Michael Weichert zum GRÜNEN-Antrag „Kein Platz für Tierfabriken in Sachsen“
Alleinige Profiteure von Tierfabriken sind Investoren – sie werden massiv subventioniert, während die regionale bäuerliche Landwirtschaft stirbt, die Bürger "auf der Scheiße sitzen" bleiben und Tiere gequält werden
Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert "Kein Platz für Tierfabriken in Sachsen – bodengebundene bäuerliche Landwirtschaft stärken" (Drs. 5/7082) in der 43. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13.10., TOP 6
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
stellen Sie sich einmal vor, Ihre Wohnung wäre etwa so groß wie eine Telefonzelle. Diese ist verschlossen und bis zu Ihren Knöcheln mit Ihren eigenen – nennen wir es mal – "Stoffwechselendprodukten" gefüllt, in denen Sie den ganzen Tag stehen müssen. Ihr Mittagessen wäre kein Schweineschnitzel, sondern ein Granulat, welches Sie Tag für Tag vorgesetzt bekämen.
Das hört sich eigentlich schon nicht gut an, aber es kommt noch besser: Eines Tages wird Ihre Telefonzelle geöffnet und herein kommt jemand, der Ihnen bei vollem Bewusstsein ein sensibles Körperteil abschneidet.
Doch seien Sie froh, sie sind immerhin allein in der Telefonzelle! In der industriellen Tierhaltung sind die Tiere auf engstem Raum zusammengepfercht. Bei den Schweinen führt das u.a. zu Schwanzkannibalismus.
Meine Damen und Herren, durch die Ansiedlungspolitik der Staatsregierung schießen Tierfabriken in Sachsen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Allein in den Jahren 2008 und 2009 kostete das den Steuerzahler 26 bzw. 18 Millionen Euro. Nirgendwo sonst in Deutschland werden diese Anlagen so hoch gefördert wie im Freistaat.
Meine Damen und Herren, da stellt sich doch die Frage, welche Logik steckt hinter der Förderpolitik unserer Staatsregierung? – In der Broschüre "Ein Stall in meinem Dorf" des Ministeriums für Umwelt und Landwirtschaft steht dazu:
"Eine Konkurrenzfähigkeit unserer Landwirte gegenüber Erzeugern aus anderen Ländern […] wird nur durch geringe Produktionskosten ermöglicht."
Es geht also um die Konkurrenz zu Standorten in anderen Ländern, in Deutschland, in Europa, in Lateinamerika, Asien usw.
Das können Sie vergessen, werte Kolleginnen und Kollegen!
Denn die Fleischerzeugung steht in Sachsen unter dem Druck international agierender Fleischkonzerne. Smithfield bspw., einer der größten Schweinefleischproduzenten weltweit, unterhält in den EU-Beitrittsländern Riesenställe mit mehr als 100.000 Mastplätzen. Er erzeugt das Kilogramm Schweinefleisch für 90 Eurocent. Die mittleren Produktionskosten in Deutschland liegen stattdessen bei rund 1,30 Euro je Kilo Schlachtgewicht. Mit Niedrigpreispolitik kommen wir da keinen Schritt weiter.
Ich denke, langfristig aussichtsreicher ist die Qualitätsproduktion.
Ein weiteres Argument der Staatsregierung ist (s. Antwort auf die Kleine Anfrage 5/548), dass der rechnerische Selbstversorgungsgrad mit Fleisch in Sachsen zu niedrig sei. Gleichzeitig antwortet Staatsminister Kupfer:
"Durch die vielfältigen Warenströme sind jedoch keine Aussagen darüber möglich, welcher Anteil des im Freistaat Sachsen produzierten Schweinefleisches tatsächlich im Land verbraucht wird."
Das heißt, die Staatsregierung verschaukelt uns. Wie kann denn Herr Kupfer von einem zu niedrigen Selbstversorgungsgrad sprechen, wenn er gar nicht weiß, wie viel des hergestellten Fleisches tatsächlich in Sachsen gegessen wird?
Meine Damen und Herren, solche fadenscheinigen Argumente bilden die Grundlage sächsischer Landwirtschafts- und Förderpolitik. So gehören wir zu den drei Bundesländern, die "gewerbliche Unternehmen mit flächenloser Tierhaltung" (also Tierfabriken) fördern. In allen anderen Bundesländern gibt es Förderung nur mit Bindung an die Bodenbewirtschaftung.
