Miro Jennerjahn: Wir halten diesen Antrag zur Volksgesetzgebung für folgerichtig, nachdem die Modernisierung der Verfassung in diesem Punkt gescheitert ist

Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum Antrag "Antrag gemäß Art. 74 Absatz 3 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen über einen Volksentscheid zur Änderung der Verfassung" (Drs. 5/13108), 89. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. Dezember 2013, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
es geht heute um eine ganz einfache Frage: Haben wir als Abgeordnete des Sächsischen Landtags den Mut, den Souverän selbst darüber abstimmen zu lassen, ob die Hürden für die Volksgesetzgebung gesenkt werden?
Liebe Kollegen von der CDU und FDP, für Sie geht es offensichtlich um ihre Krone, deren Zacken sie schon rausfallen sehen, wenn wir die Menschen in Sachsen mit einer solchen Frage befassen. Hier geht es aber nicht um ihre Krone: Sachsen ist keine Monarchie, sondern einer Demokratie. Und dazu gehört eben auch die direkte Demokratie.
Wir halten eine solche Vorlage nur für folgerichtig, nachdem die Modernisierung der Verfassung in diesem Punkt in den überfraktionellen Verfassungsverhandlungen scheiterte. Für diese hatten sich insbesondere die LINKEN und meine Fraktion stark gemacht, scheiterten damit aber am Widerstand von CDU und FDP. Schade, dass diese Tür zugeschlagen wurde.
Keine Angst vor Volksgesetzgebung – Statistisch findet nächstes Volksbegehren in Sachsen im Jahr 2036 statt.
Die in der Verfassung idealtypisch vorgesehene Gleichrangigkeit von parlamentarischer und Volksgesetzgebung wurde in Sachsen nie erreicht. Es wurde schon mehrfach erwähnt: in Sachsen gab es bisher nur ein erfolgreiches Volksbegehren vor mehr als zehn Jahren.
Statistisch gesehen findet pro Bundesland nur etwa alle 35 Jahre ein Volksentscheid statt – also in Sachsen dann etwa im Jahr 2036 wieder – (vgl. 3. Volksentscheid-Ranking, September 2010, Mehr Demokratie e.V., S. 3.)
Wir finden das unbefriedigend.
Die Chancen für den Volksgesetzgeber, ein erfolgreiches Volksbegehren zu initiieren, scheitern an dem zu hohen Quorum von 450.000 Stimmen, dass mittlerweile etwa 13 Prozent der Stimmberechtigten entspricht. Die hohen Quoren wurden auch von Experten in Sachverständigenanhörungen im Landtag schon des öfteren kritisiert. Zuletzt wurde heute in der Freien Presse erneut der Politologe Prof. Patzelt, der ja eher Ihnen nahe steht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, zitiert, dass er Änderungsbedarf sehe. Genauso wie meine Fraktion halte er ein Quorum von 5 Prozent, das sind aktuell etwa 170.000 Stimmberechtigte, für ausreichend.
Keine Angst vor "Minderheitenentscheidungen" – CDU/ FDP-Koalition bezieht ihre Legitimation von einem Viertel der Wahlberechtigten.
Und Herr Schiemann, weil sie ihre Angst vor direkt demokratischen Entscheidungen immer wieder zum Maßstab für unsere Entscheidungen erheben wollen: Wenn sie solche Angst davor haben, dass nur wenige Stimmberechtigte Gesetze verabschieden und damit das Ergebnis demokratischer Wahlen umgehen würden, sollten sie vielleicht eine Wahlpflicht einführen. Nicht, dass wir die gutheißen würden. Aber wenn Sie glauben, dass Sie durch die Wahl 2009 die Mehrheit der Sachsen repräsentieren, möchte ich Ihnen diesen faulen Zahn gerne ziehen.
Die aktuelle Staatsregierung aus CDU und FDP zieht ihre Legitimation aus gerade einmal einem Viertel der 3,5 Millionen Wahlberechtigten Sachsens. Wir hatten zur Landtagswahl 2009 eine Wahlbeteiligung von 52 Prozent. Wiederum etwa die Hälfte, nämlich 50,2 Prozent, wählte CDU oder FDP, das sind 26,2 Prozent aller Wahlberechtigten. Es ist also Zeit, dass sie von ihrem hohen Ross heruntersteigen.
Keine Angst vor fakultativen Referenden
Schließlich noch ein Wort zu den fakultativen Referenden, die mit der Vorlage ermöglicht werden sollen. Damit soll es den Bürgern möglich werden, über eine vom Landtag zuvor beschlossene Vorlage abzustimmen. In unserem Gesetzentwurf, der Anfang Februar 2014 zur Anhörung steht, sehen wir insbesondere die Möglichkeit vor, dass ein Landesgesetz durch Volksentscheid aufgehoben werden kann. Dass dieses Instrument Demokratie mit Leben füllt und keine Gefahr darstellt, bestätigen auch Menschen, die sich auf wissenschaftlicher Ebene mit Demokratie beschäftigen. Ich möchte dazu nochmals Herrn Prof. Patzelt zitieren, der auf einer Veranstaltung der GRÜNEN-Fraktion im Juli vergangenen Jahres ausführte:
„…das Richtigste aller plebiszitären Instrumente ist das fakultative Gesetzes- und das fakultative Verfassungsreferendum. […] Auf diese Weise wird nicht Populismus dergestalt gemacht, dass man dem Volk irgendwelche Phantasiefragen oder Pseudoalternativen zur Auswahl stellt und die Verantwortung von der politischen Klasse auf das Volk ablädt, sondern die politische Klasse hat Stellung zu beziehen und anschließend kann das Volk sagen: "Nein!" Und wichtig an diesem Instrument sind die Vorauswirkungen, die entfaltet werden. […] Und der politische Kampf muss nicht erst kunstfertig in einen verfassungsrechtlichen Kampf transformiert werden, wo dann gleich die Grundprinzipien der Verfassung, die Menschenrechte mit Füßen getreten werden damit die Herren in Karlsruhe sich zu einem entsprechenden Urteil bequemen. Sondern die Opposition kann ihre Sache dahin tragen, wo sie hingehört: Vor das Volk!"
(Prof. W. Patzelt auf der VA „Ein neues NPD-Verbotsverfahren“ am 19. Juli 2012 im LT, Transcript, S. 49).
Kurz: Wir stimmen dem Antrag zu!

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