Franziska Schubert: Nach Abschluss der Aussprachen zu den Einzelplänen würden eigentlich nur zwei Worte genügen: „schade“ und „realitätsfern“

Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert zum Haushaltsgesetz:
"Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes des Freistaates Sachsen für die Haushaltsjahre 2015 und 2016 und die Festlegung der Finanzausgleichsmassen und der Verbundquoten in den Jahren 2015 und 2016" (Drs. 6/777)
12. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages, 29. April 2015, TOP 1.12

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
heute – nach Abschluss der Aussprachen zu den Einzelplänen – würde eigentlich nur ein Wort genügen: Schade.
Es ist schade um die verschenkten Möglichkeiten, Sachsen strategisch fit zu machen für die Zukunft. Ich habe bereits gestern meine Befürchtung und Sorge geäußert, dass die vergegenwärtigte Zukunft an Sachsen vorüberziehen wird. Aus Sicht unserer Fraktion möchte ich hierfür folgende Indizien anführen, die dieser These zugrunde liegen:

  1. Auch dieser Haushaltsentwurf verpasst es, dem Klimaschutz einen hohen Stellenwert einzuräumen und zum Beispiel ein Zuschussprogramm für energetische Gebäudesanierung aufzulegen. Ob es salonfähig ist oder nicht: Klimaschutz ist unbestritten ein Zukunftsthema und bedeutendes Handlungsfeld. Auch für Sachsen? Ein klares Bekenntnis finden wir im Haushaltsentwurf nicht.
  2. Der Haushaltsentwurf schafft keine Voraussetzungen für eine optimale Betreuung der Kinder in sächsischen Krippen und Kitas. Die nun vorgesehen Umsetzung steht in keinem Verhältnis zum Preis. Hier hätte man mit weniger Geld, an der wirklich richtigen Stelle angesetzt, mehr erreichen können. Wären zum Beispiel Kindertagesstätten und Träger an der Lösungsfindung mehrheitlich beteiligt gewesen, dann sähe die Verbesserung des Betreuungsschlüssel anders aus. Der Vorschlag der Koalition wird vor Ort weder für die Erzieher und Erzieherinnen, noch für die Eltern und schon gar nicht für die Kinder einen spürbaren Mehrwert haben.
  3. Weder die Freien Schulen noch die Schulsozialarbeit sind auskömmlich ausgestattet und dauerhaft aufgestellt. Flächendeckendes flexibles Jugendmanagement, wie von uns gefordert – ungewollt. Kinder und Jugendliche: ein Zukunftsthema, würde man annehmen. Auch für Sachsen? – Nicht mit diesem Haushaltsentwurf.
  4. Trotz der hohen Summen werden die Defizite bei der Migrationsberatung, bei der Flüchtlingssozialarbeit, bei der Unterstützung von Flüchtlingsorganisationen, bei Sprachbildung und Willkommenskitas nicht behoben. Auch dieses bereits sehr gegenwärtige Zukunftsthema wird in Sachsen mit diesem Haushaltsentwurf nicht so angegangen, wie es die Realitäten erfordern würden.
  5. Es wird viel Geld für technischen anstatt für ökologischen und nachhaltigen Hochwasserschutz, für Straßenneubau statt für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, für Bodenversiegelung anstatt für einen Biotopverbund, für technische Aufrüstung anstatt für Investition in Zukunftsmacher bereitgestellt. Im vergangen Doppelhaushalt haben Sie sich für „300. Jahre Nachhaltigkeit in Sachsen“ gefeiert. Wo ist der Gedanke hin? Im Haushaltsentwurf versteckt er sich nicht.
  6. In Sachsen wird das Durchschnittsalter weiter steigen, die Bevölkerungszahlen außerhalb der Ballungsgebiete werden weiter rückläufig sein und die räumlich ungleiche Entwicklung wird weiter zunehmen. Da diese Entwicklung alle weiteren Lebens- und Arbeitsbereiche beeinflusst, sollte man annehmen, dass es sich die Demografiepolitik ein wichtiges landespolitisches Handlungsfeld handelt. Im Haushaltsentwurf findet es sich nicht wieder. Es bedarf weit mehr als Alltagsbegleiter, Telemedizin und Mehrgenerationenwohnen, um sich dieser Herausforderung zu stellen. Diese Einzelmaßnahmen verwalten nur einen Zustand. Sie schaffen keine Entwicklungsmöglichkeiten für Sachsens ländliche Räume, die auch in Schrumpfungs- und Überalterungsprozessen attraktive Lebens- und Arbeitsräume sein wollen und die weit, weit mehr sind als nur Forst- und Landwirtschaft. Die Chancen, die sich Sachsen einst in diesem Bereich erarbeitet hatte, sind bereits vorbeigezogen.

Schade ist es um die Mittel, die in der großen Sparbüchse „Zukunftssicherungsfonds“, in den Verstärkungsmitteln und ja – auch Ausgaberesten – geparkt werden und in den nächsten beiden Jahren für Investitionen in die Zukunft fehlen werden.
Es ist schade um die zukünftig wegfallenden Stellen im Bereich des Freiwilligen Ökologischen Jahres für engagierte junge Menschen, die künftig von Sachsen nicht mehr wie bisher gefördert werden.
Wenn ich es mir recht bedenke, muss ich dem Wort „schade“ noch an mindestens einer Stelle das Wort „realitätsfern“ hinzufügen: ich meine damit den Raubbau an der öffentlichen Verwaltung, der mit diesem Haushalt und seiner Stellenpolitik betrieben wird; er verkennt die Realitäten des Alltags in Sachsen.
Es ist realitätsfern gegenüber den sächsischen Bürgerinnen und Bürgern und den Leistungsträgern der sächsischen Wirtschaft und des Handwerks, die immer weitere Wege zu Behörden zurücklegen müssen, die ihre behördlichen Ansprechpartner kaum noch erreichen. Die in manchen Fällen zwei Jahre auf eine Gerichtsentscheidung warten müssen. Die auf überlastete Bedienstete treffen.
Es ist realitätsfern gegenüber den Kindern, die in großen Klassen eine Woche darauf warten müssen, auch mal zum Gedichtaufsagen aufgerufen zu werden.
Es ist realitätsfern gegenüber den Studierenden, die in überfüllten Hörsälen sitzen und ihre Seminare im Losverfahren zugeteilt bekommen.
Es ist realitätsfern gegenüber den (wenigen) jungen Bediensteten, die in den kommenden Jahren mehr und mehr Aufgaben von ihren Kollegen übernehmen müssen, die in den Ruhestand gehen. Nur in wenigen Fällen werden die Altersabgänge durch die Einstellung neuer Kollegen aufgefangen.
Es ist realitätsfern gegenüber den älteren Kollegen, die vor ihrem Ruhestand ihr Wissen nicht an die nächsten weitergeben können. Die von der Möglichkeit der Altersteilzeit nicht Gebrauch machen können, da ihre Aufgaben sonst von niemandem mehr erledigt werden können.
Sie manifestieren mit diesem Haushalt die Stellenstreichungspolitik der letzten Jahre, ohne auf die zu erledigenden Aufgaben zu schauen.
Dieser Haushalt ist kein Zukunftswerk, sondern ein Flickwerk mit konjunkturell bedingtem Wohlfühlcharakter, welches reagiert auf das, was nicht länger auszusitzen war.