Debatte Windenergie − Lippold: Wenn wir beim Ausbau der erneuerbarer Energien nicht vorankommen, läuft Sachsen Gefahr, seine Rolle als Energiestandort zu verlieren
Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Gerd Lippold zum Antrag der Fraktion GRÜNE "Windenergie: Konflikte lösen, Bürger und Kommunen beteiligen, Ausbau voranbringen" (Drs 6/12470)
(Mittwoch, 7. November, TOP 11)
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
es geht in unserem Antrag um Akzeptanz für den Ausbau der erneuerbarer Energien. Es geht um Beteiligungsmöglichkeiten und Transparenz bei der Planung. Es geht auch um Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg.
Und weil sich da erst vor wenigen Tagen anlässlich meiner Gespräche mit Bürgerinitiativen im Zusammenhang mit dem Übertragungsnetzausbau etwa Frau Kollegin Kersten öffentlich darüber aufgeregt hat, wir Grüne würden uns beim Thema Bürgerbeteiligung je nach Fall unterschiedlich oder gar bigott verhalten, möchte ich vorab klarstellen:
Es geht uns in jedem Fall um dasselbe Ziel. Die Energiewende als wesentliche Voraussetzung für erfolgreichen Klimaschutz und damit die Sicherung unserer Lebensgrundlagen voranzubringen.
Wenn der Netzausbau durch akzeptierte Erdverkabelungsvarianten konfliktarm und damit schnell voranzubringen ist, so ist das für uns genauso ein wichtiges Akzeptanzthema wie das Eintreten für besseren Interessenausgleich und damit verbesserte Akzeptanz beim Ausbau der Windenergie.
Es ist eben gerade nicht zweierlei Maß, sondern es sind Aspekte der Arbeit an einem großen, aber nichtsdestoweniger sehr klar umrissenen Ziel. So wie Sie das in der Arbeit meiner Fraktion an sehr vielen Stellen finden.
Dass manche in ihrer von Vorurteilen und Denkbarrieren geprägten populistischen Denkweise gar nicht weit genug in die Themen eindringen, um das zu begreifen, schadet nicht uns, sondern letztlich denen, die so herangehen.
Meine Fraktion will in Sachsen eine Servicestelle ‚Windenergie‘ nach Thüringer Vorbild etablieren.
Wir sehen dies zusammen mit dem ebenfalls in der dortigen Praxis bewährten ‚Siegel faire Windenergie‘ als Möglichkeit, ganz praktisch in der täglichen Realität von Planungs- und Umsetzungsprozessen kleine, aber wichtige Verbesserungen zu erreichen. Es geht darum schrittweise in der Praxis voranzukommen, statt sich weiter in Warteschleifen zu drehen und nur Papier zu beschreiben.
Am langfristig anzugehenden, aber ungeheuer wichtigen Thema der gesellschaftlichen Akzeptanz in der Energiewende muss gearbeitet werden. Denn in der Demokratie gibt es für den Erfolg eines Generationenprojektes wie der Energiewende keine wichtigere Ressource als die gesellschaftliche Akzeptanz.
Das Siegel ‚Faire Windenergie‘ soll den kommunalen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern sowie Bürgerinnen und Bürgern die Orientierung im durchaus unübersichtlichen Feld von Projektentwicklern, Planern und Investoren erleichtern und einen Mindeststandard bei der Einhaltung definierter Kriterien sichern.
Solche Kriterien sind beispielsweise: hohe Standards bei Beteiligungsmöglichkeiten und Bürgerinformation während der gesamten Planungsphase, faire Teilhabemöglichkeiten nicht nur für Flächeneigentümer, die Einbeziehung regionaler Versorger, Unternehmen und Kreditinstitute.
Das gilt jeweils für ein Jahr, wodurch sich die Unternehmen auch dauerhaft an diese Standards binden müssen. Projektentwickler berichten, dass es mittlerweile kaum noch möglich ist, in Thüringen Projekte ohne dieses Label durchzuführen. Das zeigt, dass solche einfachen Maßnahmen zügig erhebliche Verbesserungen in Beteiligungsmöglichkeiten und Teilhabe an Wertschöpfung erreicht werden können.
