Dr. Claudia Maicher: Medienbildung darf nicht mehr eine bemerkenswerte Ausnahme sein, sondern der Normalfall

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher zum GRÜNEN-Antrag:
"Medienbildung für alle – Medienkompetenz-Initiative Sachsen starten“ (Drs. 6/236)
11. Sitzung im 6. Sächsischen Landtag, 27. April 2015, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
seit neue Medien unseren Alltag immer stärker durchdringen, gibt es Debatten über die Gefahren und die Hoffnungen, die vom medialen Wandel ausgehen. Gewaltverherrlichung in YouTube-Videos, Cybermobbing, Verlust der Privatsphäre und Informationsüberflutung auf Facebook, das sind Risiken, die wir diskutieren. Es werden aber auch Chancen diskutiert: Individualisiertes Lernen, vielfältige und schnellere Informiertheit, aktive Beteiligung an Gesellschaft und Politik.
Mit den sozialen Medien Facebook, Whatsapp & Co. hat sich die Medienpräsenz im Alltag um ein Vielfaches gesteigert, nicht nur bei den sogenannten Digital Natives. Heute sind die Netzmedien für die meisten Menschen kein Neuland mehr.
Nutzerinnen und Nutzer jeden Alters produzieren heute selbst Inhalte. Und es ist umso deutlicher: Es gibt an sich keine gute oder schlechte Technik, sondern es hängt davon ab, wie die Menschen mit der Technik umgehen.
Was deshalb nunmehr seit Jahrzehnten gefordert wird, ist Medienkompetenz. Medienkompetenz ist nicht nur das richtige Bedienen von Medientechnik. Es geht auch nicht nur darum, sich selbst vor schädlichen Einflüssen zu bewahren. Vielmehr geht es darum, Medien als Werkzeuge für Bildung und Persönlichkeitsentwicklung zu nutzen, für kulturelle, gesellschaftliche und politische Teilhabe.
Dieses umfassende Verständnis von Medienkompetenz legen wir unserem Antrag zugrunde, so wie es auch durch die Enquete-Kommission des Bundestages „Internet und digitale Gesellschaft“ im Jahr 2011 aktualisiert wurde.
Medienkompetenz ist wichtig. Insbesondere Kinder und Jugendliche dürfen mit den Herausforderungen der neuen Medien nicht allein gelassen werden. Deshalb ist Medienkompetenz auf Medienbildung angewiesen.
Kommen wir zum Stand der Dinge in Sachsen. Wir stellen fest, dass trotz einer guten „Papierlage“ – wie es auf der „Fachtagung Medienkompetenz“ im Februar 2013 hier im Sächsischen Landtag genannt wurde – Medienbildung in der Praxis noch weit von den Empfehlungen und Richtlinien entfernt ist.
Medienkompetenz ist zwar sinnvollerweise als Querschnittsaufgabe in den Lehrplänen verankert und es gibt verschiedene Projekte, Aktionstage und Wettbewerbe, die gute Modelle hervorbringen. Aber  darauf dürfen wir uns nicht ausruhen. Wir wollen einen Schritt weiter gehen.
Der Kultusministerkonferenz-Beschluss „Medienbildung in der Schule“ von 2012 geht davon aus, dass Medienbildung als „Pflichtaufgabe schulischer Bildung nachhaltig verankert“ werden muss. Für uns heißt das: „Medienbildung für alle“!
Medienbildung darf nicht mehr eine bemerkenswerte Ausnahme sein, sondern der Normalfall.
Genau das ist in Sachsen bisher nicht in Sicht. Medienbildung erreicht noch lange nicht alle Heranwachsenden, so wie es beim Musik- oder Mathematikunterricht der Fall ist. Es ist ja nicht getan, einmalig eine Checkliste mit 10 Punkten „Wie verhalte ich mich sicher im Netz“ vorzulegen. Notwendig sind fortdauernde Bildungsprozesse in regelmäßigen Unterrichtseinheiten und Projekten, eine auf verschiedene Altersgruppen und soziale Gruppen abgestimmte Medienbildung.
Auf der besagten Fachtagung wurden Defizite benannt: Es fehlt insbesondere an Unterstützung für Lehrkräfte und Erzieherinnen, an einer verbindlichen medienpädagogischen Grundbildung in der Lehrer- und Erzieherausbildung und an passgenauer Fortbildung. Damit das gelingt, muss das Zusammenwirken derjenigen, die in Sachsen Medienbildung und deren Förderung verantworten, verbessert werden. Nicht, dass man nicht miteinander sprechen würde, aber in puncto Ergebnisse gibt es nur minimale Fortschritte.
