Miro Jennerjahn: Der alleinige Fokus des Ministerpräsidenten auf ein NPD-Verbotsverfahren könnte sich rächen

Rede des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Großen Anfrage der GRÜNEN-Fraktion "Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen und Organisationen im Freistaat Sachsen" (Drs. 5/9712), 65. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. Oktober 2012, TOP 7


– Es gilt das gesprochene Wort –

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Sehr geehrte Damen und Herren der demokratischen Fraktionen!

Alle, die sich schon länger mit dem Themenkomplex Rechtsextremismus in Sachsen befassen, werden die Befunde der Großen Anfrage kaum überraschen. Sachsen ist weiterhin ein Schwerpunkt der extremen Rechten. Zum einen im Bereich der Parteien – der sächsischen NPD geht es im Bundesvergleich aufgrund der Existenz der Landtagsfraktion gut. Aber auch im Bereich der parteiungebundenen Rechten: Von bundesweit 6.000 Neonationalsozialisten stammen 1.000 aus Sachsen. Sachsen ist weiterhin eine Konzerthochburg. Jährlich finden über 40 Konzerte in Sachsen statt, bundesweit sind es ca. 130 (Zahlen Bund VS-Bericht Bund 2011). Dass große Teile des Unterstützernetzwerkes des NSU aus Sachsen stammen, ist kaum verwunderlich und nur trauriger Höhepunkt der sächsischen Entwicklungen.

Die Anfrage zeigt aber auch, dass die NPD weiter an Bedeutung verliert. Sie ist seit Jahren mit rückläufigen Mitgliederzahlen konfrontiert. Und auch wenn Prognosen zwei Jahre im Voraus schwierig sind, bin ich vorsichtig optimistisch, die NPD 2014 aus dem Landtag gedrängt wird. Die Chancen sind jedenfalls größer als 2009.
Das ist natürlich eine positive Entwicklung.

Da könnte sich der alleinige Fokus des Ministerpräsidenten auf ein NPD-Verbotsverfahren rächen: wenn die Bedeutung der NPD weiter sinkt, besteht die ernsthafte Gefahr, dass ein Verbotsverfahren spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte scheitert. Denn der bewertet bei Frage nach der Rechtmäßigkeit eines Parteienverbots auch die Bedeutung dieser. Nur wenn eine konkrete Gefahr ausgeht, hält der Gerichtshof ein Verbot für zulässig. Die Diskussion um ein NPD-Verbotsverfahren im Rahmen der NSU-Aufdeckung scheint mir daher eher eine Nebelkerze, um nicht diskutieren zu müssen, was tatsächlich ansteht. Das ist nach wie vor die Frage, an welchen Stellen Behörden in der Verfolgung des NSU-Trios und seines Unterstützernetzwerkes nicht genug getan haben. Und dabei steht selbstverständlich auch die Aufarbeitung der systematischen Verharmlosung des Rechtsextremismus in Sachsen in den 90er Jahren und teilweise bis heute an.

Das heißt nicht, dass wir uns mit der NPD nicht befassen müssen. Aber es darf eben nicht der einzige Fokus sein. Vor allem, wenn man neben der bereits erwähnten herausgehobenen Stellung Sachsens auch die Verschiebungen innerhalb der parteiungebundenen extremen Rechten betrachtet. Die Anfrage zeigt, dass das neonationalsozialistische Spektrum wächst und dass es eine Tendenz zu besser vernetzten Strukturen zeigt. In unserer letzten Großen Anfrage aus dem Jahr 2008 listete die Staatsregierung zehn Kameradschaften, heute sind es schon 19.

Es scheint aber, wenn man die Große Anfrage betrachtet, dass es dem Verfassungsschutz leichter fällt, die parteigebundene Rechte zu beobachten als weniger strukturierte Gruppen. Das zeigt sich bei der Bewertung des Freien Netzes durch das LfV, das zeigt sich bei den Fragen nach Unterwanderung von Initiativen. So gibt es laut Auskunft der Staatsregierung wenige bis keine Erkenntnisse, ob und wie Nazis sich in Vereinen im Bereich Umweltschutz, Kinder- und Jugendarbeit oder Sport engagieren. Obwohl das Beispiel des Fußballclubs "Energie Görlitz" deutlich gemacht hat, was passieren kann. Mehrere Spieler und ein Trainer standen wegen rechter Straftaten vor Gericht. Außerdem steht im Raume, dass mehrere Mitglieder der regionalen Kameradschaft zur Mannschaft gehören.

