Gerd Lippold: Für die Rekultivierung von Tagebauen wird künftig viel Geld gebraucht – laut Bundesberggesetz Geld aus dem Unternehmen

Redebausteine des Abgeordneten Gerd Lippold zur Aktuellen Debatte der GRÜNEN-Fraktion:
"Verursachergerechte Finanzierung der Braunkohle-Folgekosten absichern – Transparenz zu Rückstellungen schaffen – Sicherheiten einfordern"
37. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, 23. Juni 2016, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
die Betreiber von Braunkohletagebauen unterliegen nach Beendigung der Auskohlung vielfältigen Nachsorgepflichten. Diese resultieren aus dem Verursacherprinzip und sind insbesondere in § 55 Bundesberggesetz konkretisiert.
Eine aktuelle wissenschaftliche Studie mit dem Titel "Finanzielle Vorsorge im Braunkohlebereich" kommt zu alarmierenden Ergebnissen. Anders als in der Vergangenheit, als es für jedes Bergbauvorhaben immer ein Folgevorhaben gab, aus dessen Gewinnen die Folgekosten des beendeten Vorhabens bezahlt werden konnten, gibt es in einer Zeit, in der das letzte Vorhaben auslaufen wird, eine neue Situation.
Damit wir uns richtig verstehen, meine Damen und Herren, niemand unterstellt hier Unternehmen, ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommen zu wollen. Wir stellen aber sehr wohl die Frage, ob sie es können. Und wir stellen die Frage, wem wir hier in diesem Hause verpflichtet sind.
Zu den Fakten.
Schauen wir mal in den Konzernabschluss der JTSD Bergbau GmbH für das Jahr 2014. Sie hielt alle Anteile der hier vielleicht besser bekannten MIBRAG und war ihrerseits wieder Tochter der EPE, die wiederum Tochter der EPH war, die wiederum … Ich höre jetzt einfach mal auf, bevor ich noch alle Steuerparadiese aufzählen muss, in die sich die Eigentümerstruktur weiter fortsetzt.
In diesem Abschluss steht, dass die Rekultivierungen für das Bergwerk Vereinigtes Schleenhain von MIBRAG im Jahre 2040 beginnen sollen. Ich zitiere: "Wir erwarten, nach 2030 mit der Akkumulation von erheblichen Barreserven zu beginnen, um den Rekultivierungsplan für das Bergwerk Vereinigtes Schleenhain zu finanzieren".
Die IG BCE geht übrigens davon aus, dass sich noch maximal 15 Jahre mit der Braunkohleverstromung Geld verdienen lässt. Das Unternehmen will also just dann mit der Akkumulation der nötigen Barreserven für den Erfüllungsbetrag der Rückstellungen anfangen, wenn selbst nach Einschätzung der entschlossensten Braunkohleverfechterin mit diesem Geschäft definitiv kein Geld mehr zu verdienen ist.
Dass es auch mit dem Verdienen innerhalb der nächsten 15 Jahre Essig ist, können Sie sich von jenen bestätigen lassen, die das Geschäft seit vielen Jahren selbst betreiben. Vattenfall verschenkt soeben den modernsten Braunkohlenkraftwerkspark Europas nebst immenser Kohlereserven und legt noch mindestens 1,7 Milliarden Euro oben drauf. Der eigenen, der schwedischen Regierung legt man die Zustimmung zu diesem Verlustgeschäft mit der Begründung nahe, ein Weiterbetrieb würde noch erheblich höhere Verluste bedeuten.
Erst in der gestrigen Debatte hörten wir wieder sinngemäß "der laufende Bergbau zahlt für den Bergbau von gestern". Ein Spruch, der sagen soll, wir hätten alles im Griff. Schauen wir uns diese Aussage an, meine Damen und Herren.
Ich zitiere wieder: "Wir haben derzeit zahlungswirksame Kosten in Höhe von etwa 2 bis 3 Millionen Euro pro Jahr für laufende Rekultivierungen und andere Maßnahmen."
Eine Fortführung der laufenden Rekultivierung auf dem heutigen Niveau würde das Unternehmen in den nächsten 20 Jahren 40 bis 60 Millionen Euro kosten. Merken wir uns mal den Mittelwert, 50 Millionen.
Die gutachterlich geschätzten Rekultivierungskosten im mitteldeutschen Revier lagen laut Konzernabschluss auf Preisniveau 2012 bei 324,7 Millionen Euro. Mit der angelegten Inflationsrate von 1,7 Prozent in die Zukunft fortgeschrieben, ist das in 20 Jahren eine knappe halbe Milliarde Euro.
Die laufende Rekultivierung kostet bis dahin bei Fortführung auf heutigem Niveau etwa 50 Millionen Euro. Rund 90 Prozent der Gesamtkosten bleiben als Kostenrucksack bis zum bitteren Ende offen. Nein, meine Damen und Herren, der laufende Bergbau löst nicht im Rahmen der fortlaufenden Rekultivierung das Problem. Insbesondere dann nicht, wenn der Bergbau ausläuft.
Wir haben eben nicht alles im Griff. Es wird künftig viel Geld gebraucht, und zwar nach dem Bundesberggesetz Geld aus dem Unternehmen. Das Unternehmen jedoch will dafür nach eigener Aussage Barmittel akkumulieren, wenn es das nach einhelliger Einschätzung nicht mehr kann.
