Miro Jennerjahn zu „Fünf Jahre Hartz IV“
„Sächsischer Arbeitsmarkt benötigt mehr Investitionen in Bildung und Forschung“
Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Großen Anfrage "5 Jahre Hartz IV und die Situation in Sachsen" (Drs. 5/1306) in der 17. Sitzung des Sächsischen Landtages, 16. Juni, TOP 10
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
die arbeitsmarktpolitischen Reformen, die unter der rot-grünen Bundesregierung verabschiedet wurden, stellen die umfangreichsten Veränderungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialgesetzgebung der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten dar.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass bei einer Aufgabe dieser Größe neben den gewünschten Effekten immer auch unerwünschte Nebeneffekte auftreten. Diese Nebeneffekte sind im Vorfeld nur sehr begrenzt abschätzbar, weshalb man sich ihrer nicht schämen muss, solange man willens und in der Lage ist, die Effekte fortwährend zu kontrollieren und, wenn nötig, das System zu korrigieren.
Ich mache diesen kleinen Exkurs in die Systemtheorie vor allem für die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, denn deren Weltbild baut offensichtlich auf ganz anderen Prämissen auf. Bestes Beispiel ist die jüngste Pressemitteilung von den Kollegen Hahn und Pellmann, die auszumachen glauben, bei den GRÜNEN gebe es «Absetzbewegungen» von Hartz IV. Zu diesem Schluss kann nur gelangen, wer davon ausgeht, dass es in dieser Welt nur einfache Antworten auf komplexe Fragen gibt, dass sich die Welt in schwarz und weiß einteilen lässt. Statt Mantra-artig die abgedroschene «Hartz IV ist Mist» -Keule zu schwingen, muss es darum gehen, Fehlentwicklungen von Hartz IV zu beseitigen. Mit dem Modell der GRÜNEN Grundsicherung haben wir genau dies getan. Eckpfeiler sind eine armutsfeste Existenzsicherung und eine Politik des Förderns, der Motivation und der Anerkennung.
Aber wenden wir uns einigen konkreten arbeitsmarktpolitischen Aspekten der Großen Anfrage zu. Es ist bedenklich, dass zu einer ganzen Reihe von Fragestellungen keine Daten vorliegen.
Wie viele Menschen, die 2009 aus dem Leistungsbezug ausschieden, fanden eine Existenz sichernde Arbeit? Keine Antwort.
Wie viele Menschen konnten 2009 aus sog. 1-Euro-Jobs in den 1. Arbeitsmarkt vermittelt werden? Keine Antwort.
Wie viele Bezieher von Arbeitslosengeld II konnten nach einer Bildungsmaßnahme in den 1. Arbeitsmarkt vermittelt werden? Keine Antwort.
Ein Offenbarungseid der Konzeptlosigkeit ist die Antwort auf die Fragen nach der Bedeutung des 2. Arbeitsmarkts. Ich zitiere: «Nach Auffassung der Staatsregierung ist die beste Arbeitsmarktpolitik eine gute Wirtschafts- und Standortpolitik. Dadurch entstehen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt; diese müssen Priorität haben. Insofern ist der zweite Arbeitsmarkt kritisch zu bewerten.» (Zitat Ende)
Damit streuen Sie den Menschen Sand in die Augen. Sie tun so, als hätten Sie es in der Hand, Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt in der gebrauchten Größenordnung aus dem Hut zu zaubern, was den zweiten Arbeitsmarkt überflüssig macht.
Es ist offensichtlich, dass das nicht ohne weiteres funktionieren wird. Die Steigerung der Arbeitsproduktivität sorgt dafür, dass das gleiche Angebot von Gütern und Dienstleistungen, die wir heute bereitstellen, morgen von weniger Menschen erzeugt wird. Erst ab einem lang anhaltenden Netto-Wachstum von über zwei Prozent werden wir nennenswerte Effekte auf dem Arbeitsmarkt generieren können. Zusätzlich zu den Produktivitätsfortschritten hält die Tendenz an, lohnintensive Tätigkeiten dort wo möglich ins Ausland zu verlagern. Diesem Trend wird sich die sächsische Volkswirtschaft auch in Zukunft nicht entziehen können.
Was also ist Ihre Antwort auf den Umstand, dass wir hierzulande in absehbarer Zeit nicht zur Vollbeschäftigung kommen werden und den 2. Arbeitsmarkt als Ergänzung dringend brauchen? Ich hoffe nicht, dass sich die Antwort auf den zynischen Volkssport führender FDP-Politiker beschränkt, Menschen ohne Arbeit als chronisch faul und Arbeitsverweigerer zu diffamieren.
Wenn die Staatsregierung tatsächlich etwas für den sächsischen Arbeitsmarkt tun will, dann muss Sie endlich damit beginnen, unsere Investitionen stärker und vor allem wirkungsvoller auf die Bereiche Bildung und Forschung auszurichten, damit wir uns auch künftig im Wettbewerb behaupten können.