Gerd Lippold: Hängt Ihre politische Glaubwürdigkeit am Vorankommen dieses Projekts, Herr Tillich?

Redebausteine des Abgeordneten Dr. Gerd Lippold zur 2. Aktuellen Debatte (GRÜNE)
"Der ‚Tillich-Brief‘ ans schwedische Parlament – Welche Rolle spielt die Staatsregierung beim Vattenfall-Kohleausstieg?"
10. Sitzung des Sächsischen Landtags, 12. März 2015, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
nach der klimapolitisch motivierten schwedischen Entscheidung zum Rückzug aus der Braunkohle hatte sich Ministerpräsident Tillich bereits mehrfach schriftlich und persönlich vor Ort in Stockholm für die Fortführung eines ganz besonderen Investitionsvorhabens eingesetzt.
Dieses Vorhaben ist die Tagebauerweiterung Nochten II, und es ist so besonders, weil dafür 1.700 Menschen aus den Lausitzer Orten Klein
Trebendorf, Mulkwitz, Rohne, Mühlrose und Schleife ihre Heimat verlassen und verlieren sollen – ob sie wollen oder nicht.
Dieses Vorhaben liegt Ihnen offenbar so sehr am Herzen, dass man fast meinen könnte, Ihre politische Glaubwürdigkeit hinge zu einem guten Stück an Vorankommen dieses einen Projektes.
Am 5. Februar ging nun im schwedischen Reichstag erneut ein Brief der Ministerpräsidenten Tillich und Woidke ein, der an das Parlamentskomitee für Handel und Industrie gerichtet ist und der Öffentlichkeit bekannt wurde.
Sie machen darin schnell klar, wie Sie das mit der langfristigen Ablösung der fossilen Brennstoffe meinen, von der auch Sie zunächst schreiben.
Sie argumentieren nämlich, die deutsche Energiewende sei in Gefahr, wenn angesichts des Atomausstieges nicht weiterhin auf Braunkohle
gesetzt werde. Vorausetzung dafür sei allerdings, dass die Investitionstätigkeit nicht nachlasse.
Investitionen in die Braunkohleverstromung haben allerdings – wie allgemein bekannt – extrem lange Kapitalbindungszeiten, in der Regel
mehrere Jahrzehnte. Es wäre widersinnig, derartige Investitionen zu einem Zweck zu tätigen, der sie anschließend – bereits lange vor ihrer Amortisation – überflüssig macht und damit entwertet.
Genau das wäre aber das Resultat, wenn es bei diesem Zweck tatsächlich um den Bau einer Brücke zu einem wesentlich höheren Anteil erneuerbarer Energien ginge.
Sie ficht dieser Widerspruch nicht an. Sie behaupten, ausgerechnet mit langfristigen Braunkohleinvestitionen die Energiewende retten zu
müssen.
Machen Sie sich um die mal keine Sorge. Die wird von Millionen engagierter Bürgerinnen und Bürger vorangebracht. Es reicht schon, wenn Sie sich nicht in den Weg stellen.
Sie, Herr Ministerpräsident, bauen darauf, dass >>Vattenfall die notwendigen Investitionen für eine kontinuierliche Fortführung seiner Tagebaue und Kraftwerke unabhängig von den Verkaufsabsichten fortführt<<. Sie behaupten, dies würde helfen, >>den Umstrukturierungsprozess in den Braunkohleregionen zu verstetigen […]<<. Das krasse Gegenteil ist richtig: dies würde den notwendigen Umstrukturierungsprozess über Jahrzehnte verzögern! Und überhaupt – von welchem existierenden Umstrukturierungsprozess schreiben Sie da eigentlich?
