Karl-Heinz Gerstenberg zur 1. Lesung des GRÜNEN Bibliotheksgesetzes

Wir bringen heute den Entwurf eines Bibliotheksgesetzes ein, der die Bibliotheken nicht nur als Orte der Kultur, sondern vor allem als Bildungseinrichtungen für alle stärkt
Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zur 1. Lesung des Gesetzentwurfs der GRÜNEN-Fraktion "Gesetz zur Förderung der Bibliotheken als Bildungs- und Kultureinrichtungen im Freistaat Sachsen" (Drs. 5/6104) in der 39. Sitzung des Sächsischen Landtages, 30.06., TOP 3
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,liebe Kolleginnen und Kollegen,
Leseförderung, Bewahren des kulturellen Erbes, kulturelle Bildung, lebenslanges Lernen – diese Schlagworte fallen bei nahezu jeder bildungs- oder kulturpolitischen Debatte hier im Sächsischen Landtag. Passend dazu belegen die sächsischen Großstadtbibliotheken regelmäßig vordere Plätze beim bundesweiten Bibliotheksvergleich. Im Jahr 2010 lag Dresden auf dem ersten und Chemnitz auf dem zweiten Platz – herzlichen Glückwunsch dazu.
Und trotzdem sind die Potenziale noch längst nicht ausgeschöpft, die öffentliche Bibliotheken als außerschulische Lerninstitutionen haben. Als Orte, in denen die Schlüsselkompetenz Lesen so früh wie möglich und immer wieder gefördert und in denen lebenslanges Lernen praktiziert werden kann. Denn es gibt neben den genannten Erfolgen auch eine andere Wahrheit: Öffentliche Bibliotheken müssen seit Jahren empfindliche Einschnitte hinnehmen, beispielsweise bei Öffnungszeiten und Einkaufsetats für neue Bücher und andere Medien.
Die Qualität der einzelnen Bibliotheken ist in Sachsen extrem unterschiedlich. Es ist allgemein bekannt, dass sich die Aktualität der Medienbestände entscheidend auf die Akzeptanz der Bibliothek durch die Bevölkerung auswirkt. Trotzdem reicht die Spannweite der Erneuerungsquote von über 10 Prozent beispielsweise in Aue und Görlitz bis hinunter zu unter 3 Prozent wie in Stollberg und Bad Lausick. Der Medienbestand ist deshalb teilweise völlig veraltet. Schließlich bleibt festzustellen, Bibliothekssterben ist auch in Sachsen eine traurige Realität: 1990 existierten 1.441 Bibliotheken, 2000 waren es 653, 2010 gab es noch 519 Bibliotheken.
Die Ursache für diese Entwicklung liegt darin, dass Betrieb und Ausstattung von öffentlichen Bibliotheken zu den freiwilligen Aufgaben der Kommunen gehören. Bibliotheken sind daher weder finanziell abgesichert, noch gibt es einheitliche Standards oder verbindliche Ziele zur Qualität ihrer Arbeit. Diese ist derzeit vor allem vom Engagement der einzelnen Bibliotheksangestellten bzw. vom Willen der jeweiligen Kommune abhängig.
Die Staatsregierung beruft sich immer wieder auf das Kulturraumgesetz, wenn es um die Förderung von Bibliotheken geht. Das Kulturraumgesetz greift jedoch in diesem Fall zu kurz. Da es Kulturpflege als eine weisungsfreie Pflichtaufgabe im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts bestimmt, ist nur die Erfüllung der Aufgabe an sich vorgeschrieben. Auf welche Art und Weise und in welchem Umfang die Aufgabe erfüllt wird, bleibt den Kommunen überlassen. Bibliotheken stehen in ständiger Konkurrenz zu anderen Kultureinrichtungen wie Theatern und Museen. Diese hat sich noch verschärft, nachdem Sie von der CDU/FDP-Koalition im laufenden Doppelhaushalt die Kulturraummittel gekürzt haben. Zudem wird diese Art der Förderung der Bildungseinrichtung Bibliothek überhaupt nicht gerecht.
