Fachregierungserklärung Strafverfolgung – Meier: Kehren Sie mit Ihrer Politik endlich zu dem zurück, was diesen Rechtsstaat trägt – Vernunft und Fakten!

Redebausteine der Abgeordneten Katja Meier zur Fachregierungserklärung:
"Strafverfolgung in Sachsen – Keine Toleranz für Straftäter, Opfer schützen!", 13. März, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Sehr geehrter Herr Gemkow,

keine Toleranz für Straftäter – so trommelt es aus Ihrer Regierungserklärung! Willkommen im Wahlkampf!

Es gehört zu den ältesten populistischen Taschenspielertricks in der Politik, mit Strafrecht Symbolpolitik zu machen. Sie kostet nichts – von den überfüllten Gefängnissen einmal abgesehen – zielt lediglich auf jene, die ohnehin geächtet am gesellschaftlichen Rand stehen und eignet sich zur billigen Profilierung als harter Hund in der CDU.

Und dennoch verändert solche Politik die Gesellschaft als Ganzes nachhaltig. Weil hier – im Strafrecht – beginnt, was nach und nach in alle Bereich der Gesellschaft einsickert: Die Definition der Gesellschaft über Feindbilder. Das Verlassen rationaler, evidenzbasierter Politik, die auf Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Und der Eintritt in eine Politik der einfachen, ‚alternativen Wahrheiten‘.

Getrieben von der Angst vor dem Wahlverlust und dem weiteren Erstarken der Verfassungsfeinde hat sich diese Staatsregierung einer Strategie der Symbolpolitik verschrieben – gegen Fachkunde, fachliche Substanz und Vernunft.

Angefangen bei der Novelle des Polizeigesetzes über die Verschärfung der Strafvollzugsgesetze, die Rundverfügungen des Generalstaatsanwalts bis zum Höhepunkt, Ihrer Regierungserklärung heute, dokumentiert sich Ihr populistischer Kurs. Das Ergebnis dieser Strategie stärkt die Schreihälse und schwächt die Politik der wissenschaftlichen Erkenntnis und der Vernunft. Der strafende Staat wird zum Vorläufer für den Aufbau des Sicherheitsstaates. Dem stellen wir uns mit aller Macht entgegen.

Wir alle wissen, dass der Wunsch nach Vergeltung und harten Strafen die einfachsten Regungen in uns Menschen bedient, der Unterscheidung in gut und böse, in WIR und DIE, Freund und Feind. Gleichzeitig sagen uns Vernunft und wissenschaftliche Erkenntnis, dass Straftaten nicht durch Strafen verhindert werden. Maßnahmen der Kriminalpolitik müssen sich deshalb zuallererst an ihrer Wirksamkeit messen lassen. Ob etwas wirkt, lässt sich nicht nach subjektiver Empfindung entscheiden. Vielmehr gehört zur Wirksamkeit das Wissen über den Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Deshalb sollte es zum kriminalpolitischen Mindeststandard gehören, nur dann eine Maßnahme zu fordern oder anzuordnen, wenn die damit zusammenhängenden Phänomene bekannt sind und erklärt werden können.

Ich rede hier von ‚rationaler Kriminalpolitik‘. Diese Notwendigkeit und Basis der Kriminalpolitik haben Sie wissentlich und willentlich verlassen. Sie haben sie einer Wahlkampfstrategie des Populismus geopfert. Wir wissen aus der kriminologischen Praxis, dass die Abschreckungswirkung von Androhung, Verhängung und Vollzug von Strafen äußerst gering ist.

Für den Bereich der leichten bis mittelschweren Kriminalität gilt, dass Höhe und Schwere der Strafe keine messbare Bedeutung haben. Bislang wurden auch keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass eine Verschärfung des Strafrechts das Normbewusstsein positiv beeinflussen würde. Wenn es eine Tendenz gibt, dann die, dass nach härteren Sanktionen die Rückfallrate bei vergleichbaren Tat- und Tätergruppen höher ist. Diese Erkenntnis verschweigen Sie, sehr geehrter Herr Staatsminister! Nicht aus Unkenntnis, sondern weil sie nicht in Ihre Erzählung von gut und böse passt. Und das nennt man Populismus, sehr geehrte Damen und Herren! Sie schaffen Angst, wo Fakten und Klarheit angebracht und notwendig sind. Und Sie stellen sich damit in eine Reihe von Regierungen, die mit einer repressiven Wende den Wahlerfolg suchen.