Herr Kupfer, fragen Sie doch mal sächsische Landwirte, was die davon halten. Sie werden hören, dass Tierhaltung und Bodenbewirtschaftung unmittelbar zusammen gehören und nachhaltige Landwirtschaft und Kreislaufwirtschaft anders überhaupt nicht funktionieren. Bei der Flächenbindung sind Pflanzenbau und Tierhaltung eines Betriebes so aufeinander abgestimmt, dass der natürliche Nährstoffkreislauf im Gleichgewicht ist. Die Größe der Fläche bestimmt die Anzahl der Tiere. Eine Überdüngung der Flächen und damit auch der vermehrte Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases Lachgas wird vermieden. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis und richten Sie die sächsische Förderpolitik daran aus.
Investoren, z.B. dänische Schweinemäster, finden in Sachsen ihr Eldorado. Da es in Dänemark doppelt so viele Hausschweine wie Einwohner gibt und Umweltauflagen immer strenger werden, zieht es sie nach Ostdeutschland. Hier werden Investitionen höher gefördert, die Arbeitslöhne sind deutlich niedriger und mehr Gülle ist auf unseren Feldern auch erlaubt.
Der dänische Investor Mogens Nielsen bringt seine Liebe zu Ostdeutschland auf den Punkt:
«Verglichen mit Dänemark besteht der Vorteil in Deutschland darin, dass die Kosten für Arbeitskräfte nur halb so hoch sind, das gepachtete Land nur 25 Prozent von dem kostet, was in Dänemark zu zahlen ist und die Behörden finanzielle Unterstützung für die Baumaßnahmen gewähren. Die Anforderungen für die Aufbewahrung von Gülle sind nur halb so streng wie in Dänemark.»
Die Investoren profitieren also. Aber was haben denn die Bürgerinnen und Bürger des Freistaates davon?
Während die Weiterverarbeitung meist gar nicht in Sachsen erfolgt und die Wertschöpfung ganz woanders stattfindet, bleiben wir Sachsen sprichwörtlich "auf der Scheiße sitzen".
Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen: Um eine Schweinemastanlage in der Lausitz wurden bis zu 440 mg/Liter Nitrat im Grundwasser gemessen. Das sind rund 800 Prozent mehr als der laut Trinkwasserverordnung erlaubte Grenzwert von 50 mg/Liter. Durch mikrobielle Reduktion wird aus Nitrat Nitrit, das bei Säuglingen die Sauerstofftransportfähigkeit des Blutes vermindert (auch "Brunnenblausucht" genannt). Außerdem ist Nitrit für die Bildung krebserregender Nitrosamine verantwortlich.
An der gleichen Mastanlage wurde auch der Grenzwert für die Ammonium-Belastung dramatisch überschritten. Einzelne Messungen ergaben eine 250-mal höhere Verseuchung als erlaubt.)
1. Gestank, gülleertränkte Äcker und Nitrat im Grundwasser sind nicht die einzigen Probleme, die mit Tierfabriken Einzug halten: Den wenigen neuen Arbeitsplätzen steht der Verlust von Arbeitsplätzen des bäuerlichen Mittelstandes gegenüber. Mit fortschreitender Industrialisierung der Landwirtschaft werden bäuerliche Betriebe in ihrer Existenz bedroht. Die nämlich, die an örtliche Verarbeiter liefern und damit regionale Kreisläufe erhalten.
2. In vielen ländlichen Gebieten hoffen die Menschen auf den Tourismus als Einnahmequelle. Vor allem der naturnahe Tourismus entwickelte sich in den vergangenen Jahren sehr gut. Mit ihm entstanden sichere, nicht exportierbare Arbeitsplätze, die durch neue Tierfabriken massiv gefährdet werden. Denn naturnaher Tourismus und Massentierhaltung schließen sich aus.
3. Nicht nur für Touristen sind übel riechende und verschandelte Gebiete unattraktiv. Auch für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort bedeuten Tierfabriken eine deutliche Verminderung ihrer Lebensqualität und die Gefährdung ihrer Gesundheit. Laut einer aktuellen Studie der Universität Utrecht im Auftrag der niederländischen Regierung sind Anwohner intensiver Geflügel- und Schweine-Tierhaltungsanlagen und Bewohner von Intensiv-Regionen erhöhten Konzentrationen von Feinstaub, spezifischen Mikroorganismen und Endotoxinen ausgesetzt. Dadurch tragen sie ein erhöhtes Risiko von Atemwegserkrankungen.