Und nun kommen wir zum umstrittenen Tagebauerweiterungsprojekt. Dazu versprechen Sie gemeinsam mit Ministerpräsident Woidke, Sie würden >>alles tun, um die notwendigen Verwaltungsverfahren zur Fortführung der Tagebaue Welzow-Süd und Nochten unabhängig von den Verkaufsabsichten zügig zu führen<<. Dies würde, so schreiben Sie, >>dazu beitragen, den Unternehmenswert von Vattenfall zu erhalten und so die Verkaufschancen für das Unternehmen und damit zusammenhängende mögliche Erlöse für den schwedischen Staat zu erhöhen<<.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Hier wird als Staatsregierung versprochen, beispielsweise im angelaufenen bergrechtlichen Planfeststellungsverfahren für Nochten II im Sinne des maximalen Unternehmenswertes zu agieren.
Tatsächlich haben die einzigen Kriterien in solchen Verfahren die sorgfältige Prüfung aller Antragsunterlagen, Einwendungen und Risikoabschätzungen und die Güterabwägung zwischen den Interessen der Betroffenen, der Umwelt, und dem Gemeinwohl der heutigen und künftigen Generationen zu sein. Zügig oder nicht zügig – das hat bei der enormen und langfristigen Tragweite überhaupt kein Kriterium zu sein. Gründlich und verantwortungsvoll hat so ein Verfahren abzulaufen!
Das Versprechen eines >>zügigen Verfahrens<< für Nochten II wirft ganz nebenbei die Frage auf, wie denn ein ’normales‘ Genehmigungsverfahren für industrielle Aktivitäten in Sachsen läuft – etwa nicht >>zügig<<? Ich dachte immer, dass sei eine Selbstverständlichkeit?
Und wenn der MP die Zusage machen kann, für zügige Verfahren zu sorgen, liegt dann nicht auch die Schlussfolgerung nahe, er habe es in der Hand, Verfahren nach Gutdünken auch zu verzögern?
Verfahren, für deren Ablauf es eine Menge ganz klar geregelter rechtstaatlicher Vorgaben gibt.
Nur eine nicht – nämlich die der politisch motivierten, persönlichen Einflussnahme.
In unserem zweiten Beitrag in dieser aktuellen Debatte werden wir uns noch mit Umsiedlungserfordernissen und offenbartem Gemeinwohlverständnis beschäftigen.
Vielen Dank.

2. Redebeitrag von Gerd Lippold
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
im Anhang zum Brief des Ministerpräsidenten wird für die schwedischen Parlamentarier unter anderem beschrieben, was die behaupteten Konsequenzen eines Rücktritts von der Erweiterung der Tagebaue Nochten und Welzow aus Sicht der Regierungen Sachsens und Brandenburgs wären.
Die Umsiedlungsmaßnahmen müssten dann umgehend beendet werden, heißt es dort. Nun – die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen Umsiedlung und Heimatverlust wehren, wird das freuen.
Das sind aber offenbar nicht die betroffenen Bürger, die unser Ministerpräsident vertritt.
Er meint nämlich: >>Für die betroffenen Bürger, die eine Umsiedlung erwarten, würde dies eine Beeinträchtigung ihrer Lebensplanung bedeuten, wenn die Tagebaue nicht kämen!<<
Ja, viele Bewohner der zum Tode verurteilten Ortschaften sind in untragbarer Situation. Mangels Entscheidung gibt es noch keine Entschädigungszahlungen. Zugleich werden Leben und Geschäft in absterbenden Ortschaften immer schwieriger. Auch das, meine Damen und Herren, sind gesellschaftliche Kosten der Kohleverstromung und es sind Kollateralschäden ihrer Braunkohleplanung, meine Damen und Herren! Und deshalb haben Sie die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich auch dann um die Wiedergutmachung dieser Schäden zu kümmern, wenn sich ein Investor aus einem von Ihnen gewollten und vorbereiteten Projekt zurückziehen sollte!