Auch Ihr Verweis auf die kommunale Zuständigkeit, liebe Kollegin Fiedler, geht fehl. Wir waren uns hier im Landtag zu Recht fraktionsübergreifend einig, dass die kommunale Aufgabe Musikschulen wegen ihrer enormen Bedeutung für die kulturelle Bildung auch staatlich unterstützt werden muss. In einer sich entwickelnden Bildungsgesellschaft gilt das für das Medienzentrum Bibliothek ganz genau so!
Unsere Fraktion hat es deshalb bereits in der vergangenen Legislaturperiode als ihre Aufgabe angesehen, die politische Debatte um öffentliche Bibliotheken auch im Landtag zu führen. Alle Sachverständigen haben damals in einer Anhörung ein Gesetz gefordert, um das vergleichsweise dichte Bibliotheksnetz in Sachsen zu erhalten und die Qualität zu verbessern.
Wir haben diese Arbeit weitergeführt und bringen heute den Entwurf eines Bibliotheksgesetzes ein, der die Bibliotheken nicht nur als Orte der Kultur, sondern vor allem als Bildungseinrichtungen stärkt. Der Gesetzentwurf soll ein leistungsstarkes und flächendeckendes Bibliothekssystem im gesamten Freistaat Sachsen, also auch im ländlichen Raum, sichern. Unabhängig von Wohnort und vom Geldbeutel soll eine weitgehende Chancengleichheit für Bildung und Information hergestellt werden.
Wir haben uns sehr bewusst dafür entschieden, nicht einfach das Mustergesetz des Deutschen Bibliotheksverbandes oder ein anderes Bibliotheksgesetz zu übernehmen, sondern einen eigenen Entwurf zu erarbeiten. In seinem innovativen Kern schreibt er Mindeststandards für die öffentlichen Bibliotheken vor und nimmt bei deren Erfüllung den Freistaat in die Pflicht, sich an der Finanzierung der Personalkosten und des kommunalen Erwerbungsetats für neue Bücher und Medien zu beteiligen. Darüber hinaus fördert der Freistaat Programme zur Lesefrühförderung und neuartige Projekte. Auf diese Weise motiviert und unterstützt das Land, entlässt aber die Kommunen nicht aus ihrer Eigenverantwortung.
Die Qualitätsstandards, die im Gesetzentwurf aufgestellt sind, haben wir in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bibliotheksverband erarbeitet. Zu den Mindeststandards gehören eine zeitgemäße Raum- und IT-Ausstattung der Bibliotheken, die fachliche Qualifikation des Personals, bedarfsgerechte Öffnungszeiten, die auch Berufstätigen die Nutzung der Bibliothek ermöglichen sowie eine kontinuierliche Erneuerung des Buch- und Medienbestandes mit einer Quote, die zumindest den sächsischen Durchschnittswert von 7 Prozent erreicht.
Die Sächsische Landesfachstelle für Bibliotheken wird im Gesetz verankert. Sie berät die Bibliotheken im ländlichen Raum bei Fort- und Weiterbildung, bei der Gründung von Bibliotheksverbünden und unterstützt die Erarbeitung des Landesbibliotheksentwicklungsplans.
Um einen umfassenden Gesetzentwurf vorzulegen, haben wir selbstverständlich auch die wissenschaftlichen Bibliotheken aufgenommen und sie als Orte der informellen wissenschaftlichen Bildung ausgewiesen, welche für private, gemeinnützige und berufliche Bildungszwecke öffentlich zugänglich sein müssen. Ebenso wird die Einrichtung von Schulbibliotheken zur Vermittlung von Lese- und Medienkompetenz als Aufgabe des Schulträgers geregelt.
