AfD-Antrag zu Windenergie – Lippold: Fehlfokussierter Antrag mit schräger Begründung

Rede des Abgeordneten Dr. Gerd Lippold zum Antrag der Fraktion AfD zum Thema: "Offenlegung der Belastungsentwicklungen im Mittel- und Niederspannungsnetz durch den Anschluss von Wind- und Solarenergieanlagen"
56. Sitzung des Sächsischen Landtags, 21. Juni, TOP 7, Drs 6/9764

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Mehr Transparenz ist auch im Netzentgeltbereich immer besser als weniger Transparenz. Deshalb werden Entscheidungen der Regulierungsbehörde etwa in Baden-Württemberg auch veröffentlicht.
Dass jedoch die Daten, die Sie fordern, meine Damen und Herren von der AfD-Fraktion, im regulären Datenerhebungsverfahren der Regulierungsbehörde im Rahmen der Anreizregulierungsverordnung von den privaten Verteilnetzbetreibern überhaupt nicht zu erheben sind, das wird Ihnen im Anschluss vielleicht die Staatsregierung noch erklären.
Um was geht es Ihnen hier im Kern? Sie gehen in Ihrer Begründung davon aus, dass die Belastung und die Ausbaukosten in den Mittel- und Niederspannungsnetzen Sachsens in die Höhe schießen, und zwar durch Solar- und Windenergieanlagen. Als besorgter – selbst besorgter oder durch Sie zu besorgender – Bürger oder Bürgerin fordern Sie die Staatsregierung auf, dieses Bedrohungsszenario offenzulegen. Untrügliches Zeichen einer steigenden Netzbelastung im Mittel- und Niederspannungsbereich wären tatsächlich steigende Häufigkeiten und Kosten von Netzeingriffen, hier mit den Instrumenten Einspeisemanagement nach den §§ 14 und 15 EEG und Anpassungsmaßnahmen nach §13 Abs. 2 EnWG. Die Betreiber von Übertragungs- und Verteilnetzen melden die Ausfallarbeit und die Entschädigungszahlungen an die Bundesnetzagentur. Dort sind sie auch abzurufen
Im sächsischen Verteilnetzbereich entstanden im Gesamtjahr 2015 0,2 Prozent der bundesweiten Entschädigungszahlungen, im Gesamtjahr 2016: <0,1 Prozent der bundesweiten Entschädigungszahlungen. In Euro waren das im Gesamtjahr 2016 80.434,22 Euro bzw. 2 Cent pro Kopf. Im vierten Quartal 2016 waren es in Sachsen übrigens 425 Euro oder 10 tausendstel Cent pro Kopf – 10 Millicent. Ich hätte nicht gedacht, dass ich für Sie hier noch neue Einheiten erfinden muss.
Soweit dazu. Sie bauen einen Popanz auf, meine Damen und Herren von der AfD. Wieder mal. Und da kommen wir zum Kern des Pudels.
Eigentlich wollten Sie doch nur wieder mal über Wind- und Solarenergieanlagen reden – als Symbole einer sich verändernden Welt und damit in Ihrer kruden >>früher war mehr Lametta<<-Ideologie natürlich bedrohliche Ausgeburt des Bösen. Und Sie haben aus den peinlichen Aluhut-Debatten gelernt, die Sie hier in der Vergangenheit zum Thema Windenergie geführt haben. Deshalb kommt der Antrag auch nicht direkt als Angriff daher.
Nein – hier gilt es für Sie, erst mal einen Spin zu setzen. Ein Empörungspotenzial zu generieren, bevor man es abholen kann. Und so liegt es natürlich auf der Hand, etwas, das man negativ besetzen möchte, erst mal mit dem Adjektiv teuer in Verbindung zu bringen. Um dann später unter Verzicht auf jeden ehrlichen Optionsvergleich mit der Argumentationskette teuer gleich böse, böse, böse fortfahren zu können.
Diese Methode ist ja bei Ihnen auch durchaus nicht neu. Fast in jeder Debatte, auf jedem Podium thematisieren Sie eine tatsächliche oder vermeintliche Herausforderung und bringen deren Existenz willkürlich mit Dingen oder Menschen in Verbindung, die in Ihrer Weltsicht keinen Platz haben.
Wenn Sie sich wirklich um Belastungsentwicklung und Investitionsbedarfe in den Mittel- und Niederspannungsnetzen Gedanken machen würden, dann hätten Sie sich um die dafür relevanten Größen und Faktoren gekümmert. Und nein – das sind eben nicht die innerstädtischen PV-Anlagen mit im Durchschnitt ein paar Kilowatt pro Anlage, oder ein paar dutzend Kilowatt auf dem Gewerbegebäude, die heute so gut wie ausschließlich zur Eigenbedarfsdeckung errichtet werden und die bereits in wenigen Jahren durchweg durch lokale Stromspeicher abgepuffert sein werden. Denn sie werden durch eigenverbrauchsnahe Erzeugung sowie intelligenten Speichereinsatz gerade der Netzstabilisierung und –Entlastung dienen.
Ich will Ihnen mal sagen, wo die Herausforderungen für die Mittel- und Niederspannungsnetze wirklich liegen. Ein typischer Ortsnetztransformator hat 160 bis 400 kW. Das reicht heute beim typisch angenommenen Gleichzeitigkeitsfaktor von 40 Prozent der angeschlossenen Verbraucher für bis zu 250 Haushalte. Mit künftigen Ladestellen mit 22 kW Anschlussleistung für Elektroautos reicht das noch für 8 – 20 PKWs und es ist sehr wahrscheinlich, dass abends nach der Arbeit jeder Haushalt sein Auto laden möchte.
DORT liegt eine tatsächliche Herausforderung im Ausbau der Verteilnetze und deren intelligenter Betriebsweise – nicht in PV-Anlage zur Eigenbedarfsdeckung auf dem Dach. Letztere ist aber Ihr ideologischer Gegner, weshalb sie hier im Antrag auftaucht und nicht die Ladestation.
Weiteres Beispiel: massenhafter Einsatz elektrischer Wärmepumpen zur Wärmeversorgung anstelle von Gas und Öl. Auch hier treten bedeutende Verbraucher-induzierte Anforderungen an die Verteilnetze auf. Also keine Erzeuger-induzierten Netzbelastungen – und zwar zunächst mal völlig unabhängig davon, wie dieser Strom erzeugt wird. Im Gegenteil: Jede Möglichkeit, den Strom für die Wärmepumpe wenigstens teilweise durch Solaranlagen auf dem eigenen Dach zu erzeugen, reduziert die Verteilnetzbelastung.
Sie sehen: Thema wieder mal fachlich komplett verfehlt. Mit einem fehlfokussierten Antrag mit schräger Begründung. In der Schule hieß es dazu: 5. Setzen. » alle Redebeiträge der GRÜNEN-Fraktion » alle Infos zur 56./57. Landtagssitzung