Michael Weichert: Es geht um viel Geld, und es wird höchste Zeit. Sachsen braucht dringend ein neues Vergabgesetz.
Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zum Gesetzentwurf "Gesetz über die Ausschreibung und Vergabe öffentlicher
Aufträge im Freistaat Sachsen (Sächsisches Vergabegesetz — SächsVergG)" (Drs. 5/9002), 55. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. Mai 2012, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Warum brauchen wir ein neues Vergabegesetz in Sachsen? Es geht um zwei Aspekte:
Es geht um viel Geld, und es wird höchste Zeit. „Viel Geld“ bedeutet, dass die öffentlichen Hände jährlich bis zu 16 % des Bruttoinlandsprodukts — das gilt auf europäischer Ebene; in Deutschland sind es 14 % – für öffentliche Beschaffung und Vergaben ausgeben. In Zahlen ausgedrückt waren das im Jahr 2011 in Deutschland 360 Milliarden Euro.
Wenn wir die Zahlen auf Sachsen herunterbrechen, kommen wir auf immerhin 14 Milliarden Euro; das ist fast ein Jahresstaatshaushalt. Mit diesem Geld können wir gestalten. Das sollten wir tun, und dafür sollten wir die Rahmenbedingungen setzen. Außerdem ist es das Recht des Steuerzahlers, nicht nur darauf Einfluss zu nehmen, dass sein Geld ausgegeben wird, sondern auch darauf, wie es ausgegeben wird.
Es ist höchste Zeit! Unser heute noch gültiges Vergabegesetz stammt aus dem Jahr 2002. Mittlerweile gab es eine rasante Entwicklung: Im April 2004 hat die Europäische Union in Form des Parlaments und des Rates eine Richtlinie beschlossen, nach der es möglich ist, bei öffentlichen Vergaben soziale und ökologische Kriterien zuzulassen.
Im Juli 2006 hat das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil die Zulässigkeit von Tariftreuevereinbarungen als Vergabekriterien bestätigt.
Im April 2008 erging das Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichtshofs, in dem die Zulässigkeit der Anwendung ökologischer und sozialer Kriterien auf der Grundlage der 2004 erlassenen Richtlinie höchstrichterlich bestätigt wurde.
Im April 2009 hat die Bundesregierung mit Beschluss des Modernisierungsgesetzes dem Folge geleistet und zusätzlich zu den üblichen Kriterien — Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit — ausdrücklich soziale, umweltbezogene und innovative Kriterien, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der Vergabe stehen, zugelassen.
Im Oktober 2009 hat die sächsische CDU/FDP-Koalition in ihrem Vertrag vereinbart, dass sie eine Reform des Vergabegesetzes bis Ende 2010 in Angriff nehmen wolle. Mittlerweile haben wir 2012, aber es ist noch nichts vorgelegt worden.
Schließlich haben wir im November 2011 in einer öffentlichen Anhörung des Wirtschaftsausschusses zum Vergabebericht 2010 von allen Experten unisono erfahren, dass es dringenden Reformbedarf unseres sächsischen Vergaberechts gibt. Wir müssen uns der aktuellen Entwicklung anpassen. Als Gesetzgeber müssen wir die Spielräume, die uns ermöglicht sind, nutzen.
Wir wollen mit dem vorgelegten Entwurf Beschaffung und Vergabe der öffentlichen Hände auch an umweltbezogenen und sozialen Kriterien ausrichten. Wir wollen kleine und mittelständische Unternehmen stärken, regionale Wirtschaftskreisläufe unterstützen, unnötige Bürokratie abbauen, Transparenz verbessern und vor allen Dingen die Regularien auf alle ausdehnen, die mit öffentlichem Geld Vergaben tätigen.
