Michael Weichert: Nicht Ausgleichsmaßnahmen, ihre Betonpolitik ist Ursache der fortschreitend hohen Flächenversiegelung

Nicht Ausgleichsmaßnahmen, ihre Betonpolitik ist Ursache der fortschreitend hohen Flächenversiegelung in Sachsen

Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zum Antrag der CDU/FDP-Koalition "Anpassung der Eingriffsregelung für die Inanspruchnahme von landwirtschaftlicher Nutzfläche – Flächenverbrauch verringern" (Drs. 5/5526) in der 41. Sitzung des Sächsischen Landtages, 15.09., TOP 4

Es gilt das gesprochene Wort!
—————————————————————————-
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
die Landwirte haben ein Problem. Täglich geht in Sachsen landwirtschaftliche Nutzfläche verloren. Die Koalition, Meine Damen und Herren, hat aber ein noch viel größeres Problem: Sie muss sich dem Thema widmen, denn der Bauernverband ist einflussreich. Aber gleichzeitig muss sie vermeiden, dass alle merken, wer die Hauptschuld an der zunehmenden Flächenversiegelung trägt.
Meine Damen und Herren von CDU und FDP: Schuld ist Ihre Betonpolitik! Aber das darf natürlich keiner merken. Darum unterstellen Sie in Ihrem Antrag, Ausgleichsmaßnahmen würden landwirtschaftliche Fläche vernichten. Das ist – mit Verlaub – grober Unfug. Ich möchte Ihnen das gern anhand der Zahlen vorrechnen, die von der Staatsregierung in ihrer Stellungnahme geliefert wurden. Dort steht:
•    Seit 2000 ging die Landwirtschaftsfläche in Sachsen um rund 14.000 Hektar zurück.
•    Im gleichen Zeitraum stieg die Siedlungs- und Verkehrsfläche um 21.000 Hektar.
•    Reichlich 7.000 Hektar der Siedlungs- und Verkehrsfläche sind durch Braunkohlesanierung entstandene Erholungsfläche.
•    Zieht man diese 7.000 Hektar von den 21.000 Hektar Siedlungs- und Verkehrsfläche ab, bleiben ca. 14.000 Hektar neu versiegelte Flächen übrig.
Meine Damen und Herren, wenn Ihnen das bis hierher noch nicht zu mathematisch war, ist Ihnen vielleicht etwas aufgefallen: 14.000 Hektar neu versiegeltes Land stehen dem Verlust von 14.000 Hektar Landwirtschaftsfläche gegenüber.
Das heißt, nicht die Ausgleichsflächen sind Schuld an dem zunehmenden Verlust von Landwirtschaftsfläche. Der Grund ist vielmehr die fortschreitende Versiegelung des Bodens durch Neubauten von Wohn- und Gewerbegebieten auf der grünen Wiese sowie durch Straßenneu- bzw. -ausbauten.
Obwohl der demografische Wandel zu einer sinkenden Bevölkerungszahl in Sachsen führt, ist der Flächenverbrauch ungebremst hoch. Parallel zum teuren Wohnungsabriss gibt es in Sachsen eine hohe Neubauquote, auch in kommunalen Randlagen auf der "Grünen Wiese". Im selben Zeitraum, in dem in Sachsen ca. 80.000 Wohnungen gefördert rückgebaut wurden, entstanden 45.000 neu, häufig mit hohem Aufwand an öffentlichen Mitteln in neu erschlossenen randstädtischen Lagen zu Lasten unseres Bodens. Die Folgen sind vielfältig:
•    Fruchtbarer Böden gehen der Landwirtschaft verloren. Eine versiegelte Fläche eignet sich auch bei einer späteren Entsiegelung lange Zeit nicht mehr für die landwirtschaftliche Nutzung. Der Boden ist somit verloren, wenn man ihn nicht aufwendig renaturiert.
•     Versiegelter Boden kann seine Funktion für die Grundwasserneubildung und -reinhaltung nicht mehr erfüllen. Insbesondere bei starken Regenfällen und ungünstiger Wetterlage kommt es zu erhöhtem Oberflächenabfluss und damit zu einer Beeinträchtigung des Wasserhaushalts. Die Hochwassergefahr nimmt zu.
•    Vor allem durch Verkehrswege werden die Landschaft und der Lebensraum von Tieren und Pflanzen immer stärker zerschnitten. Biotope werden geschädigt oder zerstört, Wanderkorridore unterbrochen und Tiere mit größeren Aktionsradien verlieren ihren Lebensraum. Die Flächenzerschneidung gilt als eine wesentliche Ursache des Artenverlustes.
•    Folge der Zersiedelung sind zusätzliche Verkehrsbelastungen durch längere Wege, somit mehr Lärm und klima- und gesundheitsschädliche Emissionen.
•    Außerdem behindern bebaute Flächen die Abkühlung bodennaher Luftmassen. Sie reduzieren den Luftaustausch und damit regionale Luftbewegungen.
Wir Grünen fordern an dieser Stelle ein Umdenken bei Koalition und Staatsregierung. Statt neue Eigenheime auf der "grünen Wiese" zu fördern, ist es vielmehr unsere Aufgabe, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und bezüglich der heutigen Anforderungen in Sachen Energieverbrauch, Fassadengestaltung und Gebäudeschnitt aufzuwerten oder nicht genutzte Gebäude abzureißen und deren Flächen zu recyceln.
Doch Sachsen stellt im bundesweiten Vergleich die geringsten Anteile seiner EFRE-Mittel für "Nachhaltige Stadtentwicklung" bereit. Gleichzeitig stehen dem 144 Mio. Euro Ausgabereste zum Bau von Staatsstraßen gegenüber. Wir halten Investitionen in Stadtentwicklung für sinnvoller als den überzogenen Straßenbau. Schon während der Haushaltsdiskussion forderten wir die Aufstockung des Titels "Nachhaltige Stadtentwicklung". Dafür sollten Straßenbaumittel in Höhe von 10 Mio. Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt werden. Die Ablehnung unseres Antrages durch die Koalition war einmal mehr beredetes Beispiel ihrer rückwärts gewandten Betonpolitik. Sie ist mitverantwortlich für den Schwund landwirtschaftlicher Flächen.
Meine Damen und Herren, die Stellungnahme der Staatsregierung (vielen Dank, Herr Kupfer) macht deutlich: Der vorliegende Antrag ist schon im Ansatz falsch. Ich verstehe nicht, werte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, warum der Antrag auf der heutigen Tagesordnung überhaupt auftaucht. Haben Sie die Stellungnahme der Staatsregierung eigentlich gelesen? Sie sind gut beraten, den Antrag noch einmal zu qualifizieren. Wir Grünen helfen Ihnen gern dabei. In der vorliegenden Form können wir nicht zustimmen.