„Mehr Wert“-Demo – Wer an den falschen Stellen kürzt, spart nicht nur an der Zukunft, sondern gegen den Willen von breiten Teilen der Bevölkerung
Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum gemeinsamen Antrag der Fraktion GRÜNE, Linke und SPD „Kriterien und Konsequenzen von Haushaltsvollzug und Haushaltsaufstellung vorlegen – keine Kürzungen auf Kosten der Zukunft!“ (Drs. 5/2704) in der 17. Sitzung des Sächsischen Landtages, 16. Juni, TOP 10
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am heutigen Tag haben tausende Schülerinnen und Schüler, Studierende, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiter und Künstler in einem breiten Bündnis gezeigt, dass sie sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Diese Solidarität ist wichtig, denn es geht es bei dem kommenden Doppelhaushalt nicht um die üblichen Verteilungskämpfe, in denen jeder Bereich meint, dass er natürlich der Wichtigste ist. Es geht diesmal um die größten Haushaltseinschnitte seit Bestehen dieses Freistaates.
Im Raum stehen für das nächste Jahr Kürzungen von 1,2 Milliarden Euro – acht Prozent des Etats. Geplant ist ein Abbau von 17.000 Stellen bis 2020. Die Menschen in Sachsen spüren, dass hier entscheidende Weichenstellungen und Strukturveränderungen vorgenommen werden. Deshalb die Demonstrationen des heutigen Tages, deshalb der Antrag zu diesem Thema genau in diesem Plenum – einen Tag nach der Haushaltsklausur.
Die Staatsregierung hat gestern nach der Haushaltsklausur die Eckpunkte des Doppelhaushalts 2011/2012 bekannt gegeben. Sie lassen erkennen, in welche Richtung es geht – und diese Richtung ist trotz der vollmundigen Ankündigungen des gestrigen Tages besorgniserregend.
Wer Prioritäten setzen will – und das hat die Staatsregierung angekündigt – der muss vor allem erst einmal Aufgabenkritik betreiben, um zu wissen welche Konsequenzen welche Mittelkürzungen haben. Die Kürzungen des laufenden Haushaltsjahres geben allen Grund zum Zweifel, ob Sie diese Aufgabenkritik seriös betrieben haben.
Sie wollen, so Finanzminister Unland, wenn Sie einmal abtreten, ihren Kindern sagen können: «Ich habe mein Bestes gegeben, euch bleiben alle Chancen.» Dieses Ziel teilen wir sicher alle. Aber es bleibt die Frage: Mit welcher Politik bleiben unseren Kindern eigentlich alle Chancen?
Wir teilen ausdrücklich die Auffassung der Staatsregierung, dass die Vermeidung neuer Schulden eine wesentliche Antwort auf diese Frage ist. Aber das ist nicht die einzige Antwort – und darin unterscheiden wir uns sehr deutlich. Der Verzicht auf Schulden mag Anfang und Grundlage einer intelligenten Haushaltspolitik sein – die Koalition scheint damit jedoch schon am Ende ihres Lateins zu sein. Danach kommt nur noch der Rasenmäher – wenn auch mit unterschiedlichen Schnitthöhen.
Was Sie als Prioritätensetzung ausgeben, ist zum großen Teil schlicht der nackten Notwendigkeit geschuldet
Sie haben im Vergleich zu den Kürzungsmaßnahmen im Haushaltsvollzug 2010 nichts hinzugelernt. Im Gegenteil, der Rasenmäher wird auch an Stellen angesetzt, wo es nötig wäre, zu pflegen und neu zu pflanzen. Die Zukunftsbereiche Bildung, Wissenschaft, Soziales und Kultur waren schon 2010 zu einem Drittel an den Kürzungen beteiligt. Im Haushaltsentwurf sind diese Bereiche nach Presseberichten vom heutigen Tage mit über 360 Millionen Einsparleistung wieder in der derselben Größenordnung betroffen. Der einzige Unterschied: Was gestern Bewirtschaftungsmaßnahme hieß, nennen Sie jetzt Prioritätensetzung – ein glatter Etikettenschwindel!
Was Sie als Prioritätensetzung ausgeben, ist zum großen Teil schlicht der nackten Notwendigkeit geschuldet. Der Anstieg der Ausgaben für den Kita-Bereich auf 400 Millionen Euro in 2012 ist angesichts der Verpflichtungen des Tagesbetreuungsausbaugesetzes unumgänglich – alles andere würde gegen eingegangene Verpflichtungen verstoßen. Die dringend notwendige Verbesserung des Personalschlüssels wird damit jedoch nicht möglich sein.
Insgesamt setzen sie im Bereich des Kultus keinen Schwerpunkt, sondern kürzen um 50 Millionen Euro. Massiv sind die Einschnitte auch bei Wissenschaft und Kunst. Sie verraten bisher kaum, wo die 213 Millionen gekürzt werden sollen. An den Hochschulen soll es keinen weiteren Stellenabbau geben – das klingt gut. Aber in Wahrheit wird der Stellenabbau nur vertagt.