Die Indikatoren dieser repressiven Wende sind eindrucksvoll in Ihrer Politik vom Polizeigesetz bis zu Ihrer heutigen Regierungserklärung zu erkennen. Das beginnt bei einer veränderten Tonlage zur Kriminalpolitik, zeigt sich im Niedergang des Resozialisierungsgedankens und kulminiert sich in der Wiederkehr vergeltungsorientierter Sanktionen und einer ausdrucksstarken, symbolisch aufgeladenen Justiz. Innerhalb nur weniger Jahre ist an die Stelle des Ideals der Resozialisierung, erneut die überholte Idee der Strafe als Vergeltung getreten.

Einst galt das Sächsische Strafvollzugsgesetz bundesweit als fortschrittliche und Resozialisierung war der Leitgedanke bei jeder Bestrafung. Die Wiederbelebung des Vergeltungsgedankens führt binnen kürzester Zeit zu einer ‚Neuerfindung des Gefängnisses‘, dass nicht mehr als Stätte der sozialen Wiedereingliederung, sondern als Ort der vergeltenden Bestrafung dargestellt wird.

Ich erinnere mich hier beispielhaft an die Worte des Ministerpräsidenten, bei einer Veranstaltung in der JVA Zeithain im vergangenen Jahr.
Im entsprechenden Bericht des SachsenSpiegels äußerte er sich, dass der Weiterbetrieb der Anstalt wünschenswert sei, weil hier eine besondere Bestrafung vollzogen werde. Die gestrige Rede des Ministerpräsidenten war ebenso bloße populistische Effekthascherei.

Ihrem repressiven Rollback gegen die Expertise von Kriminologinnen und Kriminologen, Psychologinnen und Psychologen und Soziologinnen und Soziologen widersprechen wir ganz entschieden. Denn dieser wissenschaftsfeindliche Affekt bildet den Nährboden für die Aushöhlung unseres Rechtsstaats selbst, den Sie hier vorgeben, schützen zu wollen.

Der Rechtsstaat bindet die Staatsgewalt an Recht und Gesetz. Diese Bindung legitimiert auch das staatliche Handeln. Zu den Kernelementen des Rechtsstaats gehören das Übermaßverbot und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Prinzip des Rechtsstaats zielt eben gerade auf Maßhaltung bei allem staatlichen Handeln ab. Unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung muss darum nicht mit selber Härte vor Menschen verteidigt werden, die Ladendiebstähle begehen oder Schwarzfahren und auch nicht vor Drogenkonsumierende.

Sie muss vor Bestrebungen verteidigt werden, die zum Ziel haben, diesen Rechtsstaat, so wie er ist, abzuschaffen und die gehen leider häufig mit Gedanken von Fraktionen in diesem Haus Hand in Hand. Das ist der schlimme Zustand, in dem wir uns gerade befinden!

Sehr geehrte Mitglieder der Staatsregierung, hören Sie auf, sich leichte Ziele für durchsichtigen Populismus zu suchen! Fangen Sie damit an, diesen Rechtsstaat glaubhaft zu verteidigen – auch dort, wo es weh tut!

Dies beginnt mit einer Politik, die keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen anbieten will, wie sie es uns hier bei der Frage nach Ursachen und Umgang mit Kriminalität vormachen wollen. Packen Sie stattdessen Ihre hausgemachten Probleme an!

Sorgen Sie mit ausreichend Personal dafür, dass die sächsische Justiz ihre wichtigen Verfahren sachgerecht und ohne überlange Verfahrensdauer bearbeiten kann, ohne dabei die Verfahrensrechte des Einzelnen einzuschränken und auf Mittel, wie das beschleunigte Verfahren zurückgreifen zu müssen.
Schaffen Sie endlich die Voraussetzungen, damit die zunehmenden Staatsschutzdelikte bis hin zum Rechtsterrorismus ohne größere Pannen zeitnah ausermittelt und abgeurteilt werden können.

Den Prozess gegen die Hooligan-Gruppe ‚Faust des Ostens‘ im mittlerweile sechsten Jahr nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft endlich zu beginnen, das wäre ein starkes Zeichen des Rechtsstaats, meine Damen und Herren.

Sehr geehrter Herr Staatsminister,

wir durchschauen diese plumpe Symbolpolitik, diesen blanken Populismus der Staatsregierung! Auch Ihre Auseinandersetzung mit den Verfassungsfeinden in diesem Saal und draußen auf der Straße, legitimiert Symbolpolitik nicht, weil sie der Gesellschaft und unserem Rechtsstaat selbst schadet! Es stünde Ihnen besser zu Gesicht, wenn sie auf solche Manöver verzichten.

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