Andere Landesregierungen hat das zumindest aufhorchen lassen. Ich zitiere wieder aus dem Konzernabschluss: "Derzeit erwägt das Bundesland Sachsen-Anhalt die Einholung von Sicherheiten für geschätzte Rekultivierungskosten von Bergbauunternehmen und ähnliche Anforderungen könnten von anderen Ländern, in denen wir Bergbaubetriebe besitzen, gestellt werden."
Interessant, die könnten das? Ich bin gespannt, ob wir dazu heute etwas von der Koalition und der Staatsregierung hören oder, ob Sie sich wieder auf Durchhalteparolen und Vorwürfe, die GRÜNEN wollten hier nur schlechtreden, beschränken.
Ein paar Bemerkungen dazu, ob Rückstellungen in ausreichender Höhe existieren. Tatsächlich ist es so, meine Damen und Herren, dass niemand hier – nach allem, was wir aus Kleinen Anfragen gelernt haben, auch die Staatsregierung nicht – wirklich über einen Einblick in die Kalkulation der Folgekosten-Rückstellungen verfügt. Dass man sich staatlicherseits diesen Überblick verschaffen kann, zeigen die Stresstest-Gutachten zur Atomwirtschaft. Dass man es tun sollte, steht angesichts der Risiken für die öffentliche Hand außer Zweifel. Dann hätte die Staatsregierung, dann hätten wir zumindest eine unabhängige Einschätzung, ob wir uns angesichts der Höhe der Rückstellungen einigermaßen sicher fühlen dürfen.
Tatsächliche Ausfallrisiken entstehen aber durch die anhaltende Verschlechterung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Braunkohlenwirtschaft und Haftungsgrenzen im Insolvenzfall bei Konzernstrukturen.
An diesem Punkt ist eine Verbesserung der Sicherheit für die öffentlichen Haushalte in einem ersten Schritt ganz leicht zu erreichen. Die Staatsregierung braucht nur das Oberbergamt anzuweisen, von den Möglichkeiten gemäß  § 56 Abs. 2 Bundesberggesetz Gebrauch zu machen, bei der Genehmigung von Betriebsplänen Sicherheitsleistungen einzufordern. Das ist längst möglich und für sonstige Bergbauvorhaben auch durchaus üblich. Von der Braunkohle wurde das bislang aus unerfindlichen Gründen nicht verlangt.
Nun können Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wieder rufen, das ginge nicht. Solche gegenseitigen Versicherungen, dass etwas nicht geht, halten nur so lange, bis jemand kommt, der davon nichts weiß. Und es einfach macht. Dafür jetzt ein Beispiel.
Ich zitiere aus einer Hausverfügung des Landesamtes für Geologie und Bergwesen das Landes Sachsen-Anhalt zur Erhebung und Verwertung von Sicherheitsleistungen gem. § 56 Abs. 2 BbergG aus dem Jahr 2013. In Sachsen Anhalt ist der Sitz der MIBRAG.
"… Von der Möglichkeit zur Forderung einer Sicherheitsleistung kann nicht nur Gebrauch gemacht werden, wenn die Erfüllung der zu schützenden Voraussetzungen im Hinblick auf die Wirtschaftskraft des Unternehmers zweifelhaft erscheint. Die Notwendigkeit der Erhebung kann sich auch aus allgemeinen Erfahrungen, aus der wirtschaftlichen Gesamtsituation oder anderen Gesichtspunkten ergeben. Relevant für die Beurteilung ist nicht die gegenwärtige wirtschaftliche Situation, sondern die voraussichtliche finanzielle Lage in dem Moment, in dem das Bergbauvorhaben beendet werden soll und die notwendigen Arbeiten anstehen. Die im Zeitpunkt der Zulassung unzweifelhaft gegebene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist daher kein Grund, von der Erhebung einer Sicherheitsleistung abzusehen. Die Pflichten zur (Wieder-)Herstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung knüpfen an die Betriebseinstellung und damit vielfach an einen bei Bescheiderlass nicht vorhersehbaren künftigen Zeitpunkt an. Angesichts der teils langjährigen Vorhaben ist im Allgemeinen nicht vorhersehbar, ob der Unternehmer dann noch liquide sein wird. Den Behörden ist nicht zumutbar, die finanzielle Leistungsfähigkeit ständig zu überwachen. Zudem ist die Durchsetzung einer späteren insolvenzfesten Sicherheitsleistung erheblich erschwert, sobald die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmers eingeschränkt ist. Daher sollte in der Regel von der Erhebung einer Sicherheitsleistung Gebrauch gemacht und nur in atypischen Ausnahmefällen davon abgesehen werden. Ein atypischer Ausnahmefall wäre zum Beispiel gegeben, wenn es sich um einen Betrieb handelt, der von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts betrieben wird oder betrieben werden soll. Wird ausnahmsweise auf die Erhebung einer Sicherheit verzichtet, soll in der Genehmigung eine nachträgliche Anordnung vorbehalten werden. Die Entscheidung, im Einzelfall keine Sicherheitsleistung zu erheben, ist aktenkundig zu machen und zu begründen."
Ich füge hinzu, meine Damen und Herren von der Koalition und von der Staatsregierung: Nicht wir müssen Ihnen begründen, warum Sie von einer ganz leicht realisierbaren Möglichkeit zur Sicherung öffentlicher Haushalte gegen sichtbare Risiken Gebrauch machen sollten.
Sie müssen begründen, wenn Sie das bewusst nicht tun wollen. Und Sie werden für diese aktenkundigen Begründungen auch dann noch gerade stehen müssen, wenn Sie längst nicht mehr in Amt oder Mandat sein sollten.