Michael Weichert: Komplexe Herausforderungen erfordern vernetztes Denken

Redebeitrag von Michael Weichert zum "Bericht der Enquete-Kommission ‚Strategien für eine zukunftsorientierte Technologie- und Innovationspolitik im Freistaat Sachsen’" (Drs. 5/11300), 76. Sitzung des Sächsischen Landtages, 15. Mai 2013, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

die technologische und innovative Leistungsfähigkeit sächsischer Unternehmen muss gestärkt werden. Darum setzte der Sächsische Landtag im September 2010 die Enquetekommission ein. Ziel war es, Empfehlungen und Strategien zu erarbeiten, wie man die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Hochschulen und Forschung verbessern und den Technologietransfer fördern kann.

Schon mit dem Einsetzungsbeschluss des Sächsischen Landtages vom 29. September 2010 bekundeten die Fraktionen ihren Willen zur konstruktiven Arbeit. Doch der Start verlief holprig. Es fing mit der Organisation der Kommission an: Während in der letzten Enquete die externen Berater der Fraktionen ebenfalls ein Stimmrecht besaßen, hatten CDU und FDP diesmal von vornherein verhindert, dass sich die Mehrheitsverhältnisse mit den Stimmen der Fachleute und Praktiker verschieben könnten. Deshalb wurde im Zweifelsfall nicht nach objektiven, sondern nach parteipolitischen Kriterien entschieden. Die CDU – entsprechend der politischen Kultur in Sachsen – setzte noch einen drauf, würgte Diskussionen mittels Mehrheitsbeschluss ab und pfiff auf vorher getroffene Absprachen. Diese ‚Basta-Politik‘ machte im Mai 2011 einen Brief der Oppositionsfraktionen an den Vorsitzenden Kollegen Schmidt notwendig, der eine sofortige Kurskorrektur anmahnte.

Danach, meine Damen und Herren, war die Zusammenarbeit über weite Strecken durchaus konstruktiv. Ich hatte den Eindruck, Inhalte wurden wichtiger als das übliche Parteiengeplänkel. Ein Beispiel ist die Rolle der Technologie- und Gründerzentren (TGZ). Wir GRÜNEN setzen uns bereits seit 2009 (Antrag: "Technologietransferrichtlinie erweitern, sächsische Wirtschaft stärken", Drs. 4/14480) dafür ein, dass TGZs, die eine hohe Qualität ihrer Arbeit nachweisen können, wieder Zugang zur Technologietransfer-Förderung bekommen. Bisher dürfen sie keine eigenen Förderanträge stellen, sondern nur einige Dienstleistungen verrichten, wenn sie von Projektpartnern beauftragt werden. Unser Vorschlag wurde in den Enquetebericht übernommen. Was lange währt, wird also manchmal tatsächlich gut.

Solche Erfolge können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, wie unterschiedlich unsere Auffassungen zu denen von CDU und FDP hinsichtlich der Gestaltung erfolgreicher Technologie- und Forschungspolitik sind.

Meine Damen und Herren, zweierlei will ich Ihnen mit den unten stehenden Beispielen zeigen:
Das Thema ‚Technologie und Innovation‘ ist komplex und vielschichtig.
Komplexe Herausforderungen erfordern vernetztes Denken.

Daran mangelt es CDU und FDP offensichtlich, denn sie sind allein nicht in der Lage, ein integratives Konzept zu erarbeiten, das Technologie- und Innovationspolitik mit anderen Politikfeldern intelligent verknüpft. Stattdessen flüchtet man sich in Scheinaktivitäten, wie z.B. die sogenannte ‚Innovationsplattform‘. Dieses ominöse EDV-gestützte, branchenübergreifende Netzwerk, das sämtliche sächsischen Akteure vernetzen und zu allen Themen rund um den Innovationsprozess informieren soll, ist nichts weiter als eine Luftblase. Zentralistisch gesteuert und entpersonalisiert lässt sich erfolgreiche Kooperation nicht von oben erzwingen.

Mindestens ebenso kopflos wurde im Staatshaushalt die Stelle eines ‚Grant-Managers‘ eingestellt, der für 300.000 Euro pro Jahr die sächsische Biotechnologie voranbringen soll. Angesichts auslaufender Förderung etablierter Wirtschaftsförderer ist das schlicht eine Frechheit. Wer weiß, wer hier sein weich gepolstertes Altenteil aufbettet…

Meine Damen und Herren, es gibt viele Gründe, um mit dem ursprünglichen Bericht unzufrieden zu sein. Deshalb machten wir, gemeinsam mit SPD und Linken von unserem Recht Gebrauch, ein Minderheitenvotum zu verfassen. Diese umfangreiche Ergänzung des Berichtes greift all jene Aspekte auf, die seitens der Koalition nicht bearbeitet wurden, uns aber besonders wichtig waren (Beispiele habe ich aufgezählt und erläutert). Dabei sahen wir es als unsere Aufgabe, auch die ‚Kehrseite der Medaille‘ zu zeigen. Besonders wenn man mit Statistik hantiert, passiert es schnell einmal, dass man es sich bei der Interpretation der Daten zu einfach macht und nur die Schlüsse zieht, die ins eigene Welt- bzw. Selbstbild passen. Oder – sehr beliebt bei der Koalition – ich vergleiche mich mit den Schlusslichtern. Nach dem Motto "unter den Blinden ist der Einäugige König" wurde immer wieder gern festgestellt, dass Sachsen unter den ostdeutschen Bundesländern führend ist.

