Michael Weichert zum Kleingartenwesen

Förderung des Kleingartenwesens ist eine wichtige städtebauliche, gesundheits- und sozialpolitische Aufgabe
Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zur Großen Anfrage der Fraktion LINKE "Konzeption und Handlungsstrategien der Staatsregierung zur Schaffung von Rahmenbedingungen für die Sicherung und Fortentwicklung des sächsischen Kleingartenwesens bis zum Jahr 2020", 54. Sitzung des Sächsischen Landtages, 4. April 2012, TOP 8
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Gärtnerinnen und Gärtner,
das Image vom Gartenzwergparadies trifft schon lange nicht mehr zu. Viel mehr werden Kleingärten von Familien und jungen Menschen als preisgünstiges Rückzugsgebiet aus den städtischen Betonwüsten gesehen. Schrebergärten bieten die Möglichkeit, eigenes Obst und Gemüse anzubauen oder sich im Grünen zu erholen.
Gerade auch vor dem aktuellen Hintergrund, halten wir es für legitim sich mit dem Thema Kleingärten zu beschäftigen. Die große Anfrage der LINKEN zeugt allerdings von Einfallslosigkeit. Und genau so sind auch die Antworten der Staatsregierung: einfallslos, lieblos und substanzlos.
Dabei gibt es einiges zu sagen:
Als Teil des Grünflächensystems erfüllen Kleingärten in der Stadtplanung wichtige Ausgleichsfunktionen. Sie sind durch ihre sozialen, ökologischen und städtebaulichen Funktionen ein wichtiger Bestandteil einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung. Der hohe Baum- und Strauchanteil in den Kleingärten trägt erheblich zur Verbesserung des Stadtklimas bei. Staub und Luftschadstoffe werden gebunden. Die Pflanzen halten einen Teil des Regenwassers zurück und erhöhen somit die Luftfeuchtigkeit. Durch die Kondensation dieses Wassers bleiben die Grünflächen im Sommer angenehm kühl. Die über Kleingärten entstandene Frischluft kommt angrenzenden bebauten Gebieten zugute. Die Gärten bilden zudem eine Ausgleichsfläche für die ständig zunehmende Flächenversiegelung.
Wenn Kleingärten naturgemäß bewirtschaftet werden, (und dieser Trend nimmt zu) können sie schnell zu einer Oase für Tiere und Pflanzen werden. Ihre Artenvielfalt ist wesentlich höher als die öffentlicher Parkanlagen. Sie bietet Nistmöglichkeiten für Vögel und sind Lebensraum für viele verschiedene Tiere. Gemeinsam mit anderen Grünflächen tragen Kleingärten zur Biotopvernetzung bei.
Die Bedeutung der Kleingärten auch in Sachsen reicht aber weit über die ökologische Bedeutung hinaus. Kleingärten fördern bei Kindern und Jugendlichen das Natur- und Umweltbewusstsein und sind damit ein wichtiges Element der Umwelt- und Naturerziehung.
Zunehmend werden auch in sächsischen Städten Kleingärten durch Migranten gepachtet. So können sich Migranten und Migrantinnen und Deutsche aus unterschiedenen sozialen Milieus und Lebensformen begegnen. Beim gemeinsamen Bewirtschaften von Gärten mitten in der Stadt entstehen neue Verbindungen und Zugehörigkeiten.
Daher ist die Förderung des Kleingartenwesens eine wichtige städtebauliche, gesundheits- und sozialpolitische Aufgabe. Denn – wer als Kind oder Erwachsener in einem Garten spielen und wirken kann, wer eingebunden ist in die gemeinsamen Aktivitäten eines Vereins, wer selbstbestimmtes Wirken mit gesunder Ernährung verbinden kann – wer Artenvielfalt mit Erholung pflegt – der ist eine wichtige soziale Stütze in unseren Städten und Gemeinden und kann sich zugehörig fühlen. Damit das so bleibt, wollen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die vorhandenen Kleingärten dauerhaft sichern und angemessen entwickeln.
