Miro Jennerjahn: Ein kommunales Wahlrecht für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger ist sinnvoll

Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum Antrag "Integration durch Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozessen – Kommunales Wahlrecht für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger ermöglichen" (Drs. 5/12358), 84. Sitzung des Sächsischen Landtages, 16. Oktober 2013, TOP 5

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
das von der SPD-Fraktion eingebrachte Thema ist wichtig und hat mindestens zwei Dimensionen, die auch im Titel des Antrags zum Ausdruck kommen. Die eine Dimension ist die Frage der Integration, die andere, die Frage, für wen demokratische Grundprinzipien gelten sollen.
In den letzten Jahren wurde in Deutschland viel über Integration geredet, häufig mit vorwurfsvollem Tonfall in Richtung der Zugewanderten, sie sollten sich gefälligst integrieren. Oft wurde Zugewanderten auch pauschal der Unwille attestiert, sich überhaupt integrieren zu wollen.
Mal abgesehen davon, dass diese Debatte in weiten Teilen eine sehr vorurteilsbeladene Diskussion ist, die mehr über diejenigen verrät, die sich so äußern, als über die tatsächliche Integrationsbereitschaft von Migrantinnen und Migranten, verkennt diese Debatte, dass Integration kein einseitiger Anpassungsprozess ist.
Vielmehr müssen wir die Frage stellen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Integration nicht nur ein nebulöses Schlagwort in wohlmeinenden Sonntagsreden ist, sondern auch in der Realität besser gelingen kann. Und vor allem ist "Integration" kein fertiger Zustand, sondern ein Prozess, der zu gestalten ist.
An dieser Stelle kann ein kommunales Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer tatsächlich einen wertvollen Beitrag leisten, weil es Teilhabe in einem Bereich ermöglicht, in dem es in sehr starkem Maße um das alltägliche persönliche Lebensumfeld geht.
Ich halte es nur für recht und billig, dass diejenigen, die von den kommunalen Entscheidungen betroffen sind, auch die Möglichkeit haben, diese Entscheidung zu beeinflussen und da ist das kommunale Wahlrecht ein wichtiges Instrument.
Damit bin ich an dem Punkt, an dem es eher demokratietheoretisch wird. Die Staatsregierung hält sich in ihrer Stellungnahme zu dem Antrag an die klassische Trias Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk. Das entspricht dem historischen Entstehungsprozess von Demokratien in Europa und war offenbar auch im Jahr 1990 handlungsleitend für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zwei Gesetzentwürfe aus Hamburg und Schleswig-Holstein für verfassungswidrig zu erklären, die ein kommunales Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer einführen wollten.
Ob das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung heute genauso fällen würde, darüber können wir nur spekulieren, ich habe da aber meine Zweifel. Ich möchte dafür den renommierten Verfassungsrechtler Ulrich K. Preuß zitieren:
"Nun könnte man ja einräumen, dass das Demokratiekonzept des Bundesverfassungsgerichts zwar traditionalistisch einem Ideal des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts anhänge, dieses nun aber einmal das Konzept des Grundgesetzes sei und ohne dessen Änderung – unterstellt, man hielte das mit Art. 79 Abs. 3 vereinbar – das kommunale Ausländerwahlrecht in Deutschland nicht eingeführt werden könne. Doch so ist es nicht. Das Demokratiekonzept des Bundesverfassungsgerichts – man könnte es als Opas Demokratietheorie bezeichnen – ist nicht das des Grundgesetzes. Denn wenn das Grundgesetz vom demokratischen Prinzip handelt, dann meint es keinesfalls die Selbstbestimmung des Volkes als Nation, sondern die Selbstbestimmung der Menschen, die das politische Gemeinwesen konstituieren und seiner Autorität unterworfen sind."
Preuß kommt übrigens zu dem Schluss, dass die Einführung eines kommunalen Wahlrechtes für Ausländerinnen und Ausländer auch ohne eine Änderung des Grundgesetzes rechtlich möglich wäre.
Zudem haben wir jetzt schon in Teilen ein kommunales Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer, weil EU-BürgerInnen wahlberechtigt sind. Vor diesem Hintergrund ist es umso unverständlicher, dass hier eine recht willkürliche Differenzierung vorgenommen wird, in die Nicht-Deutschen, denen wir ein kommunales Wahlrecht zugestehen und diejenigen, bei denen wir das nicht tun.
Ganz geheuer scheint der Staatsregierung die eigene Stellungnahme zum Antrag nicht gewesen zu sein. Auf die Forderung der SPD das Grundgesetz zu ändern, kommt die Aussage, das Grundgesetz schließe ein kommunales Wahlrecht für Ausländer grundsätzlich aus.
Herr Staatsminister: Deshalb ja die Änderung des Grundgesetzes. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Antrag der SPD haben Sie bislang jedenfalls nicht geleistet, ich hoffe, Sie holen das hier heute nach.
Ein kommunales Wahlrecht für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger ist sinnvoll. An den Punkten, an denen sich vermeintliche oder tatsächliche Hürden aus dem Grundgesetz ergeben, müssen diese beseitigt werden. Daher unsere Zustimmung zu diesem Antrag.

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