Bis zum vergangenen Jahr haben 14 sächsische Bibliotheken im Projekt "Fit für die Zukunft" in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Landesfachstelle für Bibliotheken Entwicklungskonzeptionen erstellt, die nun umgesetzt werden sollen. Das ist ein guter Anfang, der jedoch im ganzen Land seine Fortsetzung finden muss. Deshalb sieht unser Gesetzentwurf einen Landesbibliotheksentwicklungsplan vor, in dem der Freistaat künftig die Ziele und Grundsätze des Bibliothekswesens in Sachsen festlegen soll. Die Bibliotheken bzw. Bibliotheksverbünde sollen örtliche bzw. regionale Entwicklungspläne erstellen.
Frau Staatsministerin von Schorlemer, Sie sprachen bei der Vorstellung der Konzeptionen in ihrem Haus davon, dass sich Bibliotheken "im Zuge der umfassenden Neustrukturierung des Bildungssystems weiter vom klassischen Wissensspeicher zum aktiven Bildungspartner entwickeln müssen" und dass das SMWK weiterhin das Ziel einer fortdauernden Modernisierung der Bestände sächsischer Bibliotheken, deren Kooperation und Vernetzung verfolge. Wir teilen Ihre Einschätzung, genau dieses Ziel ist deshalb Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit unserer Gesetzesinitiative sind wir in guter Gesellschaft. In zwei Dritteln der EU-Länder existieren Bibliotheksgesetze. Vor allem die besten Länder im PISA-Vergleich verfügen über von der Fachwelt anerkannte Bibliotheksgesetze. Ich verweise hier speziell auf Finnland und Schweden.
Nachdem es jahrzehntelang unmöglich schien, in Deutschland Bibliotheksgesetze zu verabschieden, ist in den vergangenen Jahren einiges in Bewegung gekommen. Die Enquetekommission "Kultur in Deutschland" des Deutschen Bundestages empfahl in ihrem Abschlussbericht den Ländern, durch Bibliotheksgesetze die Bibliotheken auch rechtlich aufzuwerten. In Thüringen trat 2008 das erste Bibliotheksgesetz Deutschlands in Kraft. Seit 2010 gibt es entsprechende Gesetze auch in Sachsen-Anhalt und Hessen. In weiteren Bundesländern befinden sich Entwürfe im Gesetzgebungsverfahren.
Wir wollen mit unserer Initiative die notwendige Debatte über die Situation und die Entwicklungsperspektiven der Bibliotheken auch deshalb anregen, weil Sachsen ein lebendiges Bibliotheksland mit einer ausgeprägten Tradition ist. So begann die Geschichte der öffentlichen Bibliotheken in Großenhain. Die dortige Volksbücherei wurde 1833 vom Stadtrat anerkannt und ist damit die erste öffentliche Bibliothek Deutschlands. Nach diesem Vorbild wurden später in ganz Deutschland Stadt- und Gemeindebibliotheken errichtet.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wir haben die Chance, Sachsen auch in der Gegenwart zum Schrittmacher in der Bibliotheksgesetzgebung zu machen. Prof. Arend Fleming, Vorsitzender des sächsischen Landesverbandes im Deutschen Bibliotheksverband und Direktor der eingangs genannten Städtischen Bibliothek Dresden, unterstützt unseren Entwurf ausdrücklich. Er bezeichnete ihn als vorbildlich und den besten ihm bekannten Gesetzentwurf. Dieses Lob aus berufenem Munde stärkt in mir die Hoffnung, dass unsere Initiative auch in der Koalition sehr ernst genommen wird.
Ich freue mich deshalb auf die bevorstehende Diskussion. Es gilt, der enormen Bedeutung von Bibliotheken bei der frühen Leseförderung, beim lebenslangen Lernen und bei der Vermittlung von Medienkompetenz an Kinder und Jugendliche, aber auch an ältere Generationen, gerecht zu werden.
Ich bin überzeugt, dass sich diese Investition in Bildung für Sachsen und seine Menschen auszahlen wird.