Dass genau dies momentan zur Diskussion steht, konnten wir an den vergangenen beiden Tagen der Presse entnehmen. In Sachsen sollen mehr als 100 Kleingartenvereine mit ca. 9000 Pächtern ihre auf Staatsland liegenden Grundstücke kaufen. Warum fragt sich der geneigte Leser? Das Finanzministerium spricht von zu hohem Verwaltungsaufwand. Mit dem Verkauf erhofft sich die Staats­regierung einen Erlös von 3 Mio. Euro – wird Frau Kurth damit neue Schulgärten einrichten?
Bei den Vereinen und Pächtern erzeugt das Vorhaben große Zweifel, weil in den Verträgen der Grund und Boden zeitlich un­befristet Gartenland nach dem Bundeskleingartengesetz bleiben müsse. Und das hätte zur Folge, dass auf die Vereine hohe Nach­zahlungen zum Kaufpreis fällig werden würden, wenn diese z.B. wegen Mitgliedermangels aufgelöst werden müssten. Zudem müssten auch ungenutzte Gärten mitgekauft werden.
Diese ganze Verkaufsdebatte hat damit also auch eine soziale Dimension. Viel wichtiger wäre es doch, anstatt sich im Kleinklein zu verlieren, den Kleingärtnern die Flächen für einen symbolischen Betrag zu übergeben und gemeinsam mit den Vereinen eine Strategie zu entwickeln, wie mit dem Leerstand, vor allem im klein­städtischen und ländlichen Raum umzugehen ist. Wie können junge Menschen für Vereinsarbeit gewonnen werden? Welche Unterstützung brauchen die Vereine, um ihre Anlagen und Organisationen neu zu positionieren, zu profilieren und zu professionalisieren? Hier wünsche ich mir heute Aufklärung vonseiten der Staatsregierung.
Kleingärten sollten für den Freistaat mehr sein als nur eine zusätz­liche Einnahmequelle.
Wenn die Staatsregierung auf der einen Seite in Schönwetterreden das Kleingartenwesen mit ihren vielen Ehrenamtlichen lobt, aber auf der anderen Seite weder fördert noch unterstützt, dann führt sie die Kleingärtner nicht nur in eine existenzielle Krise, sondern ver­stärkt auch an dieser Stelle den Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in die Politik.
Wenn man sich mal die Mühe macht über den sächsischen Gartenzaun hinweg in andere Bundesländer, wie Bayern, NRW oder Berlin zu schauen, dann findet man viele kreative Ideen für die beschriebenen Probleme.
Um nur eines herauszugreifen:
Das Projekt „Meine Ernte“ existiert bereits in über 20 deutschen Städten quer durch die Republik. Der Garteninteressierte bekommt eine Ackerparzelle für eine Saison und findet dort das gängigste Gemüse, verschiedene Salatsorten und ein paar Blumen fürs Auge. Garten-Geräte, Wasser und hilfreiche Tipps finden die Saisongärtner vor Ort und einmal pro Woche kann man sich als unerfahrener Gärtner Tipps und Tricks vom Profi holen.
In NRW werden solche Projekte finanziell unterstützt. Gefördert werden Kommunen als Vorhabenträger.
Das dortige Ministerium bezuschusst Schulungen und Fachbe­ratungen für Kleingärtner, um das vielfältige Angebot zu erhalten und ökologisch orientierte Bewirtschaftungsformen zu vermitteln.
Wäre das nicht auch eine praktische Schützenhilfe für unsere sächsischen Kleingartenvereine und deren Mitglieder?
Schließlich wollen wir doch eine Vielfalt in unseren Städten. Diese grünen Lungen in der Stadt sind wohnungsnahe Freizeitmöglichkeit, verhindern unnötigen Verkehr und schonen somit die Umwelt. Wenn wir das weltweit vereinbarte zwei Grad-Ziel schaffen wollen, werden wir zukünftig anders – nachhaltiger – naturverträglicher Leben müssen. Und wo kann das besser gelebt werden als im Garten und beim Gärtnern?