Miro Jennerjahn zur Einsetzung einer Unabhängigen Untersuchungskommission zum Wirken der ‚Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund‘

Aufklärungswille der Staatsregierung beim Thema ‚NSU‘ unterentwickelt – schwammige Forderung nach Untersuchungskommission wenig hilfreich
Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum Antrag "Einsetzung einer Unabhängigen Untersuchungskommission ‚Aufklärung der Mitverantwortung sächsischer Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden für das ungehindert Wirken der ‚Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund’" (Linke, Drs. 5/7043) in der 46. Sitzung des Sächsischen Landtages, 14.12., TOP 6
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
seit Auffliegen des selbst ernannten Nationalsozialistischen Untergrunds Anfang November debattiert die gesamte Republik fieberhaft über das Ausmaß der Gewalt. Viele Fragen stehen im Raum insbesondere nach Fehlern von Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft.
Was tut die Sächsische Staatsregierung? Verstecken, Verantwortung beiseite schieben und, wo es nur geht, Aufklärung behindern. Zugegeben wird immer nur das, was medial ohnehin schon aufbereitet wurde und nicht mehr zu leugnen ist.
Geschlagene zwei Wochen dauerte es bis sich der Ministerpräsident überhaupt zu einer Stellungnahme herabließ. Nicht etwa freiwillig und durch Einsicht, sondern schlicht, weil der mediale Druck zu groß wurde und das tillische Dauerlächeln und Dauerschweigen offenkundig keine tragfähige Strategie mehr war.
Und was erfährt die staunende Öffentlichkeit dann? Es handele sich um eine Thüringer Terrorzelle. Sie machen also auch sprachlich deutlich, dass Sie mit dem Thema nichts zu tun haben wollen, dass es Sie schlicht nicht interessiert, dass die Mitglieder des NSU über zehn Jahre hinweg in Sachsen untergetaucht sind und hier ein umfassendes Unterstützernetzwerk hatten.
Eine Anfrage der thüringischen Staatsregierung zur Einrichtung einer gemeinsamen Untersuchungskommission wird von Sachsen abgelehnt und auch in den Ausschüssen ist keinerlei Aufklärungswille spürbar. Der Rücken des Generalbundesanwalts ist derzeit ein beliebtes Versteck bei der sächsischen Staatsregierung. Sie bettelt geradezu darum, dass ein weiterer Untersuchungsausschuss eingesetzt wird.
Und um dann doch noch irgendeine Handlung vorzutäuschen, wirft der Ministerpräsident höchstpersönlich den beliebten Köder NPD-Verbot in den Raum. Aber noch nicht einmal hier ist er gewillt, Verantwortung zu zeigen und daran mitzuwirken, überhaupt die Verfahrensvoraussetzungen geschaffen werden. Verantwortlich dafür sei der Verfassungsschutz. Das ist hochgradig unverantwortlich und nimmt ein neuerliches Scheitern eines Verbotsverfahrens mutwillig in Kauf.
Herr Ministerpräsident, wir werden Ihnen diese Ablenkungsdebatte nicht durch gehen lassen.
Unter dem Strich bleibt für Sachsen ein umfassendes Führungsversagen der Staatsregierung festzustellen. Nicht nur von den zuständigen Fachministerien, sondern vom Ministerpräsidenten selbst. Es wäre Ihre Verantwortung, Licht ins Dunkel zu bringen. Beenden Sie endlich die unselige Tradition der sächsischen Staatsregierungen, Rechtsextremismus systematisch zu verharmlosen und zu leugnen. Eine Tradition übrigens, für die der Freistaat bundesweit berühmt berüchtigt ist und die ihren Anteil daran hat, dass sich hier massive Neonazi-Strukturen etablieren konnten.
Stellen Sie sich endlich Ihrer Verantwortung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN. Wir sind uns, wie Sie hören, sehr einig mit Ihnen, dass der Aufklärungswille der Staatsregierung unterentwickelt ist und sich dies ändern muss. Wenn ich mir jetzt Ihren konkreten Vorschlag zur Einsetzung einer Unabhängigen Untersuchungskommission anschaue, bin ich allerdings ein wenig entsetzt. Ich frage mich ernsthaft, was Sie sich dabei gedacht haben.
Es klingt ja erst mal ganz gut: Sie wollen eine unabhängige Kommission haben. Wer jetzt glaubt, dass Sie eine konkrete Vorstellung davon haben, wie diese Kommission aufgebaut sein soll, welche konkreten Kompetenzen sie haben soll, ob dafür möglicherweise geeignete gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit eine solche Kommission auch tatsächlich Ermittlungsbefugnisse hat, täuscht sich.
Jenseits Ihrer plakativen Forderung haben Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Das einzige, was Sie uns in diesem Antrag anbieten, ist die Formulierung «Der Landtag und die hierzu ersuchte Staatsregierung setzen unverzüglich eine Unabhängige Untersuchungskommission […] ein, die unter Leitung und Mitwirkung namhafter sachkomeptenter Persönlichkeiten prüft und lückenlos aufklärt.»
Du meine Güte! Noch schwammiger und beliebiger geht es doch gar nicht. Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, dass Sie ausgerechnet die Staatsregierung damit beauftragen wollen, eine solche Kommission einzurichten, die momentan alles dafür tut, nicht aufzuklären? Wollen Sie tatsächlich den Bock zum Gärtner machen? Vertrauen Sie tatsächlich dieser Staatsregierung? Was Sie hier praktizieren, ist die Selbstentleibung des Parlaments.
Mein Kollege Johannes Lichdi, hat Ihnen bereits im Oktoberplenum ins Stammbuch geschrieben, dass uns Ihre permanenten Versuche, sich mit ungeeigneten Methoden in der Öffentlichkeit als Vorkämpfer für Demokratie und Recht zu inszenieren, zunehmend aufregen. Ich wiederhole dies heute ausdrücklich und schließe mich dem vollumfänglich an. Das Thema ist zu ernst, als dass es mit unsoliden, schnell hin geschluderten Anträgen beschädigt werden sollte.
Hören Sie auf, mit Nebelkerzen um sich zu werfen. Es reicht, dass die Staatsregierung das tut.
Nichts desto trotz. Wir wollen uns ihrem Antrag nicht vollständig entgegen stellen, wir können aber auch nicht einfach zustimmen. Wir werden uns bei den Punkten römisch I und II enthalten und lediglich dem Punkt römisch III unsere Zustimmung geben. Ich bitte daher um punktweise Abstimmung.