Geflüchtete Menschen sind keine Menschen zweiter Klasse, in deren Grundrechte der Staat beliebig eingreifen kann

Rede der Abgeordneten Petra Zais zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Staatsregierung: "Gesetz zur Regelung des Vollzugs der Abschiebungshaft und des Ausreisegewahrsams im Freistaat Sachsen" (Drs. 6/11943)
74. Sitzung des Sächsischen Landtags, 27. Juni, TOP 10
– Es gilt das gesprochene Wort – 

Herr Präsident, meine Damen und Herren,
geflüchtete Menschen sind, selbst wenn sie einer vollziehbaren Ausreisepflicht unterliegen, keine Menschen zweiter Klasse, in deren Grundrechte der Staat beliebig eingreifen kann. Bei der Abschiebungshaft handelt es sich weder um eine Strafhaft, noch werden die inhaftierten Menschen aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit festgehalten. Die Inhaftnahme soll lediglich den Vollzug eines Verwaltungsaktes sicherstellen.
Der Gesetzentwurf respektiert bei der Regelung der Ausgestaltung der Abschiebungshaft mitnichten den vom Bundesverfassungsgericht für die Sicherungsverwahrung aufgestellten und auf die Gestaltung der Abschiebungshaft zu übertragenden Grundsatz "Normales Leben minus Freiheit", der juristisch als Abstandsgebot bezeichnet wird. Dieser Grundsatz wurde zwar im Ansatz in § 2, Absatz 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs aufgegriffen , aber durchdekliniert wurde er nicht. Stattdessen bedient die Staatsregierung das Bild des hoch gefährlichen Abschiebungshäftlings, in dessen Grundfreiheiten sogar in noch stärkerem Maße als bei Straftäterinnen und Straftätern und Sicherungsverwahrten eingegriffen werden kann.
So gibt es keine Regelungen zur Mindestgröße der Räumlichkeiten. Anders sieht die Regelung in der Sicherungsverwahrung aus: Nach § 11 Absatz 1 Sächsisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz erhalten Untergebrachte in der Sicherungsverwahrung Zimmer zur alleinigen Nutzung. Dort heißt es weiterhin, das das Zimmer 20 Quadratmeter groß zu sein hat.
Der Besitz von Bargeld und Wertgegenständen ist in der Abschiebungshaft nicht erlaubt. Anders im Strafvollzug und beim Vollzug der Sicherungsverwahrung: der Besitz von Bargeld ist zwar grundsätzlich nicht gestattet, gesetzlich vorgesehen ist jedoch, dass der Anstaltsleiter oder die Anstaltsleiterin Ausnahmen machen kann, siehe § 63 Absatz 1 Sächsisches Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz und § 58 Absatz 2 Sächsisches Strafvollzugsgesetz. Eine entsprechende Ausnahmeregelung suche ich im vorliegenden Gesetzentwurf vergeblich.
Der Zugang zum Internet wird ebenso unverhältnismäßig stark eingeschränkt. Anders sind auch hier die Regelungen für Strafgefangene und Sicherungsverwahrte (siehe § 56 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SächsSVVollzG und § 51 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SächsStrVollzG).
Den massiven Grundrechtseingriffen werden keinerlei empirische Daten gegenübergestellt. Die Antwort auf die Frage, warum derart ausufernd in die Freiheitsrechte eingegriffen werden soll, bleibt die Staatsregierung weiterhin schuldig.
Die Regelungen zu Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge (§ 13) entsprechen mitnichten den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen zur zwangsweisen Gabe von Medikamenten. Damit provoziert die Staatsregierung eine neuerliche Schelte durch das Bundesverfassungsgericht.
Unsere grundsätzliche Haltung ist: Ein Mensch, der keine Straftat begangen hat, darf nicht in Haft genommen werden! Stattdessen müssen die Alternativen zur Abschiebungshaft gestärkt werden. Das können wir bis jetzt in Sachsen nicht erkennen.
Wir lehnen den Gesetzentwurf ab!
Mit dem Änderungsantrag unternehmen die Regierungsfraktionen zwar den Versuch, die massiven Grundrechtseingriffe, die auch von den Sachverständigen in der Anhörung bemängelt wurden, etwa in die Bewegungsfreiheit, etwas abzumildern. Dennoch wird damit die dem Gesetzentwurf zugrundeliegende ausufernde repressive Linie nicht aufgehoben. » Alle Infos zum 74./75. Plenum » Alle GRÜNEN Reden