70 Jahre Grundgesetz – Meier: Wenn aufrechte Demokratinnen und Demokraten als Extremisten diffamiert werden, weil sie sich Nazis in den Weg stellen, erodiert die Werteordnung unseres Grundgesetzes

Redebeitrag der Abgeordneten Katja Meier zur 2. Aktuellen Debatte der Fraktion LINKE:
"70 Jahre Grundgesetz: Ein Grund zu feiern? Ein Grund zu kämpfen!", 22. Mai
92. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 22. Mai, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor 70 Jahren entwarfen kluge Frauen und Männer eine neue, demokratische und freiheitliche Ordnung für Deutschland. Geprägt von den Erfahrungen des Nationalsozialismus entstand mit dem Grundgesetz eine Verfassungsordnung, die die Versprechen des liberalen demokratischen Rechtsstaates manifestierte. Wir können die Größe unserer Verfassungsordnung jeden Tag aufs Neue erleben, wenn wir uns versammeln, unsere Meinung frei äußern können oder jeder Mensch seine Religion frei ausüben kann.

Allerdings sind diese Errungenschaften nicht in Stein gemeißelt. Vielmehr lebt unser Grundgesetz davon, dass die Werte und die Grundsätze, für das es steht, auch mit Leben erfüllt werden. Hier gibt es trotz aller Freude über das nun 70-jährige Bestehen des Grundgesetzes für jede Demokratin und jeden Demokraten noch viel zu tun. Lassen Sie mich das an zwei Beispielen verdeutlichen.

Blickt man in das Grundgesetz und vergleicht es mit der Realität, so wird man bei einigen Bestimmungen feststellen, dass auch das ehrwürdige Papier unserer Verfassung sehr geduldig sein kann.

Meine Damen und Herren, Frauen und Männer sind gleichberechtigt. So steht es seit Anbeginn in unserer Verfassung. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie in unserer Gesellschaft auch tatsächlich gleichgestellt sind. Das hat der Verfassungsgeber nach 45 Jahren Grundgesetz erkannt und 1994 Artikel 3 Absatz 2 um einen Verfassungsauftrag dahingehend erweitert, dass die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern gefördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken ist.

Doch für viele Frauen ist Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes vor allem ein Versprechen, dass mit ihrer Realität wenig zu tun hat. Das gilt auch in Sachsen und hier einmal mehr, wo es die Koalition in peinlicher und arroganter Art und Weise nicht einmal schafft, mit einem modernen Gleichstellungsgesetz Frauen das zu geben, was ihnen zusteht und der Verfassung genüge tut. Und deswegen werden wir Feministinnen und Feministen entschieden für Gleichberechtigung weiter kämpfen, bis das Gleichstellungsversprechen unserer Verfassung in allen Sphären unserer Gesellschaft Wirklichkeit wird.

Doch wir erleben nach 70 Jahren Grundgesetz nicht nur, dass Verfassungstext und Wirklichkeit mitunter auseinanderklaffen. Wir erleben auch, wie die Werte des Grundgesetzes von denjenigen geschliffen und infrage gestellt werden, die sie eigentlich mit Leben erfüllen sollten. Wenn aufrechte Demokratinnen und Demokraten als Extremisten diffamiert werden, weil sie sich Nazis in den Weg stellen, erodiert die Werteordnung unseres Grundgesetzes. Genauso, wenn Kunstaktionen auf eine Eben mit der rechtsextremen Identitäten Bewegung gestellt werden.

Ja, Herr Kretschmer, ich rede hier von ihrem unsäglichen Vergleich des Zentrums für politische Schönheit mit der Identitären Bewegung. Wenn Sie diese zur Geschmackssache erklären, verharmlosen Sie eine menschenverachtende Ideologie.

Es braucht in Deutschland und gerade in Sachsen einen unerschütterlichen Konsens unter Demokratinnen und Demokraten, dass wir uns den Feinden der Demokratie und den Verfassungsfeinden entschieden entgegenstellen. Was es braucht, sind mehr unerschütterliche Demokratinnen und Demokraten und keinen Ministerpräsidenten, der Angst hat, mit Haltung Wählerstimmen am rechten Rand zu verlieren.

Verheerend ist deshalb auch der in der letzten Woche vorgelegte sächsische Verfassungsschutzbericht. Auf dessen Seite 140 wird behauptet, die Begriffe ‚Gleichheit‘, ‚Freiheit‘ und ‚Gerechtigkeit‘ würden durch Linksextremisten zur Bekämpfung der Demokratie instrumentalisiert. Merken Sie eigentlich wie widersinnig das ist? Wenn jemand diese der Demokratie und dem Grundgesetz inhärenten Begriffe verwendet, wird er vom sächsischen Verfassungsschutz verdächtigt, eben diese Demokratie bekämpfen zu wollen. Das ist nicht nur absurd, das ist Gift für unsere Verfassungskultur.

Der sächsische Verfassungsschutz schützt alles Mögliche, nur nicht unsere Verfassung. Deswegen werden wir GRÜNE zusammen mit der Zivilgesellschaft nicht nur dafür kämpfen, dass Grundgesetz vor Verfassungsfeinden zu schützen, sondern auch vor der freiheitswidrigen Interpretation sächsischer Behörden.

Wir werden ‚Gleichheit‘, ‚Freiheit‘ und ‚Gerechtigkeit‘ stets verteidigen und leben, weil dies der Geist des Grundgesetzes ist und immer bleiben wird. » Alle Infos zum 92./93. Plenum » Alle GRÜNEN Reden