Miro Jennerjahn: Zweiter Anlauf Jugendmedienschutzvertrag – Jetzt Paradigmenwechsel einleiten!

Redebeitrag von Miro Jennerjahn zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – Verfahren transparent gestalten und wirksamen Kinder- und Jugendmedienschutz entwickeln" (Drs. 5/11683), 76. Sitzung des Sächsischen Landtages, 15. Mai 2013, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

"Der Vierzehnte Medienschutzstaatsvertrag ist richtig, er ist wichtig und er wird kommen; denn den Vierzehnten Medienschutzstaatsvertrag in seinem Lauf […] halten weder Ochs noch Esel auf. "
Das waren die Worte von Staatsminister Dr. Johannes Beermann hier in diesem Hohen Hause am 14. Dezember 2010 im Rahmen der 25. Sitzung des 5. Sächsischen Landtags.

Die weitere Geschichte ist bekannt. Zwei Tage nach diesen markigen Worten scheiterte der Jugendmedienschutzstaatsvertrag im Landtag von Nordrhein-Westfalen, übrigens am einstimmigen Votum aller Fraktionen.

Nun also stehen wir vor einem neuen Anlauf, im Oktober 2013 soll zur Jahreskonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs ein Entwurf für einen Jugendmedienschutzstaatsvertrag vorgelegt werden.

Sachsen hat die Federführung in diesem Verfahren inne und damit soll ausgerechnet der Mann, der im Dezember 2010 so vollmundig von Ochsen und Eseln hier im Hohen Hause redete, die Verantwortung übernehmen. Angesichts der in der Vergangenheit zur Schau gestellten Ignoranz von Dr. Beermann gegenüber laufenden gesellschaftlichen Debatten, ist die Chance groß, dass auch der neue Anlauf zu praktikablen Regelungen für einen wirksamen Kinder- und Jugendschutz zu kommen, gegen die Wand gefahren wird.

Ich möchte noch einmal daran erinnern: Im Zentrum der Kritik standen 2010 Regelungen, die das Thema Jugendmedienschutz einseitig auf technische Lösungen reduzieren wollten. Insbesondere ging es um geplante zwangsweise Alterskennzeichnungen für Webseiten, damit Filterprogramme automatisch bestimmte Webseiten ausblenden können.

Lösungen, die bei Einwegmedien wie dem Fernsehen funktionieren, sollten quasi eins zu eins auf das Internet übertragen werden, ohne zu beachten, dass das Internet unter grundsätzlich anderen Bedingungen funktioniert, als die klassischen Medien, und dass technische Eingriffe hier immer Nebenwirkungen mit sich bringen.

Kurz: Aus dem richtigen Gedanken heraus, den Schutz von Kindern und Jugendlichen auszubauen, wurden Lösungen vorgeschlagen, die fatale Konsequenzen für ein freiheitliches Internet hätten, wie wir es kennen und wie es für eine Demokratie mittlerweile notwendig ist. Die Nebenwirkung: Mit diesen Lösungen wäre eine Infrastruktur geschaffen worden, die grundsätzlich geeignet wäre, Zensur zu ermöglichen und damit natürlich auch Begehrlichkeiten geweckt hätte.

Ich möchte auch daran erinnern, dass der letztlich gescheiterte Jugendmedienschutzstaatsvertrag in der Endphase der Diskussion in allen Parteien zunehmend Unbehagen hervorrief und sich immer mehr Kritiker und Gegner zu Wort meldeten. Beispielsweise gab es da einen Brief der Vorsitzenden der AG Medien der Großen Fraktionsvorsitzendenkonferenz von CDU/CSU, Marlies Kohnle-Gros, vom 19. Mai 2010, in dem sie formulierte: "Wir appellieren an die CDU/CSU-Fraktionen mitzuhelfen, dass es einen neuen Anlauf für eine wirksame gesetzliche Konkretisierung des Jugendmedienschutzes gibt. Der aktuelle Entwurf des 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrages sollte deshalb zurückgestellt werden."

Das Scheitern des Jugendmedienschutzstaatsvertrags 2010 war auch ein Erfolg einer Vielzahl von Netzaktivisten, die sich stark in der Debatte engagiert haben und in mühevoller Arbeit den einen oder anderen Politiker fit gemacht haben, was die technischen Realitäten des Internets betrifft und die möglichen Konsequenzen der damals diskutierten Regelungen.

Wir sollten es also diesmal besser machen und aus den Erfahrungen von 2010 lernen. Dies ist auch eine Frage der Redlichkeit all denen gegenüber, die sich damals in dieser Debatte stark engagiert haben.

Das ist jetzt eine grundsätzliche Frage: Zeigen wir Lernfähigkeit, oder setzt Dr. Beermann darauf, dass die letzte Diskussion drei Jahre alt ist und diejenigen, die sich damals engagiert haben, das heute vergessen haben, oder nicht die Kraft haben, eine vergleichbare Kampagne wie 2010 noch einmal zu stemmen?

Gescheitert ist der Jugendmedienschutzstaatsvertrag 2010 an der Untauglichkeit der vorgeschlagenen Regelungen, aber auch an der Intransparenz des Verfahrens wie der Jugendmedienschutzstaatsvertrag zustande gekommen ist und an der mangelnden Einbindung fachlicher Kompetenz von externen Experten.