Und jetzt komme ich zu meinem wichtigsten Argument, und da spreche ich die Kolleginnen und Kollegen an, die wie ich, als Christen leben. Albert Schweitzers Bekenntnis zur Ehrfurcht vor dem Leben, ist für mich die prägnanteste Übersetzung des Neuen Testaments. Das heißt, wir alle sind zur Bewahrung der Schöpfung aufgefordert. Zur Schöpfung gehören alle Geschöpfe, selbstverständlich auch Hühner und Schweine. Und deshalb kann und darf es Tierhaltung, die Menschen betreiben, nur dann geben, wenn es den Tieren auch gut dabei geht. Und das heißt, dass wir sie als soziale Wesen begreifen, die ein Recht auf Sonne und Luft, ein Recht auf Platz und Bewegung, ein Recht auf gesunde Ernährung und hygienische Verhältnisse haben.
Alle Verbraucher sollten daran ihre Kaufentscheidung ausrichten.
Ich frage mich ernsthaft, wie man am Freitag industrielle Tierhaltung genehmigen und am Sonntag zum Erntedankgottesdienst gehen kann.
Haben wir gemeinsam Ehrfurcht vor dem Leben und machen wir Schluss mit der industriellen Tierhaltung, genehmigen wir keine Tierfabriken mehr.
Hintergrund:
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Argumente der Staatsregierung und deren Entkräftung
1. Moderne industrielle Tierhaltung hat das Wohl des Tieres im Blick und hohe Tierschutzstandards.
⇒ Die Tiere sind teilweise so überzüchtet, dass sie buchstäblich zu Tode wachsen (Masthühner), ihre Nachkommen nicht mehr auf natürliche Weise auf die Welt bringen können (Milchkühe) und ihnen Probleme mit Herzen und Beinen angeboren sind (Schweine). Kälber werden sofort nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und leiden an Blutarmut, weil ihnen kaum Eisen zugeführt wird, damit sie helles Fleisch liefern. Die Brüder von Legehennen werden nach dem Schlüpfen vergast oder zerhäckselt, weil es keine Verwendung für sie gibt. Bei der Schlachtung gibt es keine Garantie dafür, dass die Tiere wirkungsvoll betäubt wurden, oder dass sie wirklich tot sind, wenn sie am Schlachthaken hängen.
2. Die Verbraucher wollen es so
⇒ Dass es soweit kommen konnte, erklären die Professoren mit dem psychologischen Phänomen der pluralistischen Ignoranz: Verbraucher und sogar Landwirte missbilligen prinzipiell die Zustände in der Tierhaltung, beruhigen sich jedoch damit, dass niemand etwas unternimmt, weshalb es nicht so schlimm sein kann. Und wenn es doch schlimm wäre, würde die Regierung etwas unternehmen. Dieses Nichtstun wird wiederum von Politikern und Unternehmen so gedeutet, dass die Konsumenten mit den gängigen Praktiken einverstanden sind, wodurch sich der Kreis schließt: Alle Beteiligten denken, dass alles in Ordnung wäre, weil niemand etwas unternimmt.
3. Die sächsische Landwirtschaft muss wirtschaftlich arbeiten und deshalb rationalisieren.
⇒ Eine Vielzahl der Betriebe arbeitet gar nicht wirtschaftlich, sondern ist abhängig von den Zahlungen der europäischen Union. Dies sind jedoch Steuergelder, die wir alle bezahlen. Somit haben wir auch ein Recht mitzubestimmen, wie Landwirtschaft sein soll und welche Aufgaben sie für die Gesellschaft wahrnehmen soll.
4. Es entstehen neue Arbeitsplätze im ländlichen Raum.
⇒ Die Arbeitsplatzeffekte von Tierfabriken sind aufgrund der hohen Automatisierung minimal: Für rund 11.000 Schweinemastplätze in Krippehna sind 4 Arbeitskräfte vorgesehen. Aufgrund der hohen Förderung sind diese Arbeitsplätze mit bis zu 300.000 Euro subventioniert. Das gibt es in keiner anderen Branche.
⇒ Es ist davon auszugehen, dass Arbeitsplätze in Tourismus und Gastronomie vernichtet werden, so dass der Saldo in der Region sogar negativ sein kann.
5. Es entsteht mehr Wertschöpfung in Sachsen
⇒ Die Massentierhaltung ist ein "Hemmschuh" für die ländliche Entwicklung. Während die Gewinne abfließen, blieben die Regionen auf den Kosten der Umweltschäden sitzen. Etliche nicht regional verankerte Investoren zahlen ihre Steuern ganz woanders.