Miro Jennerjahn zum Fachkräftebedarf für Sachsen

Nicht nur technische Details müssen beim Thema Zuwanderung geregelt werden, entscheidend sind die gesellschaftlichen Weichen
Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum Antrag "Fachkräftebedarf für Sachsen sichern – Potenziale erschließen" in der 30. Sitzung des Sächsischen Landtages, 09.02., TOP 5
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Mittlerweile ist das Thema Fachkräftemangel in aller Munde und selbst die CDU, die sich über Jahrzehnte hinweg der Realität verweigert und gegen Zuwanderung mobil gemacht hat, kommt an der Thematik nicht mehr vorbei. Das ist gut so und deshalb wird meine Fraktion Ihrem Antrag auch zustimmen.
Der demographische Wandel ist eine wesentliche Ursache für den einsetzenden Fachkräftemangel und in Sachsen nicht zu übersehen. Derzeit verlassen weniger junge Menschen in Sachsen die Schulen, als die Wirtschaft Ausbildungsplätze besetzen könnte. Daraus entwickeln sich auch neue Perspektiven für diejenigen, die auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen hatten.
Das Fachkräfte-Monitoring 2010 der Sächsischen Industrie- und Handelskammern und der Arbeitsgemeinschaft der Sächsischen Handwerkskammern verdeutlicht zudem, dass ab dem Jahr 2012 zumindest die nächsten zehn Jahre deutlich mehr Menschen altersbedingt aus dem Arbeitsleben ausscheiden, als junge Menschen nachrücken. In manchen Jahren scheiden doppelt so viele Menschen aus dem Arbeitsleben aus, wie nachrücken.
Kurz: Allein aus dem heimischen Arbeitsmarkt heraus, wird das Problem des Fachkräftemangels nicht zu lösen sein, wir brauchen Zuwanderung.
Auch vor diesem Hintergrund begrüße ich den allmählichen Gesinnungswandel bei der CDU und dass Sie aufhören, Migranten und deutsche Arbeitskräfte gegeneinander auszuspielen.
Aus Ihrem Antrag spricht aber auch eine gewisse Hilflosigkeit. So begrüßenswert es ist, dass seitens des Innenministeriums und des Wirtschaftsministeriums die Hürden zum Eintritt in den hiesigen Arbeitsmarkt von völlig utopisch auf ein realistischeres Maß gesenkt wurden, sieht es doch alles ein wenig nach Politik vom Reißbrett aus. Die technischen Details neuer Aufenthaltstitel und abgesenkter Mindestverdienstgrenzen sind gut und schön, aber sie drücken sich vor der Frage, warum Fachkräfte speziell nach Sachsen kommen sollten. Weil die CDU das beschlossen hat, reicht da als Antwort nicht aus.
Eine Modernisierung des Arbeitsmarktes ohne die notwendigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mitzudenken, wird es nicht geben. Die relevanten Stichworte heißen hier: Willkommenskultur und Weltoffenheit. Der sächsische Ausländerbeauftragte, Dr. Martin Gillo, hat das erkannt, er steht damit aber offenbar relativ alleine da, zumindest manifestiert sich das nicht in der Politik der CDU.
In beiden Bereichen gibt es erhebliche Defizite. Sprechen Sie doch mal mit Menschen, die in den Augen der Mehrheitsbevölkerung als nicht deutsch betrachtet werden. Da gibt es jenseits des offenen Rechtsextremismus eine umfängliche Palette an Erfahrungen mit Alltagsrassismus, Diskriminierung und ähnlichen menschenfeindlichen Einstellungen mehr. Und diese Erfahrungen gibt es durchaus auch im Umgang mit Behörden.
Auch beim Thema rechtsextremer Straftaten steht Sachsen nach wie vor bundesweit an der Spitze. Das wird selbstverständlich im Ausland wahrgenommen und stellt einen Hinderungsgrund dar, den Arbeits- und Lebensmittelpunkt nach Sachsen zu verlagern.
Statt hier aber zielgerichtet zu handeln, ist der in diesem Thema mit viel Vorschusslorbeeren bedachte Innenminister gerade damit beschäftigt, eine umfassende Misstrauenskampagne gegen all jene zu fahren, die sich für ein modernes und weltoffenes Sachsen engagieren. Der Gesinnungs-TÜV für zivilgesellschaftliche Vereine beschäftigt uns ja nun schon einigen Monate.
Und auch das Antidiskriminierungsbüro Sachsen (ADB) steht aufgrund fehlender Finanzierung vor dem Aus, obwohl es prädestiniert wäre für die Beratung z. b. von Verwaltungen. In den Haushaltsverhandlungen wollten Sie von unserem Finanzierungsvorschlag für das ADB nichts wissen, aber Sie haben ja im nachfolgenden Tagesordnungspunkt die Möglichkeit, Ihre Meinung zu revidieren.
Wenn Sie es mit dem Thema Zuwanderung ernst meinen, reicht es nicht aus nur die technischen Details zu regeln, Sie müssen auch die gesellschaftlichen Weichen stellen. Herzlichen Dank.