Fachregierungserklärung Al-Bakr − Meier: Bericht zeigt strukturelle Probleme und Fehlplanungen, die das Ministerium des Justizministers zu verantworten hat

Rede der Abgeordneten Katja Meier (GRÜNE) in der Debatte zur Fachregierungserklärung zum Thema: ‚Ergebnisse der Expertenkommission zum Fall Al-Bakr und Maßnahmen der Staatsregierung‘
48. Sitzung des Sächsischen Landtags, 01. Februar 2017, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete,

wir haben von Ihnen Herr Staatsminister heute eine klare Fehleranalyse erhalten. Zugutehalten muss ich Ihnen, dass Sie bereits vor Veröffentlichung des Berichts Maßnahmen ergriffen haben – ganz im Gegensatz zu Ihrem Kollegen Ulbig, der von den Ergebnissen fast überrumpelt wirkte und schon die nächsten Fehler machte. Aber der Reihe nach:

Nach der Stümperhaftigkeit der Polizei beim Zugriff gegen Al-Bakr setzten sich die Fehler in der JVA fort. Es offenbarte sich, dass es schon mit der erschütternd mangelhaften Kommunikation des Justizministeriums, des Amtsgerichts und der Staatsanwaltschaft Dresden anfing. Nach dem Erlass des Haftbefehls, als klar war, dass al-Bakr nach Leipzig kommen wird, informierte keiner die JVA Leipzig über die anstehende Zuführung. Die Bediensteten der JVA hatten keine Chance sich angemessen auf diesen besonderen Häftling vorzubereiten, spezielle Maßnahmen zu ergreifen oder einen Dolmetscher zu organisieren.

Die sächsischen Justizvollzugsanstalten verfügen über vorbildliche Suizidpräventionskonzepte. Hierfür möchte ich ausdrücklich der Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug sowie der sächsischen Landesarbeitsgruppe danken.

Doch alle Konzepte, Suizidpräventions- oder besonders gesicherte Hafträume und Screening-Bögen dieser Welt nutzen überhaupt nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden oder verfügbar sind. Ich war geschockt, als ich in der Zeitung lesen musste, dass 3 von 4 besonders gesicherten Hafträumen in Leipzig aus baulichen Gründen nicht nutzbar waren! Und der Suizidpräventionsraum, der schon im Herbst in Betrieb gehen sollte, ist es bis heute nicht.
Was sind das für Zustände?

In der JVA selbst wurden Entscheidungen getroffen, die ich nicht nachvollziehen kann.
Es erfolgte entgegen der Anweisung der Ermittlungsrichterin keine unverzügliche Untersuchung des Gefangenen, trotz vermerkter Suizidgefahr wurde der Screening-Bogen „Aufnahme“ nicht ausgefüllt. Bemühungen um einen Dolmetscher wurden sehr schnell aufgegeben. Eine im Zeitpunkt der Ankunft al-Bakrs im Haftkrankenhaus der JVA anwesende psychologische Mitarbeiterin wurde aus unerfindlichen Gründen nicht angefordert.

Diese Fehler einzelner Personen haben ihre Ursache allerdings nicht in individuellem Unvermögen. Vielmehr sind es strukturelle Probleme und Fehlplanungen, die Ihr Ministerium zu verantworten hat.

Es geht hier um mehr als mangelndes, oft ausfallendes Personal. Es geht um unzureichende Strukturen, die analysiert und korrigiert werden müssen. Es geht aber auch um die Frage, ob die verbindlichen Vorgaben und Weisungen von den Bediensteten tatsächlich umgesetzt werden.

Anders kann ich mir die Versäumnisse bei der Aufnahme nicht nur im Fall al-Bakr, sondern auch im Fall des Suizids vom 12.01.2017 nicht erklären. In beiden Fällen entsprach das Aufnahmeverfahren in der JVA nicht den Vorgaben und Standards.
Al-Bakr wurde trotz richterlicher Anordnung und in Kenntnis seines Hungerstreiks nicht unverzüglich ärztlich untersucht, obwohl ein Anstaltsarzt auf der Station bei einem anderen Gefangenen war.

Soweit die Reihe von festgestellten Fehlern. Als Konsequenz der ganzen Misere haben Sie nun eine 4-köpfige Stabsstelle beim Justizministerium zur Umsetzung der Empfehlungen und weiterer Untersuchungen der personellen und strukturellen Probleme in den sächsischen Justizvollzugsanstalten eingerichtet. Für mich ist das ganz klar ein Eingeständnis von schwerwiegenden Versäumnissen seitens des Ministeriums.
Aber nicht nur das. Sie ist reine Symbolpolitik!

Die Einrichtung der Stabsstelle kommt einer faktischen Entmachtung und Desavouierung des Abteilungsleiters gleich. Aber was denn nun? Ist er für Versäumnisse verantwortlich? Oder ist er es nicht? Mit der Stabsstelle allein werden Sie die strukturellen Schieflagen im Ministerium nicht beheben.
Zusammengefasst wird doch vor allem dreierlei deutlich:

1) Es ist erschütternd, aber wahr. Offenbar musste erst der Suizid eines mutmaßlichen Terrorverdächtigen in einer sächsischen JVA geschehen, das der Strafvollzug auf den Prüfstand gestellt wird. Die von uns GRÜNEN geforderte Expertenkommission hat mit ihrem schonungslosen Bericht die Missstände im Strafvollzug klar benannt. Der Befund, dass es viel zu wenig Personal in den JVAen gibt, ist nicht neu. Aber offensichtlich braucht es die klare Botschaft von außen, dass hier endlich was passiert.

2)  Die Fehler, die gemacht wurden, sind kein Beweis dafür, dass es zu wenig klare Regeln und Vorgaben gibt. Das Problem ist der Vollzug selbiger. Was nun ansteht, ist die Überprüfung von Abläufen und Vorgängen. Das gilt nicht nur für die JVA Leipzig, sondern für alle Anstalten.

3) Die Vorschläge, die die Kommission vorgelegt hat, werden von der Staatsregierung nun wohlwollend geprüft oder befinden sich schon in der Umsetzung. Dass nun z.B. Video-Dolmetsch-Systeme zum Einsatz kommen sollen, ist gut und richtig. Den Einsatz von Videoüberwachung in Hafträumen hingegen sehe ich vor allem wegen der Einschränkungen von Grundrechten sehr kritisch. Der sächsische Gesetzgeber hat sich einst bewusst dagegen entschieden und das ist auch gut so.

Wir werden die Umsetzung der Vorschläge kritisch begleiten und haben auch selbst schon Vorschläge gemacht. Die Einsetzung einer Personalkommission werden wir heute Abend diskutieren.

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