Doppelhaushalt 2019/2020 − Günther: Die wesentlichen Weichenstellungen fehlen!
Redebeitrag des Abgeordneten Wolfram Günther zum Gesetzentwurf der Staatsregierung:
"Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes des Freistaates Sachsen für die Haushaltsjahre 2019 und 2020 (Haushaltsgesetz 2019/2020 – HG 2019/2020)" (Arbeitstitel)
Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Staatsregierung, Drs. 6/13900, 16. August, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Staatsregierung.
Ministerpräsident Kretschmer hat im November letzten Jahres erzählt, dass er einen sehr genauen Plan für Sachsen hat. Den hat er dann allerdings weder auf einem CDU-Parteitag noch in der Regierungserklärung so richtig vorgestellt und heute wäre ja eigentlich der Tag der Wahrheit. Denn wie konkreter geht es denn, wenn nicht im Haushalt, dass man wirklich einen Plan vorstellt für Sachsen. Dass man die Weichen in nähere und fernere Zukunft stellen kann. Ich muss sagen, ich kann das nicht wirklich erkennen.
Wir haben es mehrfach gehört: wir haben einen Rekordhaushalt, wir haben also Geld zu vergeben, und das ist genau die Chance, Weichen zu stellen, dann sollte man das auch machen. Staatsminister Haß hat das vorhin bei der EU angemahnt – ich möchte das auch an den Freistaat Sachsen adressieren. Genau dort sollte das passieren. Was sind denn unsere Zukunftsfragen, wovon leben wir denn hier in diesem Land? Wir leben von den Köpfen, die wir hier haben; wir leben von der Infrastruktur, die vorhanden ist, und natürlich, dass die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Das sollten auch die Schwerpunktbereiche in einem solchen Haushalt sein.
Wenn wir uns mal die Köpfe angucken: jedes Gespräch – egal ob mit kleinen oder großen Unternehmern zur Wirtschaft – führt am Ende dazu: wir haben ein Personalproblem, wir haben einen Arbeitskräftemangel. Und deswegen muss man sich überlegen, wie man da einen Schwerpunkt hinsetzt. Und da gibt es einen weichen Faktor: Die Leute können sich heutzutage völlig frei entscheiden, wo sie leben; ob in Sachsen oder in anderen Bundesländern, in Deutschland woanders, in Europa oder in der Welt. Wenn man Leute will, die kreativ sind, die Leistungsträger sind – das sind in der Regel relativ weltoffene Menschen – die fragen als erstes: na, ist denn das ein weltoffenes Land, was finde ich denn da für ein Umfeld?
Dieses Signal, dass wir weltoffen sind, das sollte man auch in einem Haushalt wiederfinden können.
Das zweite ist – das sind ganz konkrete harte Faktoren -: heutzutage sind die Leute vor allen Dingen mobil und die gucken etwa in erster Linie: wie komme ich denn dorthin? Da ist also Bahninfrastruktur etwas ganz Wesentliches. Zwar hatte Staatsminister Haß ausgeführt, wie wichtig ihm ÖPNV ist, aber wenn man nochmal genau hinguckt, etwa für die kommunale Verkehrsinfrastruktur, da geben wir 83 Prozent der Mittel in den Straßenbau und lächerliche 17 Prozent für Bahn und Bus aus und das ist deutschlandweit Schlusslicht.
Da kann ich sagen: damit werden wir keine klugen Köpfe hierher holen, und die Leute, die in diesem Land unterwegs sind, die mobil sein müssen und häufig im Auto sitzen, weil sie nämlich nicht mit der Bahn von A nach B kommen, die sind noch gefrustet, weil sie im Stau stehen, weil unsere Straßen voll mit Schwerlastverkehr sind. Das wäre auch eine Zukunftsaufgabe: wie kriegt man den Schwerlastverkehr auf die Schiene? Das würde uns zukunftsfähig machen.
Dazu findet sich nichts in diesem Haushalt. Und so ist es auch mit Radwegen. Wenn man Geld eingestellt hat, heißt das noch lange nicht, dass es abfließen kann; da braucht es oft noch etwas mehr. Ein anderes Thema ist auch: junge, kreative Köpfe, die am Anfang ihres Lebenswegs stehen, die wollen wohnen. Gerade in den großen Städten gibt es da ein Problem. Der Wohnraum wird knapp. Auch der soziale Wohnungsbau ist ein wichtiges Thema, wenn man sich mit den Leuten unterhält. Dazu findet sich aber nichts im Haushalt. Es ist ein Weiter-so. Wir werden nicht im sozialen Wohnungsbau wesentlich aufstocken – dies ist eine wichtige Fehlstelle.
Und wenn wir bei den Köpfen sind, ist da natürlich noch Bildung: hier passiert ja endlich etwas im Bereich Lehrkräfte. Aber es sind eben Aufräumarbeiten: das ist tatsächlich nichts, womit man sich feiern könnte. Worauf man auch einmal hinweisen darf: Dasselbe, was wir mit den Lehrern gesehen haben, zeichnet sich ab bei den Erzieherinnen und Erziehern und natürlich auch bei den Pflegekräften. Genau wie dort die Leute nicht vom Himmel fallen und mit Geld allein Probleme nicht zu lösen sind, so ist es überall.
Beim Thema Sicherheit, was ganz wichtig ist für dieses Land: Polizeikräfte. Schön, dass wir die neuen Polizisten haben wollen, aber die müssen ja irgendwo herkommen – da brauchen wir tatsächlich einen starken Aufwuchs in der Ausbildung. Außerdem, damit die Menschen es auch erleben können, brauchen wir auch wieder mehr Polizeistationen in der Fläche. Da wurde massiv zurückgebaut. Auch dieses Signal ist sehr wichtig.