Die Auskünfte der Staatsregierung auf Kleine Anfragen meines Kollegen Falk Neubert und mir über den Stand der Dinge und geplante Regelungen im neuen Entwurf des Jugendmedienschutzstaatsvertrages waren noch sehr allgemein. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir uns als Landtag frühzeitig in die Diskussion einbringen, damit wir nicht am Ende wieder nur die Rolle zugestanden bekommen, einen fertigen Vertragsentwurf abnicken zu dürfen nach dem Motto "Friss oder stirb!"

Wir dürfen jetzt nicht die Gelegenheit verpassen, einen Paradigmenwechsel einzuleiten: von allein technischen Maßnahmen hin zu besseren Unterstützungsangeboten für Eltern, Anbieter und Jugendliche.

Jugendschutzprogramme können bei Kindern ein sinnvolles Mittel sein. Bei Jugendlichen sind sie hingegen weitgehend wirkungslos. Sie können ja mal nach "JusProg" googlen, das ist eines der mittlerweile anerkannten Jugendschutzprogramme. Unter den ersten Vorschlägen der automatischen Vervollständigung kommt dann: "JusProg umgehen" und so kommt man mit zwei drei Clicks zu Anleitungen, wie man die Filter Schritt für Schritt aushebelt. Es ist Augenwischerei, Jugendschutzprogramme noch bei 16- oder 17-Jährigen anwenden zu wollen, auch wenn die Anbieter, die diese Programme vermarkten wollen, dies vielleicht einfordern und die derzeitige Rechtslage es nahelegt.

Wir sollten den Jugendmedienschutz im Staatsvertrag nicht ausschließlich restriktiv, sondern vor allem präventiv, d.h. medienpädagogisch umsetzen.

Insbesondere bei den Risiken, die nicht bei den Inhalten sondern im Bereich der problematischen Verhaltensweisen liegen (z.B. Privatsphäreverlust, Cybermobbing oder Onlinesucht) kommt man mit technischen Maßnahmen ohnehin nicht weiter. Da gibt es auch keine pauschalen Lösungen, dafür aber einige Ansätze, die weiterentwickelt werden sollten.

Bislang bietet die KJM den Medienanbietern beispielsweise mit den sogenannten "Netzregeln" Empfehlungen, wie sie ihrerseits Risiken minimieren können. Die Selbstkontrolleinrichtungen, wie beispielsweise die FSM (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V.) haben Verhaltenscodizes für Medienbetreiber entwickelt, etwa dass Chats für Kinder nur mit professioneller Moderation angeboten werden sollten oder dass Soziale Netzwerkdienste strengere Privatsphäreeinstellungen für unter 14-Jährige voreinstellen und sie über Möglichkeiten eines sensiblen Umgangs mit den eigenen Daten informieren. Hier ist die Frage, wie erfolgreich solche Selbstverpflichtungen bislang sind, welche Anreize und Unterstützungsleistungen ineinandergreifen sollten und welche Regulierung im Staatsvertrag dies befördert.

Der präventive Ansatz muss über den JMStV stärker im Auftrag der Aufsichtsbehörden (Landesmedienanstalten bzw. KJM) verankert werden.
Wir müssen darüber diskutieren, wie die Informationen für Eltern und Pädagogen verbessert werden können. Dabei geht es bei weitem nicht nur um Informationen zur Bedienung der Jugendschutzprogramme.

Es gibt beispielsweise eine Handvoll Initiativen, die speziell Internetangebote für Kinder zugänglich machen oder Hinweise zur Medienerziehung für Eltern bereitstellen. Beispiele sind "FragFinn", die Angebote der öffentlichen-rechtlichen Anstalten, der "Erfurter Netcode" oder der neue Kinder-Server. Für Eltern ist das ein ziemlich undurchsichtiges Dickicht. Eine zentrale Bündelung, koordiniert bzw. beaufsichtigt durch die KJM, wäre hier ein großer Fortschritt in Richtung Breitenwirksamkeit.

Für Jugendliche sind Anbote gefragt, die zur kritischen Auseinandersetzung mit problematischen Inhalten aber auch mit dem eigenen Verhalten im Netz anregen und Beratung anbieten. Auch hier gibt es gute Initiativen, die verstetigt und als regulärer Auftrag des Jugendmedienschutzes weiterentwickelt werden sollten.

Mehr präventiver Jugendmedienschutz heißt nun aber nicht, dass die Schutzeinrichtungen federführend die Medienkompetenzförderung im Land übernehmen.

Erstens ist Medienkompetenzförderung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auf die unser Bildungssystem noch nicht genug eingestellt ist. Der einzige Ort, wo alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden können, ist nun einmal die Schule.

Zweitens bedeutet Medienkompetenz auch viel mehr als nur Vermeidung von Risiken. Medienkompetenz meint vor allem auch das Nutzen der Potentiale der Medien für eine positive Persönlichkeitsentwicklung und für gesellschaftliche Beteiligung.

Fest steht jedoch: Wir müssen Kinder- und Jugendmedienschutz und Medienbildung besser miteinander verbinden.

Deshalb sollten wir als Landtag frühzeitig Kriterien definieren, welche erfüllt sein müssen, damit der Freistaat Sachsen einem neuen Entwurf eines Jugendmedienschutzstaatsvertrags zustimmen kann, vor allem sollten wir für Transparenz im Verfahren sorgen. Das wollen wir mit dem vorliegenden Antrag erreichen.
Ich freue mich auf die Diskussion.

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