Diese Kürzungen widersprechen eindeutig dem Ziel der Qualifizierungsinitiative, wonach die Ausgaben für Bildung und Forschung auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes gesteigert werden sollen. Das mittlerweile geflügelte Unwort «Mehr Geld macht auch nicht klüger» von Ministerpräsident Tillich verrät wie platt diese Koalition hier Politik macht. Die Logik, mit weniger Geld geht’s bei Bildung auch, ist verhängnisvoll falsch.
Insbesondere die skandinavischen Länder zeigen uns, wie die richtige Konsequenz lauten muss: Höhere Bildungsaufwendungen rentieren sich, wenn sie mit den richtigen Strukturen gekoppelt werden. Genau in diese Richtung ging ja auch das 10-Prozent-Ziel von Bund und Ländern, das Bundeskanzlerin Merkel auf dem Bildungsgipfel 2007 verkündet hat. Noch im Dezember 2009 betonte Ministerpräsident Tillich: «Ich stehe zu dem Ziel, insgesamt zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung, Wissenschaft und Forschung auszugeben» und kündigte an, es werde «mehr Geld in diesen Bereich fließen – und nicht weniger». Ich kann deshalb heute nur Vergesslichkeit diagnostizieren.
Bildung ist der Schlüssel zur Entwicklung
Meine Damen und Herren von der Staatsregierung und der Koalition:
Entweder Sie wissen nicht mehr, was sie damals in Dresden beschlossen haben oder Sie setzen auf die Vergesslichkeit der Leute. So oder so fehlt Ihnen offensichtlich eine Einsicht, die rund um den Globus mittlerweile als Binsenweisheit gilt: Bildung ist der Schlüssel zur Entwicklung.
Die bereits im laufenden Haushaltsjahr vollzogenen Einsparungen im Bereich der Jugend- und Sozialhilfe widersprechen den fachlichen Zielen der Landesjugendhilfeplanung – nun kommen noch einmal Kürzungen bei Suchtprävention und Beratungsstellen im Umfang von 23 Millionen Euro hinzu.
Die Kulturräume werden durch die Einbeziehung der Landesbühne Radebeul sowie des Strukturfonds faktisch um 10 Millionen Euro gekürzt. Vor allem bei den Musikschulen drohen die Kürzungen zu drastischen Angebotseinschränkungen oder Gebührenerhöhungen zu führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Koalition, nun werden Sie auf unseren Antrag entgegnen, diese Kürzungen seien alternativlos. Das ist keineswegs so, denn wie immer in der Politik gibt es Alternativen, indem Prioritäten für zukunftsprägende Bereiche gesetzt werden.
Nur ein Beispiel: Obwohl die Mittel für den Straßenbau zum Teil gar nicht abfließen, haben sie in diesem Bereich nur unterdurchschnittlich gekürzt. Stattdessen wird die Schulhausbauförderung radikal zusammengestrichen. Hier haben Sie nicht den Mut besessen, Investitionen aus anderen Bereichen umzulenken, obwohl die Folgen augenfällig sind: Jedes weitere Jahr einer Schulruine bedeutet höhere Kosten.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP – und ich appelliere vor allem an die jungen Abgeordneten – die auf der Haushaltsklausur vorgestellten Eckpunkte sind wie der im August einzubringende Haushaltsentwurf eben nur ein Entwurf. Sie sind der Souverän. Sie haben genügend Zeit und politischen Spielraum, um die Weichen im Herbst richtig zu stellen.
Also lassen Sie sich auf die Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern über die notwendigen Prioritätensetzungen ein. Sie hätten die finanziellen Möglichkeiten, um sich Luft für eine gründliche Aufgabenkritik zu verschaffen. Sachsen ist nicht arm, das zeigt der Blick in die Vermögensrechnung des Freistaates.
Wir wollen nicht, dass mit der Beibehaltung der finanziellen Aufwendungen für Bildung, Soziales und Kultur die bisherigen Strukturen konserviert werden, sondern dass diese Bereiche durch die richtigen Strukturmaßnahmen wesentlich erfolgreicher arbeiten als bisher.
Jeden Euro, den wir etwa bei der frühkindlichen Bildung ausgeben, sparen wir doppelt und dreifach, weil wir in der weiteren Bildungskette weniger Geld für Förderschulen, für teure zusätzliche Maßnahmen der Berufsbildungsbefähigung und letztlich auch für die Finanzierung der Arbeitslosigkeit ausgeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, das breite Bündnis des heutigen Tages sollte Ihnen zu denken geben. Wer an den falschen Stellen kürzt, spart nicht nur an der Zukunft, sondern gegen den Willen von breiten Teilen der Bevölkerung. Es braucht keine Umfragen und keine Prozentzahlen, man konnte es heute den ganzen Tag in Dresden und vor dem Landtag spüren: Meine Damen und Herren von der Koalition, sie haben für diese Politik keine Mehrheit in unserem Land!