Wenn wir aber, wie behauptet, zu den führenden Innovationsstandorten Europas aufschließen wollen, dürfen wir den Vergleich mit denen nicht scheuen. Und da werden die Defizite Sachsens offenbar. Meine Damen und Herren, das ist doch auch gar nicht schlimm, wenn man bedenkt, wo wir vor reichlich 20 Jahren angefangen haben. Auf das Erreichte können wir zu Recht stolz sein. Aber es nervt kolossal, wie Koalition und Staatsregierung auch noch die letzte Schwäche irgendwie zur Stärke machen wollen, wie sie kritische Stimmen als Nestbeschmutzer verunglimpfen und wie sie selbstgefällig so tun als hätten wir in Sachsen bereits das Paradies auf Erden. Auch während der Sitzungen der Enquetekommission kam diese verquere Sicht auf die Dinge immer wieder zum Vorschein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, haben Sie das wirklich nötig? Machen Sie sich doch mal locker. Kritik anzunehmen und Neues aufzunehmen ist eine Stärke – kein Zeichen von Schwäche. Nur so werden Sie nicht zur Christdemokratischen Einheitspartei Sachsens. Unser umfangreiches Minderheitenvotum liefert Ihnen jede Menge alternativer Interpretations- und Handlungsansätze, die bedacht und umgesetzt werden wollen.

Wachstum/Energie- und Ressourceneffizienz

Im Gegensatz zur "Höher-weiter-schneller-Politik" der Koalition halten wir die einseitige volkswirtschaftliche Fokussierung auf das BIP-Wachstum für einen Fehler. Die drängende Frage des 21. Jahrhunderts, zu welchem langfristigen Preis dieses Wachstum erzielt wird, blendet man aus.
Welcher Einsatz von endlichen Ressourcen muss für dieses Wachstum aufgewendet werden?
Inwiefern schmälert dieser Ressourceneinsatz die Handlungsbedingungen für die Wirtschaft von Morgen?
Wie stark ist die Umweltbelastung des erzielten Wachstums?
Welche sozialen Lasten entstehen für die Gesellschaft, und zu welchen Bedingungen wird gearbeitet?

All diese Fragen stellen sich CDU und FDP überhaupt nicht. Darum kann die Koalition darauf auch keine Antworten liefern.

Meine Damen und Herren, verantwortliche Wirtschaftspolitik hilft den Unternehmen auf dem Weg in die Zukunft. Politik hat die Aufgabe, das ‚Große Ganze‘ im Blick zu behalten und langfristig die Weichen zu stellen. Der nachhaltige Umgang mit endlichen Ressourcen ist aus Sicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einer der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg von morgen. Der Kurzsichtigkeit der Koalition stellen wir das Ziel einer klima- und ressourcenneutralen Wirtschaftsweise entgegen. Es geht nicht darum, bestimmte Technologien höher zu fördern. Wir wollen eine technologieoffene Politik, die sich an ökologischen Kriterien orientiert. Egal, mit welcher Technologie, wichtig ist, dass Ressourcen eingespart bzw. effizient genutzt werden. Das setzt einen Paradigmenwechsel voraus. Wachstum und Ressourcenverbrauch müssen entkoppelt werden. Voraussetzung dafür ist eine Neuausrichtung der sächsischen Förderpolitik. Für die Unternehmensförderung aus öffentlicher Hand sollen Einspar- und Effizienzziele verbindlich vorgeschrieben werden. Die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise darf jedoch nicht zulasten der klein- und mittelständischen Betriebe gehen, die dank schwarz-gelber Politik derzeit die Subventionen für Großbetriebe finanzieren. Unser Ziel ist, dass sächsische Mittelständler bei Material- und Energieeffizienz die Innovations- und Technologieführerschaft in Deutschland erlangen.

Dazu brauchen wir fähige Helfer, die Unternehmen beim Technologie- und Wissenstransfer sowie bei ihren Forschungsaktivitäten tatkräftig unterstützen. Solche Partner waren bisher die sächsischen Verbundinitiativen. Sie leisten einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Technologietransfers und der Innovationstätigkeit und helfen, Größennachteile der Unternehmen zu kompensieren. Koalition und Staatsregierung sehen das leider anders. Sie verhalten sich wie der Elefant im Porzellanladen. Erst werden über Jahre die Verbundinitiativen aufgebaut und finanziert, dann überlässt man sie aus einer politischen Laune heraus sich selbst. So wird ein zentrales Instrument aktiver Wirtschaftspolitik leichtfertig aus der Hand gegeben. Die Chance, wichtige wirtschaftspolitische Ziele zu verfolgen und Wirtschaftspolitik aktiv zu gestalten, wird verschenkt.