Wir freuen uns natürlich, dass jetzt endlich Aufwüchse kommen in bestimmten Bereichen der öffentlichen Verwaltung – die Polizei haben wir schon genannt, Lehrkräfte auch, genauso beim Inneren und der Justiz – dies ist alles sehr wichtig, aber die Verwaltung ist deutlich breiter. Wir wissen alleine von den Altersabgängen bis 2030, was für ein riesiges Problem wir in der Verwaltung haben. Herr Staatsminister Haß sagte, da werden Akzente gesetzt. Das ist ja wunderbar, reicht aber nicht aus, denn wir brauchen eine Strategie, wie wir eine handlungsfähige Verwaltung behalten. Und dies weiter als in den genannten Bereichen.
Ich möchte da eine Sache zitieren: Im Juni 2018 hat das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung gefällt. Da musste ein Untersuchungshäftling in die Freiheit entlassen werden. Zitat: "Weil der Freistaat es versäumt hat, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen." Ist das jetzt ein Satz, den wir künftig auch noch für weit andere Verwaltungsbereiche immer wieder lesen wollen? Wir müssen hier gegensteuern. Ein weiteres wichtiges Signal, wenn wir Köpfe brauchen, ist die Frauenförderung: Wir müssen ein deutliches Signal setzen, dass auch Frauen willkommen sind in allen Bereichen. Da können wir noch einiges tun.
Neben den Köpfen sind die natürlichen Lebensgrundlagen auch wichtig – wir erleben es ja gerade draußen, dass der Klimawandel angekommen ist auch mit der Dürre. Das sollte sich vielleicht auch mal in einem Haushalt niederschlagen. Da sind eben Themen drin wie Hochwasserschutz, der wirklich seit Jahren verbummelt wird. Wir machen keinen richtigen Hochwasserschutz. Wir gehen nicht an die Ursachen ran, sondern verlieren uns in technischen Hochwasserschutzmaßnahmen, die oft die Probleme noch verstärken und nicht lösen. Da muss es endlich einmal ein fundamentales Umsteuern geben.
Wenn wir jetzt bei der Dürre sind: die ersten, die gerufen haben, sind natürlich die Landwirte. Aber da zeigen sich ja nur Phänomene, wo auch sonst dort einiges schiefläuft. Unsere Landwirtschaft braucht einen Strukturwandel – auch für die Landwirte selbst – und dieser Strukturwandel braucht Geld. Weil sich solche Tanker nur langsam umlenken lassen, muss man irgendwann mal anfangen damit. In diesem Haushalt findet sich zu diesem Punkt schlicht nichts. Es ist einfach ein Weiter-so; das heißt das sind weitere zwei verschenkte Jahre unseren Bereich der Landwirtschaft.
Wichtig aus GRÜNER Sicht, aber das sollte auch uns alle interessieren – wir haben es schon mehrmals angesprochen -: die natürlichen Lebensgrundlagen und das Artensterben. Wenn in wenigen Jahrzehnten drei Viertel der Biomasse, die Insekten, also das Fundament der Nahrungskette wegfallen, dann ist das ein Handlungsschwerpunkt.
Wir haben ja Anhörungen gehabt mit Sachverständigen; die haben gesagt: es ist lange nicht mehr fünf vor zwölf; es ist zehn nach zwölf. Dann muss das in diesen Haushalt hinein. Keine Aussage dazu; die Mittel für Naturschutz werden sogar noch gesenkt. Es ist schlicht nicht nachzuvollziehen.
Wir wissen es immer wieder: Versäumnisse, bei denen man nicht beizeiten die Weichen neu stellt, werden immer teurer im Aufräumen – wie wir es jetzt bei der Bildung, bei der Polizei haben. Es wäre jetzt an der Zeit!
Wir wünschen uns auch als Signal aus diesem Haushalt – ich hatte mit den Köpfen angefangen – einfach ein Signal an Menschen hier, die sich entfalten wollen, die Dinge bewegen wollen, die engagiert sind. Da geht es genau um solche Aktivitäten wie etwa von der Mission Lifeline. Sächsische Leute, die etwas bewegen wollen. Oder jetzt das Klimacamp in Pödelwitz, wo Leute in ihrem ländlichen Regionen ein Dorf aufbauen wollen. Diese Menschen werden dann teilweise noch von der Staatsregierung diffamiert oder kriminalisiert. Dasselbe Signal höre ich aber auch regelmäßig, wenn ich mich mit Wirtschaftsleuten unterhalte – die sagen: wir wissen selber was wir tun; wir brauchen einfach Unterstützung und ein Klima der Unterstützung.
Da kann man auch wieder den Bogen zum Verkehr und Mobilität und alldem ziehen: wir müssen die Grundlagen dafür bringen. Wenn ich das mir diesen Haushalt so insgesamt angucke, dann ist es eben genau nicht Weichen-Stellen mit einem weiten Blick in die Zukunft, sondern es werden jetzt einige Dinge bereinigt. Es ist auch nicht alles schlecht, was drin ist, aber die wesentlichen Weichenstellungen fehlen.
Für mich ist das ein ganz deutliches Auf-Sicht-Fahren, weil es vor allem um Aufräumen geht, aber eben noch nicht so richtig nach vorne, sondern eher die Sicht in den Rückspiegel.
Ich kann ihnen zusichern: wir GRÜNE werden Anträge stellen, wir werden uns vor allem auf die notwendigen Anträge hier konzentrieren, die wir brauchen.
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