Die Servicestelle informiert und berät Bürgerinnen und Bürger, Genossenschaften, Kommunen, Eigentümerinnen und Eigentümer unabhängig und kostenfrei.
Das geschieht in vor-Ort-Terminen, Sprechstunden, in Workshops und Informationsveranstaltungen. Sie vermittelt beispielsweise in Konflikten und unterschiedlichen Auffassungen zu Gutachtern und Gutachten, sie hilft Kommunen und Anwohnern, geeignete Kompensationsmaßnahmen zu erarbeiten und vorzuschlagen.
Warum ist es notwendig, heute mögliche Schritte zur Verbesserung von Akzeptanz und Projektfortschritten auch rasch zu gehen?
Die Staatsregierung bekennt sich im Koalitionsvertrag zum Ausbau erneuerbarer Energien, explizit auch der Windenergie. Tatsächlich tritt sie dabei seit vier Jahren in der Umsetzung auf der Stelle. Eine frühzeitige landesplanerische Zielfortschreibung in dieser Wahlperiode, verbunden mit zügiger Zielverankerung in den Regionalplänen hätte auch große Schritte ermöglicht. Das war offensichtlich in dieser Koalition nicht gewollt.
Nun trifft ein Schleichtempo beim Ausbau auf eine Situation, in der bereits bis zum Jahr 2025 etwa zwei Drittel der Altanlagen aus der vor vielen Jahren üblichen, damals relativ hohen gesetzlichen Einspeisevergütung herausfallen, für die sie damals wirtschaftlich kalkuliert waren.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie abgebaut werden. So laufen wir in Sachsen sogar Gefahr, bei der Energiewende aus dem de-facto-Stillstand der letzten Jahre sogar in den Rückwärtsgang zu kommen.
Und das zu einem Zeitpunkt, wo der schrittweise Kohleausstieg rasch vor der Tür stehen wird. Dieser Kohleausstieg wurde übrigens bei der Erarbeitung strategischer Energieversorgungsszenarien für Sachsen in der laufenden Fortschreibung des Energie- und Klimaprogramm (EKP) ganz bewusst ignoriert.
Rund 75 Prozent Kohlestrom im Erzeugungsmix haben wir derzeit noch in Sachsen. Und die Staatsregierung geht eine Planung der künftigen Energieversorgung in Sachsen so an, als käme es darauf nicht an. Ein Unding, meine Damen und Herren.
Sachsen läuft damit Gefahr, seine Rolle als Energiestandort im Zuge des Kohleausstiegs zu verlieren. Wir verlieren damit als Wirtschaftsstandort die eigene Gestaltungsfähigkeit für Struktur und Kosten unserer Energieversorgung. Das kann doch hier in niemandes Interesse sein!
Aus diesem Grund enthält unser Antrag in Punkt 3 die Forderung, bei der laufenden Überarbeitung des EKP die Zielvorgabe für Windenergie auf zwei Prozent der Landesfläche anzuheben.
Dafür ist es trotz einer ganz anderen Systematik der SAENA-Studie nicht zu spät. In wirtschaftlich starken Ländern wie etwa Hessen, die das auch bleiben wollen, ist das das Maß der Dinge.
Die Bundesländer werden sich künftig gliedern in jene, die ihre Energieversorgung im Zeitalter der Dekarbonisierung weiter in der eigenen Hand haben wollen. Die kommen um Ausweis von 1-2 Prozent der Landesfläche nicht herum. Und in jene, die darauf vertrauen, dass die anderen ihre Energieversorgung mit absichern.
Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu. Denn es wird höchste Zeit, dass wir endlich aufhören, immer nur Ziele auf Wegweiser zu schreiben. Wir müssen anfangen, wirklich Schritte auf dem Weg dorthin zu gehen.
>> GRÜNER Antrag ‚Windenergie: Konflikte lösen, Bürger und Kommunen beteiligen, Ausbau voranbringen‘ (Drs 6/12470):https://www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Antraege/6_Drs_12470_0_1_1_.pdf
>> Änderungsantrag der GRÜNEN-Fraktion: https://www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Antraege/6_15346_AEAntr.pdf
>> Länderstatistiken über den Windkraft-Zubau im Jahr 2017 auf der Seite des Bundesverbandes WindEnergie:https://www.wind-energie.de/themen/statistiken/bundeslaender