Da wir es mit einem komplexen Gefüge von Zuständigkeiten zu tun haben, geht das nicht von heute auf morgen, das ist uns natürlich bewusst. Dieses Gefüge muss erst verzahnt und in Bewegung gebracht werden. Das ist die Aufgabe der Regierung, hierfür die Initiative zu ergreifen.
Die Rahmenvereinbarung zwischen Sächsischer Landesmedienanstalt und dem Kultusministerium – Staatsminister Dr. Jäckel hat sie in seiner Stellungnahme genannt – sie ist vielleicht ein erster Schritt gewesen. Sie hat aber bisher keine Breitenwirksamkeit gebracht.
Momentan ist für die verschiedenen Arbeitsfelder von Schule und Kita,  über Kinder-, Jugend- und Sozialarbeit bis Erwachsenenbildung und Hochschule völlig unklar, was langfristig die Entwicklungsziele sein sollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Herausforderung „Medienbildung für alle“ meistern wir nicht mit Absichtserklärungen. Anpacken ist die Devise. Aber wie kommen wir dahin?
Schauen wir uns mögliche Vorbilder an. Thüringen gilt als Musterland der strukturellen Verankerung von Medienbildung. Das funktioniert durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Kultusministerium, Landesmedienanstalt und dem Institut für Lehrerfortbildung. Medienbildung ist dort selbstverständlicher Bestandteil in der Schule.
In Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Bremen wurden breit aufgestellte Netzwerke ins Leben gerufen und landesweite Gesamtstrategien entwickelt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es ist auch in Sachsen an der Zeit, die relevanten Akteure in ein Boot zu holen und konkrete Ziele zu definieren!
Wenn die primär Zuständigen, also Kultusministerium, Sozialministerium und SLM bisher nicht zu diesem Schritt gekommen sind, dann muss das eben organisatorisch noch einmal anders angepackt werden. Die SLM und das Netzwerk Medienpädagogik haben diesbezüglich bereits 2013 vorgeschlagen, dass ein „landesweites Konzept durch eine übergreifende Koordinationsstelle und einen gemeinsamen Runden Tisch aller unmittelbaren Akteure und politischen Entscheidungsträger getragen werden kann".
Die Stellungnahme von Staatsminister Dr. Jäckel zu unserem Antrag beruht auf dem Stand von vor einigen Monaten. Sie hatten die Passage im Koalitionsvertrag benannt. Vielleicht kann die Staatsregierung uns heute etwas genauer erklären, was mit „zentralen Koordinations- und Informationsstellen“ gemeint ist?
Die Orientierung an Sachsen-Anhalt finden wir durchaus sinnvoll. Das dortige Netzwerk Medienkompetenz wird von der Landesmedienanstalt getragen und von zwei Ministerien mitfinanziert.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
wir unterbreiten Ihnen heute unseren Vorschlag, wie die Staatsregierung Medienbildung in Sachsen voranbringen kann.
Wir haben bewusst darauf verzichtet, nur einzelne Baustellen hervorzuheben. Derer gäbe es genug, sie werden effektiv jedoch nur dann zu bearbeiten sein, wenn sie in ein Gesamtkonzept eingebettet sind.
Wir wollen die Staatsregierung beauftragen, einen Prozess kraftvoll zu starten mit Hilfe einer landesweiten Initiative. Mit Akteuren aus der medienpädagogischen Praxis und Wissenschaft sowie allen zuständigen staatlichen und öffentlichen Akteuren sollen Ziele bestimmt und Umsetzungsschritte in einem Masterplan Medienkompetenz festgehalten werden. Der entstehende Verbund von Akteuren soll dann den Masterplan umsetzen. Das umfasst auch Leistungen der aktiven Vermittlung von medienpädagogischen Angeboten und Kooperationspartnern sowie die Unterstützung bei der Weiterentwicklung von Angeboten der Aus- und Fortbildung.
Diese Leistungen müssen koordiniert und organisiert werden, soll die Initiative erfolgreich sein. Dazu braucht es eine leistungsfähige Vermittlungs- und Organisationseinheit, wir würden sie „Medienkompetenz-Zentrum Sachsen“ nennen. Dessen konkrete Trägerschaft und Ausgestaltung ist zu diskutieren. Dafür gäbe es verschiedene Lösungen.
Da der Masterplan auch eine politische Handlungsgrundlage darstellt, soll er regelmäßig im Landtag behandelt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitten sie um Zustimmung zu unserem Antrag.