Nicht viel besser geht es den sächsischen Industrieforschungseinrichtungen. Sie werden im Bericht lobend erwähnt. Weiterhin sollen ‚Unterstützungsmaßnahmen geprüft‘ werden. Wohin das führt, wissen wir: Zu gar nichts. Wir fordern statt dessen konkrete Schritte zur Förderung der Forschungsinfrastruktur externer Industrieforschungseinrichtungen. Außerdem sollen die Anschaffung von Versuchsanlagen, Labor- und Prüfgeräten sowie Maßnahmen zur Erhaltung der Immobilien durch den Freistaat künftig finanziell unterstützt werden.

Innovationsbegriff

Meine Damen und Herren, auch beim Begriff ‚Innovation‘ scheiden sich die Geister. Die Koalition versteht darunter Hightech-Produkte mit dazugehörigen Patenten, Copyrights und Marktanteilen. Sie übersieht, dass sich Innovationen zunehmend auf soziale Innovationen und die Gestaltung innovativer Dienstleistungen beziehen.
Soziale Innovationen, z.B. Veränderungen im Bildungssystem, im Bereich der Gesundheitsförderung oder der Förderung von Frauen wirken sich positiv auf die Produktivität, die Effizienz oder die Beschleunigung technischer Innovationen aus.
Innovative Dienstleistungen verhelfen einem Produkt oft erst zum Erfolg. Was wäre Bruno Banani ohne ein innovatives Vermarktungskonzept? Würde sich Spreadshirt aus Leipzig von der Konkurrenz abheben, wenn sie einfach nur T-Shirts verkaufen würden?

Nein, meine Damen und Herren, es sind Innovationen fernab von Hightech, die hier für den Erfolg verantwortlich sind.

Gerade die Kultur- und Kreativwirtschaft ist hochgradig innovativ. Die Entwicklung und Umsetzung neuer Ideen, Produkte und Dienstleistungen gehören zum Kerngeschäft. Von Koalition und Staatsregierung wird die Branche völlig vernachlässigt. Wir meinen, die Kultur- und Kreativwirtschaft als Wirtschafts- und Standortfaktor muss durch den Aufbau einer sächsischen Netzwerkstelle und an die Branche angepasste Förderinstrumente besser unterstützt werden. Als ich hier im Hohen Hause erstmals über die Kultur- und Kreativwirtschaft sprach, guckten mich etliche Kollegen der CDU mit großen fragenden Augen an. Ich hoffe, mittlerweile wissen auch Sie, was gemeint ist, wenn wir über die Branche sprechen, die in Sachsen die zweithöchste Erwerbstätigenzahl (nach dem Maschinenbau) hat.

Auch das Handwerk spielt im Bericht der Enquetekommission keine Rolle. Dabei hat das Prognos-Institut bereits im Jahr 2006 eine Studie vorgestellt, aus der hervorgeht, dass jeder zweite Handwerksbetrieb in den Jahren 2004 bis 2006 mit mindestens einem Projekt innovativ war. Die Technologielastigkeit vieler Förderprogramme und die grundsätzliche Vernachlässigung von Dienstleistungsinnovationen bremsen das Handwerk massiv. Wir wollen das ändern. Wir wollen Förderinstrumente für Handwerksbetriebe bzw. die Öffnung bereits vorhandener Programme. Ich meine kleinvolumige Projekte, die leicht zu beantragen sind und schnell bewilligt werden. Am Besten geht das mit der Förderung über Regionalbudgets.

Regionale Wertschöpfungsketten

Eng mit den Regionalbudgets verknüpft ist die Forderung nach der stärkeren Unterstützung regionaler Wertschöpfungsketten. Sie sind eine notwendige Ergänzung zur einseitigen Exportfixierung der Koalition und schaffen wirtschaftliche Unabhängigkeit durch mehr regionale Selbstversorgung. Ziel ist es, das erwirtschaftete Geld in Sachsen zu halten. Entsprechend wollen wir mit Fördermitteln gezielt lokale Dienstleistungen und die qualitätsorientierte Produktion vor Ort stärken. Fördermittel soll bekommen, wer innovative Vorhaben mit regionalen Partnern umsetzen möchte und dabei regionale Standortvorteile nutzt. Die Vorteile liegen auf der Hand:
Die Produktion rückt näher an den Verbraucher,
Der Produktionsprozess wird transparenter,
Transport-, Energie- und Versorgungsstrukturen lassen sich ressourcensparend organisieren,
Wirtschaftliche Aktivitäten in der Region und für die Region bieten eine Reihe von Ansatzpunkten, ökologisch nachhaltiger zu arbeiten und neue verbraucherorientierte Vertriebswege zu schaffen.

Meine Damen und Herren, nutzen Sie die Chancen für Sachsen und sorgen Sie dafür, dass die Staatsregierung den Bericht genau liest und sich daran macht, die Empfehlungen in die Tat umzusetzen.
Vielen Dank.

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