält, sollte der Freistaat den Hochschulen Mittel für jeden Absolventen zahlen. Damit werden echte Anreize gesetzt, um die Studienqualität so zu verbessern, dass möglichst jeder Studierende zum Abschluss geführt wird.
Wir wollen zweitens das Kaskadenmodell einführen, um den Anteil von Frauen auf allen Qualifikationsebenen zu erhöhen. Das nützt vor allem der Wissenschaft selbst, denn es setzt sich die Erkenntnis durch, das Chancengleichheit ein Qualitätsmerkmal exzellenter Hochschulen ist. Das vom Wissenschaftsrat vorgeschlagene Kaskadenmodell berücksichtigt die unterschiedlichen Frauenanteile in den Fächern und macht den jeweiligen Frauenanteil der darunter liegenden Qualifikationsstufe zum Zielmaßstab. Bei konsequenter Umsetzung könnten wir bis 2020 den Frauenanteil an sächsischen Professuren von derzeit 15 Prozent verdoppeln.
Auch wenn CDU und FDP dies offensichtlich besonders umtreibt – ich warne davor, die Hochschulentwicklungsplanung auf eine Debatte um Doppel- und Mehrfachangebote zu verkürzen und vom grünen Tisch aus die Schließung einzelner Studiengänge oder gar Institute zu beschließen.
Wir schlagen hier mit einem Fächermonitoring einen anderen Weg vor. Ich erinnere an die Mahnung des früheren bayerischen Wissenschaftsministers Goppel an die Adresse der Politik: "Bei größerer Eigenständigkeit der Hochschulen bedeutet das, dass wir den Randbereich viel aufmerksamer als bisher beachten müssen, der ansonsten baden geht." Ein Monitoring kann neben dem Erhalt kleiner Fächer dazu genutzt werden, Anknüpfungspunkte und etwaige Kooperationen, aber auch unnötige Doppel- und Mehrfachangebote zu identifizieren und dort zu reduzieren, wo es sinnvoll ist.
Ein Monitoring erlaubt es zugleich der Landespolitik, sich auf die Punkte zu konzentrieren, die essentiell für die weitere Entwicklung des Freistaates sind. Ich nenne stellvertretend die Bereiche Lehrer- und Erzieherausbildung, Medizin und Energie. Hier sollte der Freistaat konkret benennen und einfordern, welche Strukturen und zusätzlichen Angebote er an den Hochschulen haben möchte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, uns geht es nicht um oberflächliche Etiketten, nicht um Luftschlösser, sondern um konkrete, tragfähige und machbare Lösungen. Wir laden Sie ein, sich an dieser Diskussion mit ebensolchem Ernst zu beteiligen und unserem Antrag zuzustimmen.