Darüber hinaus gibt es auch Leerstellen bei Fragen nach Verbindungen von Nazis in die organisierte Kriminalität oder in die Sicherheitsdienste, obwohl der aktuelle Präsident des LfV durchaus festgestellt hat, dass es dort Probleme gibt.

Auch bei der Aufklärung von Blood & Honour, dem entscheidenden Netzwerk der NSU-Unterstützer, und dem Weiterwirken der Akteure nach dem Verbot, ist kein Aufklärungswille zu sehen. Weder bei der Staatsregierung noch beim LfV. Das hat die Antwort der Staatsregierung auf einen Antrag der Linken und das Auftreten des stellvertretenden LfV-Präsidenten Dr. Olaf Vahrenhold in einer Innenausschusssitzung vergangene Woche gezeigt. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Wir wissen, dass zum Verstehen des NSU eine systematische Auseinandersetzung mit Blood & Honour eine Aufhellung von deren Strukturen, Vernetzungen und ideologischen Grundlagen unerlässlich ist und Staatsregierung und LfV haben kein Interesse daran, genau diese Arbeit zu leisten.

Und das ist ein Phänomen, dass mir in öffentlichen Anhörungen des Innenausschusses zu Problembereichen der extremen Rechten schon oft aufgefallen ist. Wir haben dort häufig szenekundige Experten aus Zivilgesellschaft und Medien zu Gast, die zwar auf vergleichsweise wenig Ressourcen zurück greifen können, uns aber eine Vielzahl wertvoller Hinweise über Vernetzungen und Wirkmechanismen der extremen Rechten präsentieren. Und wir haben auf der anderen Seite eine Behörde mit vielen Ressourcen, die uns meist mit Oberflächlichkeiten abspeist.

Unterm Strich wird ein Problem deutlich: Es scheint, dass alles, was Sie über die extreme Rechte in Sachsen wissen, vom LfV kommt. Das Bild, dass das LfV von der extremen Rechten zeichnet, ist aber, wie geschildert, höchst lückenhaft.

Um die extreme Rechte zurückzudrängen, müssen wir wissen, was Menschen anfällig macht für rechtes Gedankengut, Da kann man sich, sehr geehrter Innenminister, nicht auf das LfV verlassen. Das ist auch nicht seine Aufgabe. Da taugt auch ihr Extremismusbegriff überhaupt nichts. Dann müsste man sich mit Rassismus, Hetze gegen Muslime, Ressentiments gegen Schwule und Lesben auseinandersetzen. Und man müsste sich ernsthaft mit der Spezifik der extremen Rechten auseinander setzen. Das ist derzeit eben nicht die Gefahr für den Bestand des Staates, sondern dass ist die ganz konkrete alltägliche Gefahr mitsamt der Ausbildung von Angsträumen für all diejenigen, die nicht in das menschenverachtende Weltbild der extremen Rechten passen.

Präventionsarbeit kann aber nur zielgerichtet geschehen, wenn klar ist, gegen was vorgebeugt werden soll. Daher sind aus unserer Sicht zwei Dinge dringend notwendig:
Zum einen braucht Sachsen regelmäßige Erhebungen zur Einstellung der Bevölkerung zu Demokratie, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. Thüringen ist dabei ein gutes Beispiel. Dort findet im Auftrag der Staatskanzlei regelmäßig eine Befragung durch die Universität Jena statt.
Außerdem muss die Staatsregierung verstärkt auf wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Expertise bei der Auseinandersetzung mit antidemokratischen Einstellungsmustern zurückgreifen.

Aber: wenn die Staatsregierung endlich anerkennt, dass regionale Vereine und Initiativen in der Arbeit gegen Nazis nicht nur wichtig sind, sondern die entscheidenden Akteure die demokratisches Engagement vor Ort erlebbar machen, dann müssen Sie endlich ihre Misstrauenshaltung gegenüber diesen Aktiven ablegen und die Extremismusklausel streichen.

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