Die noch bis mindestens 2026 bzw. 2042 betreibbaren heutigen Tagebaue Nochten und Reichwalde werden derzeit auf Grundlage von bis Ende dieses bzw. nächsten Jahres befristet genehmigten Betriebsplänen betrieben. Darauf weist der Brief explizit hin. Nicht ohne mit Planungsunsicherheit für die weitere Genehmigung der derzeit aktiven Tagebaue für den Fall zu drohen, dass ein gewähltes schwedisches Parlament sich entscheiden sollte, die Vorhaben für künftige Erweiterung jetzt nicht rasch voranzutreiben.
Weiter wird behauptet, mit dem Verzicht auf das Vorantreiben der Erweiterungsvorhaben durch Vattenfall drohe spätestens 2026 das abrupte Ende aller Braunkohlenkraftwerke und sonstigen Heiz- und Industriekraftwerke in der Lausitz, die damit ihre gesamte Basis als >>innovative Energie- und Ökonomieregion<< verlöre.
So etwas wird zu einem Zeitpunkt behauptet, wo selbst die Bundesnetzagentur in ihrem genehmigten Szenarienrahmen für das Jahr 2025 die zwei ältesten Blöcke des Kraftwerks Boxberg nicht mehr berücksichtigt.
Eine rasche Abschaltung dieser mehr als 35 Jahre alten Kohlemeiler würde jedoch den Kohlebedarf des Kraftwerkes aus dem Tagebau Nochten etwa halbieren. Auch ohne jede Erweiterung des Tagebaus könnten die verbliebenen Blöcke noch Jahrzehnte versorgt werden. Ein Einstieg in den Ausstieg ist das Gebot der Stunde – ein allmählicher Abschied von der Kohle, der von einem geförderten Strukturwandel begleitet wird. Stattdessen erwecken Sie den Eindruck, es gäbe überhaupt keine Alternative zu einem Szenario, in dem alle Kraftwerke bis zum Tag X jeden Tag 24 Stunden unter Volldampf laufen und am Tag X alle gleichzeitig abgeschaltet werden.
All diese Überlegungen, die für die Zukunft der Tagebauerweiterungen und der betroffenen 1700 Menschen von größter Tragweite sind, erschienen Ihnen offenbar zu komplex, um sie dem zuständigen Fachausschuss des schwedischen Parlamentes zur Kenntnis zu bringen.
Sie bevorzugen die einfachen Argumente und die verkürzten Schlussfolgerungen und liefern für Ihren unbedingten Realisierungswillen die Begründung, Sie müssten mit der Braunkohle nach der Atomausstiegsentscheidung die Versorgungssicherheit in der deutschen Energiewende retten. Wenn Sie das wenigstens selbst glauben würden, dann hätten Sie Ihre Interpretation von Gemeinwohlzielen ja darauf abstellen können. Doch auch Ihnen ist klar, dass es sich nur um eine Maskierung handelt. Sie haben die Maske sogar schon selbst fallen gelassen.
Dazu Herr Staatsminister Dulig in den letzten Tagen in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage zur Zukunft der Braunkohle: >>Eine Grundabtretung ist zulässig, wenn das Vorhaben zur Erreichung eines Gemeinwohlziels, hier die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen, vernünftigerweise geboten ist.<<
Das schließt übrigens auch den Export von Braunkohle mit ein.
Die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen ist das von Ihnen interpretierte Gemeinwohlziel, meine Damen und Herren von der Koalition – nicht etwa die Energieversorgungssicherheit, die Sie dem schwedischen Parlament hier als Begründung der Tagebauerweiterungen liefern.
Dann müssen wir wohl abschließend die Situation wie folgt zusammenfassen:

  1. In Sachsen sind die Bürger immer dann in Gefahr, unter Nutzung des Bundesberggesetzes aus dem Dritten Reich von einem Grundabtretungsverfahren überzogen zu werden, wenn sich unter ihrem Haus und Grund irgendetwas Verkaufbares befindet.
  2. Rechtsstaatliche Verfahren können von der Staatsregierung nach eigenem Belieben beschleunigt und verzögert werden.
  3. Die energiepolitischen Ziele des Bundes werden ignoriert oder gar torpediert.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.