In § 7 unseres Entwurfs wird geregelt – Sie werden es mir nachsehen, dass ich zuerst die umweltrelevanten Kriterien anführe —‚ dass Produkte, Dienst- und Bauleistungen nach den Kriterien Energieeffizienz, geringer Ressourcenverbrauch und geringe Entsorgungskosten vergeben werden können. Wir stehen hier vor einem Paradigmenwechsel. Hinsichtlich von Investitionen in Gebäude ist es jetzt erstmalig möglich, eine Lebenszyklusbetrachtung der Investition anzustellen. Wenn ich weiß, dass in ein Gebäude – Schule, Rathaus, Stadtarchiv – investiert werden soll und es mindestens 40 Jahre „lebt“, dann liegen die Investitionskosten bei unter 20 Prozent, die Betriebskosten aber, bezogen auf die 40 Jahre, bei 70 Prozent der Gesamtkosten. Es wird also interessant, am Anfang etwas mehr zu investieren und auf Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Entsorgungskosten zu schauen, damit die nächsten Generationen die entsprechenden Betriebskosten einsparen können.
Ein schönes Beispiel dafür ist der Universitätsneubau in Leipzig. Dort hat man aus Sparsamkeitsgründen auf erneuerbare Energien und Energieeffizienznutzung verzichtet. Diese Entscheidung wird über mindestens hundert Jahre extrem hohe Betriebskosten erzeugen. Wir haben demnach in Zukunft weniger Geld für Forschung und Entwicklung zur Verfügung, weil wir es für Heizung und Klimatisierung ausgeben müssen. Mittel- und langfristig betrachtet hätte man sowohl volkswirtschaftlich als auch betriebswirtschaftlich zu einer Kostensenkung kommen können.
Weiterhin sieht unser Gesetzentwurf die Anwendung sozialer Kriterien vor. In § 10 wird die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation gefordert. In den § 11, 12 und 13 wird die Lohnuntergrenze von 8,50 Euro festgelegt; diese gilt nach § 2 Abs. 4 auch für Leiharbeiter.
Es gibt dazu ein passendes Beispiel, wiederum aus Leipzig: Im Stadtarchiv werden Bücher restauriert. Zum Zuge kommt dort ein kleiner Betrieb, der seinen Mitarbeiterinnen 6 Euro brutto pro Stunde bezahlt. Davon kann eine alleinerziehende Frau nicht existieren. Das heißt, sie muss am Monatsende Sozialleistungen von der Kommune abfordern. Das ist nicht eingepreist. Deshalb brauchen wir hier einen sozial gerechten, ausgewogenen Lohn, von dem man leben kann, damit nicht Doppelkosten entstehen. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten müssen an der Stelle eingepreist werden, wo sie entstehen, und sollten nicht hinterher nachsubventioniert werden.
Das Wirtschaftlichkeitsprinzip bleibt erhalten. Das heißt nicht unbedingt, dass das billigste Angebot zum Zuge kommt. Bei der Betrachtung der Lebenszykluskosten habe ich es schon erwähnt: Zu berücksichtigen sind neben den Anschaffungskosten auch die voraussichtlichen Betriebskosten, der Energieverbrauch, etwaige Entsorgungskosten, Transportkosten und externe Umweltkosten, die im Zusammenhang damit entstehen.
Das führt dazu, dass wir mittel- bis langfristig eine bedeutende Haushaltswirkung haben werden. Durch mehr Ausschreibung, weniger frei Hand (§ 3), durch losweise Ausschreibung (§ 4) werden die kleinen und mittelständischen Unternehmen unterstützt. Die Vergabe in Losen wird Pflicht und nicht Möglichkeit. Und man muss begründen, wenn man es nicht macht.
Ich habe es jetzt nicht ganz geschafft, alle Punkte anzubringen, Ich freue mich auf die Diskussion über dieses Gesetz. Gleich folgt der Vorschlag von der SPD-Fraktion und den LINKEN. Ich habe gehört, dass die CDU-Fraktion im Herbst auch noch nachlegen will. Für mich ist es wichtig, dass wir ein gemeinsames gutes Gesetz erreichen.
Es geht darum, dass wir das Bestmögliche für Sachsen rausholen, und zwar gemeinsam.